Kapitel 55

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Auch am nächsten Tag herrschte zwischen Bob und mir noch eine angespannte Stimmung. Und auch am Tag danach. Und am Tag danach. Und... danach. Vor allem das nächste Heimspiel war wirklich grausam. Wir redeten kaum miteinander. Nicht einmal Smalltalk war wirklich drin. Kretzsche warf mir ab und zu entschuldige Blicke zu, aber was sollte er auch machen? Ich dachte, die Situation sei geklärt. Aber langsam stellte ich mir wieder einige Fragen: Was genau war Bobs Problem? War ich zu frech? War Bob noch eingeschnappt? Würde Zeit das Problem lösen? Half eine erneute Entschuldigung? All das musste ich jetzt wirklich aussitzen. Denn als ich ihm nach dem gewonnenen Heimspiel bei bester Laune auf unsere Situation ansprach, bekam ich als Antwort nur „nein Malia, alles wie immer." Danke dafür. Ich musste einfach weniger sensibel in diesen Moment mit Bob gehen. Ich machte einfach keinen Fehler mehr, zwischenmenschlich brauchte er noch eine Weile. Das war schade. Es machte mich traurig. Ich wollte doch eigentlich jedem nur gefallen. Ich wollte es jedem Recht machen und für alle nur das Beste und nun? Nun hat schon der erste die Schnauze voll von mir. Und wenn Mathias nicht so wunderbar geduldig wäre, hätte ich ihn auch schon lange vergrault. Gedanken über Gedanken. Das zog sich noch mehrere Wochen. Es hörte nicht auf. Jeden Tag auf der Arbeit, diese komische Blicke, die ich nicht deuten konnte. Diese verdeckte Schikane meine Arbeit zu kontrollieren. Es war...Das passende Wort musst wohl erst noch erfunden werden. Mir ging in den nächsten Wochen wirklich sehr viel durch den Kopf. Tag ein, Tag aus. Ich redete viel mit Paul, der Bobs Verhalten auch überhaupt nicht deuten konnte. Wann immer er mit Bob sprach, war alles in Ordnung. Er verlor nicht ein schlechtes Wort über mich. Es machte alles einfach überhaupt keinen Sinn... das war vielleicht das schwerste daran. Aber es gab mir zumindest einen Grund, berufliches und privates nun mehr zu trennen. Und nach etwas Eingewöhnung schaffte ich das tatsächlich auch. Ich genoss die Zeit mit Mathias ohne mir ständig Gedanken über die Arbeit zu machen. Und ich machte meine Arbeit, ohne ständig an Mathias zu denken. Na gut - Letzteres war gelogen! Aber wie konnte ich auch nicht an ihn denken? Er bedeutete mir so wahnsinnig viel. Wie Nanna sagte: Zu viel, um es jemals zurückgeben zu können.
„Über was denkst du nach?", fragte Mathias als wir abends gemeinsam im Bett lagen.
„Ich dachte an ein Gespräch mit Nanna", erklärte ich und kuschelte mich an seine nackte Brust.
„Und was hat sie gesagt?"
„Sie sagte, dass sie Lasse so sehr liebt, dass sie das, was er ihr bedeutet, niemals zurückgeben kann. Und ich dachte gerade daran, dass ich das sehr gut nachempfinden kann."
„Ja...Lasse ist schon ein cool Typ!", antwortete Mathias lachend. Ich schlug ihm leicht auf den Arm.
„Idiot! Du hast den Moment versaut!", beschwerte ich mich.
„Du betyder også meget for mig! Du bedeutest mir auch sehr viel!", sagte er dann und küsste mich. Unser Kuss wurde leidenschaftlicher, ich zog ihn immer näher an mich heran, fast näher, als überhaupt möglich war. Er lehnte sich über mich und stützte seine Knie rechts und links neben meiner Hüfte ab. Die Zeit mit ihm war so unfassbar schön. Ich wollte niemals wieder ohne ihn sein. Er griff an den Saum meines Shirts und zog es leicht nach oben. Dann verloren wir auch nach und nach unsere restlichen Klamotten. Seine nackte Haut auf meiner nackten Haut war ein Gefühl, was man nicht beschreiben konnte. Ich fühlte mich so geborgen, so beschützt und so entspannt. Das zum Beispiel war wieder so ein Moment, indem ich alles um mich herum und somit auch endlich mal Bob aus meinem Kopf heraus bekam. Die letzten Wochen hatten uns wirklich gut getan. Dieser Cut zwischen unseren - ja fast schon zwei Welten. Beruf und Privatleben.
Und das gehörte zum privatestenTeil dazu und war mit Abstand der schönste Teil. Seine Fingerkuppen strichen sanft über jeden einzelnen Zentimeter meines Körpers. Ich bekam eine Gänsehaut und schauderte leicht. Unsere Küsse wurden noch intensiver. Wir waren wie in einem Rausch. Mathias' Berührungen wurde fordernder, seine Griffe feste, aber niemals unangenehm. Ganz im Gegenteil. Wie auch ich zuvor, zog er mich jetzt an sich heran.
„Wir müssen stop machen", keuschte er.
„Nein...", murmelte ich. Wie konnte er es wagen, jetzt an ein Ende zu denken?
„Gleich, ich kann nichtmehr stop machen", erklärte er lächelnd. Ich schüttelte den Kopf und zog ihn wieder an mich heran, um ihn zu küssen.
„Malia, ich", hörte ich ihn noch sagen. Dann schloss ich die Lücke zwischen unseren Lippen. Er griff wieder fester zu, zog mich wieder näher an sich heran, küsste mich fordernder. Er wollte nicht aufhören, das merke ich doch. Und ich wollte es auch nicht.
„Malia", stoppte er uns dann wieder.
„Nein, bitte, ich will das!", flüsterte ich gegen seine Lippen. Sein Lächeln verwandelte sich in ein Grinsen. Und dieses Grinsen wurde breiter und breiter in seinem Gesicht. Es kam mir fast schon erleichtert vor. Hatte ich ihm in letzter Zeit so falsche Signale gesendet? Ich war schon viel länger bereit. Und er drückte scheinbar immer noch für mich auf die Bremse. Wieder küsste er mich fordernd während seine Hände meinen Oberkörper rauf und runter strichen, bevor sie an meine Brüste und zwischen meine Beine fuhren. Seine Berührungen konnten schon fast nicht intensiver werden und trotzdem wurden sie es irgendwie. Immer und immer intensiver. Ich gab mich ihm völlig hin und genoss seine Berührungen. Er griff in seine Nachttisch-Schublade und nahm ein Kondom heraus. Bevor er die Packung öffnete, stoppt er wieder.
„Es...es ist nicht nur Spaß für mich!", versicherte er ernst und sah mir tief in die Augen.
„Ich weiß!"
Auch wenn ich es kaum erwarten konnte, Mathias noch näher zu sein als zuvor, so sehr mochte ich auch seine vorsichtige Art die er sich angewöhnt hatte. Den Gentleman in ihm. Der Part, der mich unseren ersten Abend vergessen ließ. Auch wenn ich jetzt rüber lachen konnte.
Und nach einem letzten, tiefen Blick in meine Augen und einem letzten intensiven Kuss, geschah es dann endlich, dass wir nicht nur nebeneinander, sondern auch miteinander schliefen. Ich hatte mir vorgestellt, Angst zu haben. Ich hatte mir vorgestellt, vielleicht sogar an Chris zu denken. Oder zumindest an den Schmerz, den er mir zugefügt hatte. Aber da war nichts dergleichen. Nicht eine negative Faser in meinem Körper. War es ungewohnt? Ja. Tat es weh? Vielleicht ein bisschen. Aber es war vor allem schön. Weil es Mathias war, mit dem ich es tat. Jede Bewegung von ihm war so vorsichtig, so zärtlich. So wie ich es mir immer gewünscht hatte. Und er zeigte mir, wie viel ich ihm bedeutete. Er fragte ständig, ob es mir gut ging und ob ich mögen würde, was er tat. Ob ich es mochte? Ich liebte es. Ich liebte alles, was er tat. Ich liebte ihn. Als wir uns schließlich wieder voneinander lösten, war ich so entspannt wie noch nie zuvor in meinem Leben. Zugegeben, wahrscheinlich fiel mir unterbewusst eine ganze Steinlawine vom Herzen. Aber eigentlich war ich nur glücklich. Und ich bekam das Lächeln nicht mehr von den Lippen. Trotzdem brauchte ich geraume Zeit, um mich wieder zu sammeln. Das war es also. Das körperliche Gefühl von Liebe. Ich könnte mich daran gewöhnen. Mit ihm.
Mathias schlang seine Arme um mich und zog mich mit dem Rücken an seinen Oberkörper heran. Er verteilte kleine Küsse an meinem Nacken, was mir wieder eine Gänsehaut bereitete. Ich schauderte wieder kurz und lachte dann. Er stieg mit ein.
„Alles okay?", fragte er erneut.
„Mehr als das!", antwortete ich lächelnd und drehte mich zu ihm um, sodass ich ihm in die Augen sehen konnte. Er strich eine Haarsträhne hinter mein Ohr und streichelte meine Wange.
„Ich hoffe, du kannst vergessen, was hat passiert früher. Das hat nichts zu tun mit Liebe."
Mein Lächeln wurde müder, fast als würde ich meine Lippen aufeinander pressen.
„Ich weiß", schaffte ich dann doch zu antworten. Natürlich werde ich die Vorfälle mit Chris niemals vergessen können. Und eigentlich wusste er das auch. Aber seine Hoffnung war natürlich, dass ich nicht mehr an ihn dachte. Irgendwie war ja mein Ex. Irgendwie auch nicht. Es war kompliziert. Wie alles in meinem Leben. Ich kann die Vergangenheit nicht ändern und wahrscheinlich auch niemals vergessen, vor allem nicht verzeihen, aber ich kann es jetzt besser machen, mehr auf mich aufpassen, mich wehren, wenn es nötig war. Aber mit Mathias musste ich das gar nicht. Er nahm mich, wie ich bin. Das tat so gut.
„Morgen wird eine gute Tag!", lächelte er dann. Er merkte wohl, dass ich langsam wieder ins Denken geriet. Und da gehört ein Chris nun mal dazu. Also: Themenwechsel und weg mit den negativen Gedanken!
„Es ist Heimspiel - und dann auch noch ein Top-Spiel", nickte ich also zustimmend. Die SG Flensburg-Handewitt wird zu Gast sein.
„Ja und endlich lernst du mehr Freunde von mir kennen! Emil freut sich sehr mit dir zu treffen!"
Emil Jakobsen - Linksaußen und bester 7-Meter-Torschütze der SG - war Mathias' bester Freund. Die beiden sind fast ein Jahrgang und haben schon viele Jahre sowohl im Verein als auch bei der Nationalmannschaft zusammen gespielt. Zuerst im Jugendbereich, dann später bei den Senioren. Man darf nicht vergessen: die beiden teilen die größten Erfolge miteinander, die man im Sport erreichen konnte. Sie sind gemeinsam Weltmeister geworden. Das verbindet irgendwie noch mal mehr. Auch wenn ich glaubte, dass Mathias seine Freunde sehr bewusst nicht nach Erfolg und Leistung aussuchte. Und wenn einer Mathias kannte, dann war das wohl Emil. Es machte mich nervös ihn das erste Mal zu treffen. Aber ich freute mich auch auf ihn. Ich kannte ihn bisher nur aus dem Fernsehen. Er kam mir sehr sympathisch rüber. Sehr witzig, locker - ja, eigentlich wie Mathias.
„Ich freue mich sehr auf ihn!", lächelte ich.
„Ich habe oft über dich gesprochen. Aber es ist nicht das selbe. Du wirst ihn sehr mögen! Und er dich auch!" Na, das hoffte ich doch! Wie schlimm wäre es, wenn...nein! Nein, das wird nicht passieren! Weg mit den negativen Gedanken!
„Mads, Simon, Kevin, Lasse, Johan"
„Also eigentlich lerne ich morgen die gesamte dänische Nationalmannschaft kennen?", lachte ich, nachdem seine Aufzählung kein Ende nahm.
„Nicht alle!", lachte Mathias, „aber Flensburg ist sehr nah an unsere Heimat, so viele wollen da oder bei THW spielen. Sie sind nicht ganz so weit weg von Zuhause. Ich habe auch überlegt. Aber jetzt, ich bin hier!"
„Und das ist auch gut so!", lächelte ich und drückte wieder meine Lippen auf seine. Das könnte ich die ganze Nacht machen. Ihm einfach nur nah sein. Ihn spüren, ihn küssen, ihn anfassen. Und er sah das sichtlich genauso. Wir kuscheln uns eng aneinander und schliefen nach geraumer Zeit ein. Wissentlich, dass morgen ein schöner Tag werden würde.
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Hallo ihr Lieben, lange wars sehr still hier😅 Ich würde mich sehr über Rückmeldung freuen😊♥️ Danke😊

Traum und Wirklichkeit (Mathias Gidsel | Füchse Berlin FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt