Kapitel 57

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So schnell war ich nach einem Heimspiel noch nie wieder zurück zu Hause gewesen. Wenn ich wenigstens verstehen würde, was genau Bob gegen mich hatte. Oder vielleicht ausheckte? Ich sollte gar nicht erst anfangen, ihm so etwas zu unterstellen. Aber er ließ mir einfach keine andere Möglichkeit mit seinem aktuellen Verhalten. Und Emil musst du nun denken, dass unser komplettes Orga-Team völlig verkorkst war und Bob uns auf der Nase herumtanzte. Ich schmunzelte, als ich darüber nachdachte, dass Emil sich wohl niemals für die Füchse Berlin interessieren würde. Nicht nachdem, wie sich Bob heute verhalten hatte. Eigentlich hatte sich Bob damit doch irgendwie auch ins eigene Bein geschossen. Oder? Seine Launen, seine Art, sein Verhalten, all das besprachen die Jungs doch auch zwischen den Vereinen und wenn es darum ging, neue Spieler anzuwerben, wäre das sicherlich ein großer Nachteil. War ich in der Position Bob das so deutlich zu sagen? Ich war nicht sicher. Und jetzt war es sowieso egal. Ich saß auf der Couch im Wohnzimmer und zappte durch die Programme im TV.
„Bist du schon weg?", schrieb mir Mathias.
„Ja, Stress mit Bob", antwortete ich knapp.
„Willst du vorbeikommen? Soll ich dich abholen?"
Wollte ich das? Natürlich. Aber ich wusste auch, wie es mit dem Mathias' Pünktlichkeit stand. Was, wenn ich durch ihn morgen nicht pünktlich zur Arbeit auftauchen würde? Das würde Bob sofort merken. Ich lehnte also ab. Andererseits - ich konnte wegen Bob meinen Freund doch nicht nicht sehen. Ich überredete mich schließlich selbst, doch bei Mathias vorbeizuschauen. Bob sollte nicht auch noch meine bzw. unsere Freizeit bestimmen.

Als junge Frau sollte man sicherlich nicht alleine im Dunkeln durch Berlin laufen. Aber daran dachte ich gar nicht. Und weit war es nicht bis zu Mathias' Wohnung. Etwas gruselig die ganzen Gestalten hierum, aber immerhin war man so nicht alleine. Ich klingelte an der Haustür und stand Sekunden später schon an seiner Wohnungstür. Hastig wurde die Tür geöffnet. Aber vor mir stand nicht Mathias.
„Oh, hi", druckste Simon Pytlick mit einem Bier in der Hand, „wir sind zu laut?"
„Äh", machte ich nur. Hielt er mich etwa für die Nachbarin, die sich aufgrund der Lautstärke beschweren kommt? „Nein...."
„Mathias, du har besøg!", rief er dann und ließ mich rein.
„Ich...ich will nicht stören!", sagte ich sofort.
„Hey, du bist doch gekommen!", begrüßte Mathias mich mit einem breiten Lächeln.
„Simon, Malia - Malia, Simon", stellte er uns kurz und bündig vor.
„Du bist die neue Freundin!", stellte Simon dann fest, während er meine Hand schüttelte, „wie schön! Ich habe dich nicht gesehen in der Halle!"
„Das ist auch nicht so einfach, sich frei in der Halle zu bewegen, wenn dir Bob Hanning im Nacken sitzt!", hörte ich eine bekannte Stimme. Es war Hans.
„Wir haben zurzeit ein paar...Differenzen...", erklärte ich.
„Geschäftsführung in Flensburg ist auch manchmal sauer mit uns. So ist das wahrscheinlich in deutsche Bundesliga!", antwortete Simon. Und ja, wahrscheinlich hatte er recht. Wahrscheinlich war nirgendwo immer gute Stimmung. Aber hier war es eben gerade besonders schlecht.
„Komm, ich stelle dir die anderen vor!", sagte Mathias und griff nach meiner Hand.
„Die anderen? Bin ich hier gerade in irgendetwas reingeplatzt?!"
„Nein, nur ein paar Freunde aus Dänemark."
Wir betraten das Wohnzimmer. Mit ‚ein paar Freunden aus Dänemark' meinte Mathias fast den gesamten dänischen Anteil der SG Flensburg-Handewitt. Und das waren nicht wenige. Auch Lasse war hier und quatschte gerade mit Johan Hansen und Lasse Møller. Aber mein Blick fiel sofort auf Emil. Natürlich war er auch hier. Er stand sofort auf, als er uns reinkommen sah.
„Das ist Emil, mein bester Freund!", sagte Mathias freudestrahlend und klopfte Emil auf die Brust. Wir sahen uns in die Augen. Und er erkannte mich sofort. Ich sah kurz runter und überlegte, was ich nun antworten sollte. Es war ein kurzer Moment der Stille.
„Hi. Ich bin Emil", hörte ich ihn dann sagen und er streckte mir seine Hand entgegen.
„Malia", antwortete ich und schüttelte sie, wie ich es eben schon hätte tun sollen.
„Schön, dich kennenzulernen, Mathias hat schon viel erzählt."
„Äh...danke gleichfalls...", murmelte ich völlig verwirrt. Kein Kommentar zu unserer Begegnung? Dabei sah ich ihm an, dass er wusste, wer ich bin.
„Alles in Ordnung?", fragte Mathias.
„Ja, super. Viel zu tun, wenig Schlaf!", versuchte ich es zu retten.
„Und Bob ist sehr anstrengend!", ergänzte Lasse, „der hat eben richtig eingeschnappt die Halle verlassen! Du hast wohl einen wunden Punkt getroffen!", lachte er dann.
„Nicht wirklich, Lasse!", verneinte ich sofort.
„Doch, doch. Das wird. Du kannst ihm mittlerweile die Stirn bieten!"
„Okay, jetzt hör auf!", sagte ich nochmal. Emil zog die Augenbrauen nach oben und grinste.
„Awww, ist dir unangenehm. Süß", ärgerte Lasse mich weiter und legte einen Arm um mich, „nee, jetzt mal im Ernst: Malia forhandlede en skør kontrakt til mig!" Er grinste und ich überlegte, was von seinem Satz ich verstanden hatte. Nicht viel. Nichts - um genau zu sein.
„Hun er på siden af ​​os spillere og står altid op for os i ledelsen!", erzählte er weiter. Er wechselte die Sprache mit Absicht, das war sicher.
„Kann man dich abwerben?", lachte Johan.
„Lasse, bringst du mich wieder in Schwierigkeiten?", fragte ich.
„Ich mache dich rar", raunte er in mein Ohr. Etwas zu nah für so viele Augenpaare auf uns. Aber so war Lasse eben. Und eigentlich mochte ich es ja, dass wir uns so nahstanden. Und solange Nanna und ich ebenfalls so eng miteinander waren, war es schon zweimal kein Problem.
Mathias und Emil schienen übrigens mindestens genau so eng zu sein wie Lasse und ich - nein - enger. Die beiden hingen fast den gesamten Abend zusammen. Mathias war wirklich sehr glücklich, seinen besten Freund in seiner Nähe zu haben. Schade, dass die beiden sich so selten sahen. Mir fiel auf, dass Lasse zunehmend ein Auge auf sie geworfen hatte. Als er das nächste Mal zum Kühlschrank in die Küche ging, folgte ich ihm.
„Eifersüchtig?", grinste ich und versuchte, ihn so aus dem Konzept zu bringen wie er mich sonst.
„Quatsch!", wehrte er sich.
„Auf Mathias oder Emil?", fragte ich weiter amüsiert.
„Wirklich witzig, Malia", stöhnte er genervt.
„Heyhey, du Diva, was ist los mit dir?"
„Es nervt einfach!"
„Was genau?", fragte ich nach.
„Die Beiden."
„Ähm....Lasse du bist Mathias Gast, du kannst einfach gehen, wenn du"
„Weißt du, ich halte die ganze Saison hin. Ich bin für ihn da, ich bin derjenige, der ihm Mut zuspricht oder ihm stundenlang zuhört, wenn er Liebeskummer hat!", zischte er, „nichts für ungut!"
„Schon okay", murmelte ich.
„Wenn Emil da ist, sind alle anderen scheißegal!"
„Er sieht ihn nunmal sehr selten!"
„Wir sehen uns alle sehr selten...", entgegnete er, nahm sein Bier und ging zurück ins Wohnzimmer. Ich folgte ihm langsam. Und Siege da: Mathias setzte sich zu ihm und Simon, Emil fand ich erst nach kurzem Umsehen auf dem Balkon wieder. Lasse konnte einfach manchmal richtig übertreiben! Und das war meine Chance, mich einmal ordentlich mit Emil zu unterhalten. Ich öffnete die angelehnte Balkontür und er drehte sich lächelnd zu mir.
„Hey", lächelte er.
„Entschuldige bitte, wie das eben nach dem Spiel gelaufen ist...", seufzte ich.
„Schon gut. Hans hat viel von Bob erzählt. Du darfst das nicht persönlich nehmen", antwortete er und klopfte neben sich auf die kleine Bank. Ich setzte mich.
„Das ist nicht so einfach", gestand ich und lächelte, „aber danke, dass du mir geholfen hast! Obwohl du mich gar nicht kennst!"
„Na klar, er kann wirklich gemein sein. Und du willst Mathias nicht mit da rein ziehen, hab ich recht?"
Ich nickte.
„Ich will das alleine schaffen. Und das werde ich auch...irgendwie..."
„Und wie geht es weiter mit euch?"
„Er wird sich wieder beruhigen, vielleicht sogar entschuldigen. Und dann geht das Ganze irgendwann von vorne los..."
„Wow...", seufzte Emil, „wie gut, dass ich nicht bin in euer Mannschaft. Ich kann da nicht zugucken!"
„Ich hab Mathias darum gebeten, sich rauszuhalten."
„Okay...warum? Ich meine, er kann jede Verein aussuchen, die er möchte. Das weiß Bob auch."
„Er hat einen Vertrag bis 2028. Und wenn das hier so weiter geht, dann"
„Bist du weg?", beendete Emil meinen Satz. Ich zuckte zustimmend mit den Schultern.
„Vielleicht muss Bob das wissen."
„Ich glaube das wünscht er sich sogar...", gab ich zu, „aber hey, wir lernen uns gerade erst kennen und schon rede ich dich voll mit meinen Problemen!"
„Das ist total in Ordnung!", lachte Emil, „ich habe ja auch eingemischt."
„Erzähl mir was von dir!", forderte ich ihn auf und wechselte somit das Thema. Und ich muss sagen ich war echt begeistert von Emil. Er war witzig, charmant, freundlich, höflich...eigentlich alles, was einen besten Freund ausmachte. Wir unterhielten uns wirklich lange und wir lachten viel. Er war so anders als Lasse es war. Er brachte mich nicht in Verlegenheit, er machte keinen blöden Kommentare oder anzügliche Witze. Es war einfach nur entspannt mit ihm. Ein ehrliches, interessantes Gespräch. Manchmal könnte Lasse ein Stück mehr von ihm haben.
Die Terrassentür öffnete sich nach geraumer Zeit und Mathias steckte seinen Kopf hindurch.
„Hey", lächelte er und leistete uns dann Gesellschaft.
„Ausfragen überstanden?", fragte er und zeigte auf mich.
„Ja", lachte ich. Dann zeigte er auf Emil.
„Ja", antwortete er dann auch.
„Schön", grinste Mathias zufrieden und setzte sich dann zu uns. Kurz blieb ich noch bei den beiden, dann ging ich rein zu Lasse und ließ mir von ihm Johan und Lasse Møller genauer vorstellen. Auch Hans saß mit uns in einer Runde, Lasse konnte lachen. Er hatte Spaß, auch wenn er das vielleicht nicht zugab. Er übertrieb, was Emil anging und ich übertrieb darin, mir jetzt darüber Sorgen zu machen und vermehrt daran zu denken. Dabei sollte ich mir eher Gedanken über meinen ersten Eindruck bei Mathias' Freunden machen. Aber die Jungs machten es mir wirklich leicht. Allein die Tatsache, dass sie für mich permanent deutsch sprachen, rührte mich schon. Es war ein rundum schöner Abend, der erst spät seinen Ausklang fand.

Und siehe da: ein Mathias Gidsel ist wohl doch nicht ganz Ungelehrig im Thema Pünktlichkeit. Am nächsten Morgen war ich so früh wie nur selten im Büro angekommen und hatte mir bereits viele Gedanken gemacht, bevor Achim und ich uns zusammensetzten. Bob schaute ab und zu mal durch meine offene Bürotür, murmelte ein neutrales ‚Hallo' und begab sich dann selbst wieder an die Arbeit. Als wäre der gestrige Tag nie so passiert. Wenn ich telefonierte, hob ich meine Stimme extra laut an, damit er ja hörte, wie viel Mühe ich mir gab. Auch das Blättern in Akten und Tippen auf der Tastatur meines Computers versuchte ich, so laute Geräusche wie möglich zu erzeugen. Ich hatte mir nichts vorzuwerfen. Das war Fakt. Und er musste das irgendwann einsehen und sich entschuldigen. Auch das war Fakt.

Schon zwei Tage später hatten Achim und ich eine Lösung für die Videowand gefunden. Eine externe Firma hatte uns nach viel Bitten und Betteln am Telefon ein Zeitfenster in der gleichen Woche - sprich - vor dem nächsten Heimspiel eingeräumt. Und dieser Triumph passte mir gerade sehr gut in die angespannte Lage. Aber Bob blieb neutral in jedem Gespräch. Er ignorierte die Anspannung. Oder hatte er wieder vergessen, was beim Heimspiel los war? Wohl kaum. Ein Bob Hanning tat nichts ohne Grund. Und ja, nun warf ich ihm wirklich vor, dass er etwas ausheckte.
„In fünf Tagen wird alles erledigt sein", beendete ich die Vorstellung unserer Lösung bezüglich seiner gewünschten Pressekonferenzen auf den Videoblock der Arena.
„Ehem", war seine erste Reaktion, dann stand er auf und kam um seinen Schreibtisch herum. Ich stand ebenfalls auf und zog Achim mit nach oben. Kretzsche beobachtete dieses Spielchen, was Bob mit uns zu spielen schien. Doch er streckte die Hand zu mir aus.
„Danke Malia, gute Arbeit", sagte er und schüttelte sie dann. Ich nickte, bevor er auch Achims Hand schüttelte. Dann verließ er sein Büro für einen Außentermin.
„Er verwirrt mich", gab ich zu, als er weit genug entfernt war und sah Kretzsche an.
„Er weiß, dass er sich dir gegenüber falsch verhalten hat. Ich habe auch nochmal mit ihm gesprochen. Er ist zu weit gegangen."
„Ja, das ist er."
„Sieh es als seine Art, sich zu entschuldigen. Glaub mir, ich habe diese Situation in all den Jahren schon häufig gehabt. Und wir sind noch immer ein gutes Team! Das wird wieder!"
Das wird wieder...auf dass du mit deinen Worten richtig liegst, Kretzsche...

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Hallo zusammen, wie gefällt euch das neue Kapitel? :) Lasst mir gerne mal einen Kommentar da, das würde mich sehr freuen!😊 Danke😊

Traum und Wirklichkeit (Mathias Gidsel | Füchse Berlin FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt