Kapitel 5

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Als morgens mein Wecker klingelte, war ich gar nicht mal so müde wie gedacht. Sofort schoss wieder Adrenalin durch meinen Körper. Heute würde ich die gesamte Bundesligamannschaft der Füchse kennenlernen und Hans, Mathias, Lasse, Paul und Jerry wiedersehen. Ob ich die Möglichkeit hatte mit ihnen zu sprechen? Oder ob sie sich lieber auf ihre Mannschaftskollegen fokussieren würden? Und wie waren ihre Mannschaftskollegen eigentlich? Waren sie genau so locker und nett oder distanziert? Immerhin ging es für manche von ihnen auch um Vertragsverlängerungen zum Ende der Saison. Oder um Gehalt. Oder beides. Und das war früher oder später eben meine Aufgabe.

Ich versuchte, die negativen Gedanken aus dem Kopf zu kriegen und den Tag einfach auf mich zukommen zu lassen. Ich nahm mir vor, locker auf die Jungs zuzugehen und an die gestrigen Gespräche anzuknüpfen. Zuerst aber meldete ich mich bei Bob in der Geschäftsstelle.
„Ah Malia, komm rein! Wie war es gestern im Trainingszentrum?", begrüßte er mich und bat mir gleich einen Sitzplatz an.
„Gut, alles ist so groß und so professionell...ich war sehr beeindruckt!"
„Dann warte ab, bis du einmal in der ausverkauften Max-Schmeling-Halle stehst! Warst du schonmal bei einem Heimspiel in Berlin?"
„Noch nicht, nein."
„Du wirst es lieben!", versicherte er mir, „ich überprüfe gerade den Finanzhaushalt des letzten Monats, wenn du willst, zeige ich dir, auf was du da in Zukunft achten musst!" Ich nickte und setzte mich neben ihn an den Schreibtisch. Ich bin davon ausgegangen, dass wir sofort zum Trainingszentrum fuhren, aber dem war scheinbar doch nicht so. Stattdessen jonglierten wir nun mit Zahlen herum. Aber hey, das ist eben auch wichtig und es wird mein Job sein. Ich will nicht undankbar klingen. Bob gab sich wirklich große Mühe, mit alles genau zu erklären. Aber es war viel fürs erste Mal und ich machte mir einige Notizen, um mir alles merken zu können. Eins war klar: Bob war sehr genau und sehr kleinlich, achtete auf jeden Cent. Und dann plötzlich bat er mich aufzustehen. Wir tauschten die Plätze. Nun saß ich am PC und versuchte mich ein den ersten Buchungen und der Finanzplanung des nächsten Monats. Bob ließ uns sehr viel Zeit und verzieh kleine Nachfragen und falsche Mausklicke. Er war ganz anders, als er in den Medien dargestellt wurde. Zumindest bisher.
„So", sagte er nach zwei Stunden, „raucht der Kopf?"
„Ein bisschen", gab ich zu.
„Dann lass uns eine Pause machen und zum Trainingszentrum fahren. Die Jungs müssten gerade im Teambuilding-Seminar sitzen."
Es ging also endlich los. Mir kam die Fahrt unendlich lang vor. Bob schmiss nur so mit Informationen um sich, aber ich konnte mich kaum auf seine Worte konzentrieren. Ich hoffte, dass Mathias, Paul oder irgendwer sonst auf mich zukam statt umgekehrt. War da überhaupt Zeit neben dem Seminar?
„Malia? Hörst du mir zu?", riss mich Bob aus den Gedanken.
„Äh, sorry. Was sagst du?"
„Ob Kretzsche sich gestern schon um den Physio-Raum gekümmert hat wollte ich wissen."
„Ja. Ja, alles ist bereit." Ich schüttelte mich innerlich einmal und atmete durch. Wir waren da. Jetzt ging es plötzlich zu schnell, ich war nervös, ich wollte den Moment noch vor mir herschieben, doch jetzt war es soweit. Wir betraten die Halle, Bob wurde von vielen begrüßt und hob selbst zur Begrüßung die Hand. Unser Weg führte direkt zu den Seminarräumen. Bob klopfte und drückte die Türklinke runter. Im Raum war es laut. Die Tische und Stühle waren zur Seite geschoben, die Mannschaft aufgeteilt in zwei Gruppen. Sie balancierten auf DinA4 Blättern, die sie von hinten nach vorne in eine Reihe legten, um zur anderen Seite zu kommen. Sicher eine dieser vielen Vertrauensübungen. Pro Team hatten sie nur 7 Blätter, mit denen sie den Weg bestritten. Manche standen gerade so mit einem Fuß noch auf dem Blatt und hielten sich an den Teamkameraden fest. Mein Blick viel auf Mathias und Lasse, die gemeinsam in einem Team waren und deren Aufgabe es war, die Blätter von hinten nach vorne zu geben. Sie alle waren so beschäftigt, dass sie uns gar nicht bemerkten. Jerry, Paul und Hans waren im anderen Team und führten gerade. Je näher sie zum Ziel kamen, desto lauter wurde es im Raum. Und dann überquerte das Team schließlich grölend die Ziellinie und feierte sich als hätten sie ein K.o.-Match gewonnen.
„Sehr gut, sehr gut! Beide Teams!", lobte sie ein mir unbekannter Mann und klatsche, „ihr ward beide sehr schnell und habt gut zusammengearbeitet. Darauf kommt es an! Ihr könnt die Tische und Stühle wieder zurückstellen und euch setzen, dann machen wir weiter!" Der Mann schien wohl der Seminarleiter zu sein. Er redete kurz mit Jaron Siewert, dem Trainer der Füchse, bevor dieser dann auf Bob und mich zukam. Wir standen noch immer im Eingang.
„Jaron, das ist Malia, sie gehört jetzt zum Team der Geschäftsstelle und wird mich öfter begleiten", stellte Bob mich vor. Jaron gab mir die Hand.
„Ahhh, ja ich habe schon gehört, dass du Unterstützung bekommen wirst. Herzlich Willkommen bei uns, Malia!"
„Vielen Dank."
„Kommst du aus Berlin?"
„Nein, von weiter weg. Richtung Köln."
„Oh, dann ist das sicher jetzt eine aufregende Anfangszeit. Ich wünsche dir einen guten Start und wenn mal was ist, einfach Bescheid sagen!"
„Danke!"
„Leute, bevor wir weitermachen, einmal herhören!", rief Jaron dann in die Runde und hatte schnell die komplette Aufmerksamkeit, „ich möchte euch gerne jemanden vorstellen: Das ist Malia, sie ist neu in der Geschäftsführung und verstärkt ab jetzt unser Team!" Die Jungs klatschten kurz, was mir sehr unangenehm war.
„Wir sind gerade dabei das Team zu stärken und haben uns Kevin", Jaron zeigte auf den Mann, der eben die Anweisungen gegeben hatte, „eingeladen. Und wie ihr gesehen habt sind wir schon inmitten der Übungen."
„Setzt euch gerne dazu!", lud Kevin uns ein. Ich sah mich kurz um, es waren keine zwei Plätze mehr nebeneinander frei. Die Tische waren in einer U-Form gestellt, sodass jeder jeden gut sah. Bob nickte und setzte sich ganz nach vorne neben Fabian Wiede. Ich sah mich wieder kurz um. Lasse griff nach seinem Rucksack, der auf dem Stuhl neben ihm stand und stellte ihn auf den Boden. Dann wank er mich zu ihm. Also setzte ich mich zwischen ihn und Mijajlo Marsenic.
„Hey", flüsterte Lasse während Kevin schon weitersprach, „gut geschlafen?"
„Viel zu kurz und du?"
„Mein Sohn hat mich ab fünf Uhr nichtmehr schlafen lassen", erklärte er und lächelte dann.
„Oh...", ich erschrak kurz, ich hätte nicht gedacht, dass Lasse schon Vater war. Wie alt war er denn? Ich hätte ihn auf Anfang/Mitte 20 geschätzt und definitiv mehr als Draufgänger und weniger als Familienvater eingeordnet. So leicht konnte man sich täuschen. Unser Gespräch endete an diesem Punkt auch schon und wir hörten Kevin zu. Mein Blick schweifte durch den Raum. Alle anderen Blicke waren nach vorne zu Kevin gerichtet. Ich ging die Reihen weiter durch und stoppte bei Mathias, der mich daraufhin kurz ansah und dann lächelte. Ich erwiderte sein Lächeln und sah wieder nach vorne zu Kevin. Und ich freute mich über diesen kurzen Blickkontakt. Als nächste Übung bekam jeder einen Edding und einen bunten Streifen Pappkarton ausgeteilt und sollte aufschreiben, welches Ziel ihm am wichtigsten war. Auch ich bekam einen Zettel und einen Stift, was mich kurz irritierte. Aber gut, machte ich halt mit. Ich spickte kurz bei Lasse. Er schien noch zu überlegen.
„Hey", flüsterte er dann, „wie schreibt man Meisterschaft?" Ich lächelte, schrieb ihm das Wort auf und tauschte unsere Zettel, sodass ich wieder den leeren vor mir hatte. Ich schrieb nach langem Überlegen auf ein Wort auf und drehte den Zettel dann um. Sicher war es irgendwie blöd.
„Seid ihr alle fertig?", fragte Kevin, „ich möchte, dass jeder von euch nach vorne kommt und erklärt, warum sein Ziel für ihn wichtig ist." Oh nein, nicht wie in der Schule! Das habe ich schon immer gehasst.
„Wer möchte starten?", fragte Kevin in die Runde, alle sahen sich um und keiner meldete sich. Sagte ich doch: Wie in der Schule.
„Ich würde sagen Ladies first!", hörte ich auf einmal Bobs Stimme. Alle Blicke lagen wieder auf mir. Schüchtern stand ich auf und ging nach vorne.
„Ja...also ich habe ‚Vertrauen' aufgeschrieben", begann ich und drehte den Zettel, sodass jeder ihn lesen konnte, „weil...ich denke, dass das die Basis von allem ist. Man muss seinen Teamkollegen vertrauen, dem Trainer und letztendlich sich selbst, um Erfolg zu haben."
„Ja, sehr gut, danke dir", erlöste Kevin mich und es wurde wieder geklatscht. Furchtbar. Ich pinnte meinen Zettel an die große Tafel und durfte mich wieder setzen. Danach war Bob dran.
„Ich habe ‚Leistung' aufgeschrieben. Ich erwarte von jedem einzelnen hier, dass er sich anstrengt und bereit ist, in jeder einzelnen Minute mehr als 100% zu geben. Wir wollen die Meisterschaft, die Champions League Qualifikation, dann müssen wir auch so hart an uns arbeiten wie Champions. Jeder einzelne von euch!" Wow, da war er wieder. Der andere Bob. Der, der den Medien bekannt war und der verdammt viel Druck ausüben konnte. Als er sprach war Funkstille, keiner rührte sich. Die Aura dieses doch recht kleinen Mannes reichte wahrscheinlich um ganze Arenen zum Schweigen zu bringen. Ich spürte, ich ich automatisch leicht nickte. Vielleicht um ihn zuzustimmen. Wohl eher aber weil ich realisierte, wie hart die ersten Wochen wirklich werden...

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Traum und Wirklichkeit (Mathias Gidsel | Füchse Berlin FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt