Kapitel 22

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Wenig später hörte ich Schritte auf dem Flur. War Jerry etwa schon wieder zurück? Ich sah mich um. Die Schritte kamen von der anderen Seite und kurz darauf sah ich Lasse und Mathias.
„Hey! Wartet!", rief ich ihnen hinterher, stand auf und ging auf sie zu. Die beiden blieben stehen und drehten sich um.
„Äh, Malia, dein Fuß...", fiel Lasse direkt auf.
„Jaja, ist jetzt nicht wichtig!", wank ich sofort ab, „alle sind auf der Suche nach dir, Mathias."
Er nickte nur und ging an uns vorbei. Er hatte wirklich keine Lust mehr, auch noch einen Satz mit mir zu wechseln. Und das verletzte mich.
„Mann, mann, mann...", stöhnte Lasse, „was mach ich nur mit euch zwei Chaoten?"
Ich schwieg und starrte weiter nach vorne.
„Ey, du glaubst doch nicht wirklich, dass Mathias dich verarscht!"
„Ach schön, ihr habt gesprochen!", antwortete ich sarkastisch und drehte mich um. Ich hinkte zum Seiteneingang der Halle. Lasse folgte mir.
„Er brauchte jemanden zum Reden. Er denkt wirklich, dass er dich falsch behandelt hat...", erklärte er, „Ich kenne ihn mein ganzes Leben lang, er ist ein Guter. Das hab ich dir schonmal gesagt."
Ich seufzte. Das weiß ich doch, Lasse. Es ist schon unangenehm genug, du musst es mir nicht noch unter die Nase reiben! Aber ich schwieg.
„Er ist vielleicht ein bisschen übers Ziel hinausgeschossen. Aber wir Dänen sind halt so! Wir denken nicht großartig nach, wir handeln nach Gefühl! Bei uns Zuhause ist es normal, dass wir uns direkt komplett auf einen potentiellen Partner einlassen, wenn sich die Situation so ergibt."
„Weißt du Lasse, ich hab das schonmal durch. Ich wollte nicht, dass es endet wie beim ersten Mal..."
„Es geht also eigentlich gar nicht um Mathias..."
Ich senkte den Blick und starrte auf meine Hände, die in meinem Schoß lagen.
„Was hat dieser Chris mit dir gemacht?", fragte er dann, „hat er dich verarscht?"
Ich schwieg weiterhin.
„Es geht mich ja auch nichts an...aber du stößt gerade einen echt tollen Kerl von dir weg. Mach das nicht! Lass dich drauf ein."
Das Gleiche wurde mir damals auch gesagt. Ziemlich genau so. Ich wollte es wirklich nicht, aber ich dachte immer wieder an diesen Sommer.
„Er wird sowieso kein Wort mehr mit mir sprechen!"
„Klar spricht der mit dir, er ist über beide Ohren verknallt und ich muss eure Launen aushalten!", beschwerte Lasse sich.
„Du bist auch nicht ganz einfach!", widersprach ich und verschränkte die Arme vor der Brust. Lasse lachte kurz. Dann wurde sein Blick wieder ernst.
„Er ist wirklich richtig verwirrt und am Boden", ergänzte er, „auch wenn er das kaum zugibt."
„Das wollte ich nicht...", flüsterte ich, stand ohne ein weiteres Wort auf und ging weiter. Das muss einfach aufhören. Das ganze Drama musste sofort aufhören! Ich nahm mir vor, ihn direkt nach der Autogrammstunde abzupassen. Und so setzte ich mich auf eine Bank in der Nähe und beobachtete ihn mit den Fans. Dieses herzliche Lächeln machte mich wieder schwach! Ich erwischte mich, wie ich selbst lächelte bei seinem Anblick. Ich bildete mir sogar ein, dass er ab und zu mal zu mir rüber sah.
Das Schlechte daran: Die Warteschlange wurde nicht kürzer. Ich hatte mir schon sowas gedacht und ihn extra vor die große Mittagspause gelegt, aber mit so viel Andrang hatte ich nicht gerechnet. Sein Stapel an Autogrammkarten wurde immer kleiner, also ging ich ins Lager, um ihm Neue zu bringen. Ich ging von hinten an den Stand, öffnete den Karton und legte sie ihm auf den Tisch. Er machte gerade das gefühlt millionste Foto mit einem Fan. Dann drehte er sich kurz um, als er sah, dass ich hinter ihm aufräumte.
„Danke!", lächelte er. Da war wieder der alte Mathias. Gut gelaunt und glücklich. Ich erwiderte sein Lächeln. Dann widmete er sich wieder seinen Fans. Fabi neben ihm war nicht weniger beschäftigt.
„Malia, haben wir auch noch welche von mir?", machte er sich bemerkbar.
„Kriegst du!", nickte ich.
„Milo, wie sieht's bei dir aus?", fragte ich unseren Torwart.
„Mir wurde direkt der große Karton mitgegeben", erklärte er.
„Wie? Der große Karton? Das sind die Karten von der European League!", fiel mir sofort auf.
„Ja, egal!", sagte er und schrieb weiter.
„Wir haben Karten für die European League?", fragte Mathias verwundert.
„Ja, da ist der Sponsor aber nicht drauf. Ich hab extra welche nur für heute drucken lassen...", murmelte ich vor mich hin und hinkte zurück ins Lager, um dem Chaos ein Ende zu setzen. Da steckte doch sicherlich Paul hinter! Ich suchte neue Karten für Fabi und die richtigen für Dejan raus. Und da die Schlange kein Ende nahm, griff ich noch nach drei Wasserflaschen für sie, denn es wurde immer wärmer, sodass ich auch meinen Blazer direkt im Lager hängen ließ. Dann ging es zurück zum Stand. Ich verteilte die Kartons, dann die Wasserflaschen.
„Sollten nicht Jerry und Lasse langsam mal dazukommen?" fragte Fabi. Ich griff nach dem Zettel in meiner Hosentasche. Ja, er hatte recht.
„Und ich gehe ein drittes Mal ins Lager!", stöhnte ich und drehte mich um. So langsam tat mein Fuß wieder richtig weh. Ich kam kaum ohne schmerzverzerrtes Gesicht voran. Aber was sollte ich machen? Ich brauchte die Hände frei und dort, wo ich die Krücken abgestellt hatte, waren sie nichtmehr. Entweder Jerry hatte sie oder Nadine. Nachdem ich für Jerry und Lasse alles vorbereitet hatte, entfernte ich mich langsam wieder von dem Stand und ging zurück zur Arena, um mich fernab der brennenden Sonne hinzusetzen. Mein Fuß pochte schon richtig. Eigentlich wollte ich auf Mathias warten, aber der hatte noch alle Hände voll zu tun. Und so sah ich mir das Spiel Magdeburg gegen Leipzig an und versuchte, etwas zu entspannen. Die Magdeburger waren sehr gut drauf - mit was anderem hatte ich auch nicht gerechnet. Sie gewannen am Ende mit 12 Toren Differenz. Damit war ja schon fast klar, dass sie zumindest das Torverhältnis dominierten. Ich legte meinen Fuß auf den freien Platz neben mir und strich über meinen Knöchel, der sich über meine spontane Laufeinheit nun mächtig beschwerte.
„Mist...", seufzte ich. Ich hielt es kaum noch aus. Aber wie sagt man doch so schön? The show must go on!
Ich sah von weitem Mathias in die Halle kommen. Er schaute sich um und schien etwas zu suchen. Sein Blick fiel kurz auf mich und ich versuchte in diesem Moment nicht so hilflos auszusehen, wie ich mich fühlte. Ich sah einfach wieder weg. Ja, ich wollte mit ihm reden. Aber ich wollte auf ihn zugehen. Und daran war gerade nicht zu denken. Ich senkte meinen Blick, starrte wieder auf meinen Fuß und hielt ihn fest, als würde das irgendwas bringen. Dann hielt mir jemand eine Packung Ibuprofen vor die Augen. Ich sah hoch. Mathias lächelte mich müde an und gab mir dann seine noch halb volle Wasserflasche, die ich ihm zuvor an den Autogrammstand gebracht hatte.
„Danke", murmelte ich schüchtern und nahm die Sachen an. Ein zweites, müdes Lächeln folgte, dann drehte er sich um und schlurfte davon.
„Mathias!", rief ich ihm hinterher. Er drehte sich zu mir um.
„Kann ich ein Foto haben?", hörte ich dann die Stimme eines kleinen Jungen.
„Ja, ich auch!", rief ein Zweiter. Und schon war er wieder belagert von Fans. Ich seufzte und nahm mir eine Tablette aus der Packung. In der Hoffnung, sie würde auch schnell helfen. Dann rief ich Nadine an. Sie hatte meine Krücken sicher mitgenommen. Und so war es auch. Mathias wurde immer weiter von allen möglichen Leuten angesprochen, bis er dann aus meinem Blickfeld verschwand.
„Mali, was machst du denn für Sachen?!", rief Nadine dann, die mit Anna und meinen Krücken im Schlepptau auf mich zukam.
„Ich musste schnell weg...", antwortete ich.
„Ja aber doch nicht so! Willst du nicht so schnell wie möglich auf die Beine kommen?!", fragte sie.
„Schon, ich hab's einfach vergessen..."
„Sowas vergisst man doch nicht!"
„Nadine, jetzt lass sie in Ruhe, ihr geht's schon schlecht genug!", ermahnte Anna sie.
„Ich meins nur gut!", erklärte Nadine und ich nickte dankend.
„Mathias hat mir Schmerztabletten gegeben. Die sollten gleich wirken!", erklärte ich und hielt noch immer die Packung und seine Flasche in der Hand.
„Ihr konntet sprechen?", fragte Anna nach, ich schüttelte den Kopf.
„Nein, er hat mir nur die Tabletten gebracht und ist dann wieder gegangen...ich wollte mit ihm reden, aber hier laufen so viele Leute rum, dass er keine fünf Minuten mal Ruhe hat!"
„Aber er ist zuerst zu dir gekommen. Du bist ihm nicht egal!", schlussfolgerte Nadine.
„Warum hat der eigentlich Schmerztabletten bei sich?", fragte Anna.
„Das haben eigentlich alle Profihandballer. In dem Sport geht's halt richtig zur Sache", zuckte ich mit den Schultern, „gerade im Rückraum."
„Im wo?", fragte Anna.
„Ach nichts, schon gut!", lachte ich und schüttelte den Kopf.
„Na, immerhin hast du dir da echt 'nen tollen Typen ausgesucht!", lächelte Nadine und Anna nickte.
„Der war sehr nett zu uns bei der Autogrammstunde. Hat uns für unsere Freundin noch ein Autogramm extra mitgegeben!", erzählte Nadine weiter und drückte mir eine unterschriebene Karte von Mathias in die Hand.
„Das habt ihr nicht gemacht!", rief ich entsetzt und die beiden lachten, „ich schäme mich in Grund und Boden, wie konntet ihr?!"
Dann drehte ich die Karte um.
„Für Lia", las ich vor, „aha."
„Malia war zu auffällig", sagte Anna, „wir haben versprochen, dich nicht in Schwierigkeiten zu bringen!"
„Ein Foto haben wir auch bekommen!"
„Ihr seid wahnsinnig!", lachte ich beschämt.
„Wir haben dir gesagt, dass wir ihn unter die Lupe nehmen! Und er hat unseren Segen! Oder Anna?"
„Ja, der ist richtig süß!", schwärmte sie, „jetzt weiß ich auch, was du mit seinem Lächeln gemeint hast!"
„Und sein Akzent ist echt goldig! Wo kommt er denn her?"
„Aus Dänemark", antwortete ich, „Lasse übrigens auch."
„Ich wusste gar nicht, dass Dänemark so gut im Handball ist", sagte Anna. Ich lachte.
„Die sind auch gar nicht mal so gut! Nur dreimal hintereinander Weltmeister geworden!", antwortete ich.
„Oh...", lachte Nadine.
„Dann ist Mathias ja ein richtiger Promi!", stellte Anna fest.
Ich zuckte mit den Schultern.
„Ich würd' ihn nicht von der Bettkante stoßen!", grinste Nadine.
„Hey...", ermahnte Anna sie.
„Malia, entschuldige, das war nicht so gemeint!"
„Wenn dir das Gleiche passiert wäre wie Malia, dann würdest du anders reden!", beschwerte Anna sich, „sei doch einfach froh, dass sie überhaupt mal wieder verliebt ist!"
„Ich weiß...es tut mir Leid!"
„Schon okay...du meinst es ja nur gut...", antwortete ich.
„Also wenn ihr mich fragt, Mädels: Die Beiden brauchen 'nen ordentlichen Tritt in den Hintern!", hörten wir eine Stimme hinter uns und ich erschrak.
„Lasse!", stellte ich fest, „wie lange sitzt du schon da?"
„Lange genug!"
„Verschwinde!"
„Nein, lass ihn doch bleiben!", widersprach Anna.
„Deine Freundinnen scheinen mich zu mögen!", grinste er und hüpfte eine Reihe zu uns runter.
„Musst du nicht noch Autogramme schreiben?"
„Nein, ich bin gerade fertig geworden und habe jetzt ganz viel Zeit für dich!", grinste er.
„Na klasse!", lachte ich.
„Spaß beiseite, ich hab dich beim Physio angekündigt, er soll sich deinen Fuß angucken!", sagte er dann ernst, „du hättest echt nicht darauf rumlaufen dürfen!"
„Mathias hat mich mit Schmerzmitteln versorgt."
„Und das ist jetzt die Lösung oder was?! Der hätte dich mal besser untern Arm geklemmt und schon längst dorthin geschliffen!"
„Ich gehe am Montag zum Arzt", sagte ich nur.
„Der kann auch nichts machen, wenn der Fuß bis dahin weiter angeschwollen ist!", sagte Anna, „dann sieht man auch im MRT nichts mehr!" Lasse nickte. Dann klingelte mein Handy.
„Hallo Paul!", meldete ich mich.
„Ich suche Mathias...", sagte er, „schon wieder..."
„Moment", sagte ich und nahm das Telefon von meinem Ohr.
„Lasse, wo ist Mathias?"
„Im Kraftraum."
„Im Kraftraum? Heute?"
„Wer scheiße spielt muss doppelt ackern", sagte er und zuckte mit den Schultern.
„Hast du ihm das so gesagt?!", fragte ich genervt.
„Bin ich der Trainer?", stöhnte Lasse. Ich nahm Paul wieder an mein Ohr.
„Jaron hat ihn scheinbar zu Krafttraining verdonnert...", erklärte ich ihm.
„Jetzt?!"
„Ja, frag nicht mich Paul, mein Plan war ein anderer!"
„Hier warten Interviews auf ihn..." Ich stöhnte.
„Lasse könnte einspringen..."
„Sag Jaron einen schönen Gruß von mir, er soll sich seine Strafe in die Haare schmieren! Ich schnapp mir jetzt Mathias! Maus wird ungeduldig!", entschied Paul und legte auf. Ich war froh, dass Paul mir half, aber ganz nach Plan lief unser Fest wohl nicht. Ich konnte nur hoffen, dass sich unsere Nachbesserungen im Grenzen hielten....
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Traum und Wirklichkeit (Mathias Gidsel | Füchse Berlin FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt