Kapitel 21

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Der Außenbereich der Max-Schmeling-Halle füllte sich immer mehr mit Besuchern. Ich war so glücklich, dass viele Leute bei diesem tollen Wetter unsere Veranstaltung statt das Freibad wählten. Um 11 Uhr begann pünktlich das erste Spiel: Berlin gegen Leipzig. Daher waren die Jungs vorher auf dem Feld geblieben, um sich warmzumachen und bekamen die Stimmung hier oben vor der Halle nicht mit. Viele Familien mit Kindern waren gekommen. Die Schlange vor dem Fanshop mit den neuen Saisontrikots war riesig. Ein weiterer Grund, um aufzuatmen. Ich bekam mich zum Anpfiff in die Halle und beobachtete das Spiel. Man sah beiden Mannschaften an, dass sie nicht mehr oder noch nicht ganz so eingespielt waren, wie zur laufenden Saison. Aber genau dafür war das Sommerfest eben auch da: Die Trainer konnten schauen, woran sie noch arbeiten mussten.
Das Spiel war geprägt von vielen Ballverlusten. Am Ende gewannen die Füchse mit vier Toren. Das war schonmal ein gelungener Start. Ich verließ die Halle wieder und setzte mich auf eine Bank in die Sonne. Ich genoss einfach mal kurz die Atmosphäre. Es wurde immer voller und voller, Marsa, Hákun und Matthes schrieben fleißig Autogramme.
„Überraschung!", hörte ich auf einmal jemanden hinter mir rufen. Anna und Nadine.
„Was macht ihr denn hier?!", fragte ich verwirrt und umarmte die Beiden.
„Wir haben doch gesagt, dass wir zum Sommerfest kommen!", antwortete Anna.
„Ja, aber seitdem habt ihr kein Wort mehr darüber verloren!"
„Dann wäre es ja auch keine Überraschung mehr!", sagte Nadine.
„Sieht ja super aus, hier! Wir haben eben schonmal eine Runde gedreht, hast du das alles alleine organisiert?!", fragte Anna.
„Mehr oder weniger. Ja", zuckte ich mit den Schultern.
„Respekt!"
„Na gut, was wollt ihr trinken?", fragte ich.
„Nein, nein! Du bleibst sitzen und legst den Fuß hoch! Wir kümmern uns", widersprach Anna. Die beiden verabschiedeten sich kurz. Aber lange alleine war ich trotzdem nicht, denn Lasse näherte sich und setzte sich zu mir an den Tisch.
„Sag mal, hast du Mathias gesehen?", fragte er und stellte seine Portion Currywurst-Pommes und seine Cola auf den Tisch.
„Nein", antwortete ich knapp.
„Hm, wird schon wieder auftauchen!", sagte er und fing an zu essen.
„Ähm, Lasse?"
„Hm?"
„Du weißt, dass du noch einen anstrengenden Tag vor dir hast!", lachte ich und deutete auf sein fettiges Essen, „nicht, dass ich gleich mit 'nem Eimer hinter dir her rennen muss!"
„Das will ich sehen du Krüppel!", lachte er und aß weiter.
„Ja vielen Dank auch!", lachte ich und schüttelte den Kopf. Dann kam auch Nils zu uns und setzte sich.
„Voll viel los hier!", strahlte er und zückte sein Handy, „die Stimmung in der Halle eben war wie bei einem Bundesligaspiel! Alle brüllen deinen Namen...das hab ich vermisst!"
„Du hast ja auch super gespielt!", lobte ich ihn.
„Und ich nicht?!", fragte Lasse.
„Ich würd sagen, wir haben Mathias beide ziemlich den Arsch gerettet!", lachte Nils, „was ist denn mit dem gewesen?!"
Lasse zuckte nur mit den Schultern und sah mich kurz an. Dann widmete er sich wieder seinem Essen.
„Er wird bestimmt gleich wieder besser spielen!", lächelte ich.
„Wo ist der überhaupt? Normalerweise hängt der doch immer bei euch rum", fragte Nils dann.
„Der wollte eigentlich auch was essen. Vielleicht will er einfach seine Ruhe haben!", antwortete Lasse und sah mich wieder an. Diese Andeutungen von ihm...wusste er, was zwischen uns war? Mich überkam ein Schauer bei seinem Blick. Es war kein neutraler Blick von ihm. Er kam mir etwas vorwurfsvoll vor. Oder ich bildete es mir ein. Aber solange Nils hier war, konnte ich ihn nicht fragen. Nadine und Anna kamen wieder zurück und setzten sich gegenüber von uns an den Tisch. Sie hatten mir eine Apfelschorle mitgebracht.
„Wir dachten, Lillet trinken wir lieber nach Feierabend!", sagte Nadine grinsend.
Lasse schaute zwischen den beiden hin und her. Er hätte sich auch einfach vorstellen können. Aber so machte ich das eben.
„Ja also...das sind meine besten Freundinnen aus Köln, Nadine und Anna. Und das sind Nils und Lasse!" Sie gaben sich gegenseitig die Hand.
„Ihr seid extra aus Köln gekommen?", fragte Nils und die beiden nickten, „coole Freunde hast du!"
„Die Besten!", stimmte ich zu.
„Lasse!", rief plötzlich Jaron und kam auf uns zu. Lasse verschluckte sich vor Schreck, schob mir seinen Teller rüber, tauschte unsere Getränke und spuckte den Rest seines Essens in eine Serviette, die er unterm Tisch verschwinden ließ.
„Hm?", murmelte er und hustete dabei. Ich schlug ihm auf den Rücken.
„Alles gut bei dir?", fragte Jaron irritiert nach. Lasse zeigte ihm einen Daumen nach oben.
„Ich brauch dich gleich 10 Minuten vor Spielbeginn für ein Interview."
„Hmm", machte Lasse wieder und hustete weiter.
„Trink doch mal was, Mensch!", meckerte Jaron. Also nahm Lasse mein Glas und trank einen Schluck. Ich klopfte ihm nochmal auf den Rücken und grinste dabei. Selbst schuld! Nadine und Anna sahen uns irritiert an.
„Besser?", fragte Jaron.
„Ja. 10 Minuten vorher. Alles klar!", wiederholte er.
„Guten Appetit, Malia", lächelte Jaron noch, bevor er verschwand. Lasse sah ihm noch kurz hinterher.
„Sorry Leute, wenn er mich das hier essen sieht", er deutete auf seinen Teller, der nun vor mir stand, „sitze ich heute nur noch auf der Bank!", entschuldigte Lasse sich und zog seinen Teller wieder vor sich.
„Und jetzt ist du einfach genüsslich weiter", stellte ich fest, stemmte meinen Arm auf den Tisch und legte meinen Kopf darauf. Lasse zuckte mit den Schultern.
„Unglaublich...", stöhnte ich und Nils lachte.
„Jaron wird dich umbringen!", warf er ein.
„Er muss nicht alles wissen!", entgegnete Lasse und tauschte unsere Getränke wieder. Nadine und Anna grinsten, aber blieben noch längere Zeit still, antworteten auf meine Fragen, aber fingen selbst kein Gespräch an. Ihre Blicke waren die ganze Zeit bei Lasse. Als er und Nils schließlich aufstanden, um zurück zur Halle zu gehen, kamen wir erst wieder richtig ins Gespräch.
„DAS ist Lasse?!", fragte Anna.
„Der ist so heiß!", sagte Nadine.
„Der ist völlig verpeilt wie ihr vielleicht gerade gesehen habt!", lachte ich.
„Er ist total witzig!", strahlte Anna.
„Zieht der später auch mal sein Trikot aus?!", sagte Nadine und die beiden grinsten sich an.
„Hey! Finger weg von Lasse!", sagte ich ernst.
„Schon gut, wir sind ja auch eigentlich hier, um deinen Mathias mal abzuchecken!", erklärte Anna.
„Er ist nicht MEIN Mathias...und ich hab ihn vorgestern nen ziemlichen Korb gegeben. Ich kann froh sein, wenn er noch mit mir spricht!", gestand ich.
„Bitte was hast du?! Warum?", fragte Nadine entsetzt.
„Shhhh! Die Leute gucken!", flüsterte ich und sah mich um.
„Was hast du getan?!", fragte Nadine nochmal leiser.
„Wir haben uns getroffen...er hat mich geküsst, wir haben rumgeknutscht...und als er mehr wollte, hab ich ihn abblitzen lassen..."
Die beiden öffneten die Mund vor Erstaunen.
„Und das erzählst du nicht?!", fragte Anna, ich zuckte mit den Schultern.
„Ich hab richtig Scheiße gebaut, Mädels! Ich hab ihm vorgeworfen, dass er nur Spaß will. Ich hab ihn nichtmal ausreden lassen! Ihr hättet seinen Blick sehen müssen! Er wusste überhaupt nicht, was los war!"
„Malia, so kennen wir dich gar nicht!", lachte Nadine. Ich vergrub meinen Kopf unter meinen Armen.
„Ich hab mir geschworen, dass mir nie wieder so etwas passiert, wie mit Chris!", erklärte ich, „das packe ich nicht nochmal!"
„Und Mathias hat dir das gleiche Gefühl gegeben?", fragte Anna.
„Ja. Nein. Keine Ahnung...", murmelte ich.
„Vielleicht war es richtig, ihn erstmal auf Abstand zu halten, bis du dir über deine Gefühle im Klaren bist!", sagte Nadine und griff nach meiner Hand.
Wir drehten und ein bisschen im Kreis. Ich widersprach mir ständig selbst. Ich wusste, dass ich verliebt war. Aber ich hatte eben auch große Bedenken. Und das zu formulieren war unfassbar schwer.
Unsere Wege trennten sich allmählich wieder. Ich verschaffte mir einen neuen Überblick, schaute kurz bei Herrn Maus vorbei, der noch immer lächelte und zufrieden aussah und ging dann zurück in die Halle. Das nächste Spiel der Füchse stand an. Diesmal gegen Balingen. Und - was sollte ich sagen? Mathias spielte wirklich schlecht. Aber das lang doch nicht an mir! Da konnte Lasse mich noch so böse anstarren! Der sah Mathias übrigens oft irritiert an, nahm ihn bei Unterbrechung der Schiris beiseite und schüttelte ihn. Er war total genervt von seinen Ballverlusten. Und Jaron wahrscheinlich auch. Nach dem Seitenwechsel und der ersten, verkürzten Halbzeit wurde Mathias etwas besser. Aber er spielte deutlich unter seinem Niveau, wenn er auch am Ende sechs Tore verzeichnen konnte. Das Spiel wurde mit acht Toren gewonnen. Wir waren noch auf Kurs und von Mal zu Mal beruhigte es mich, wie gut es doch trotz Leistungsabfall eines Stammspielers lief. Trotzdem tat es mir Leid für Mathias. Nach Abpfiff stemmte er seine Arme in die Seite und atmete schwer. Er schien fix und fertig und sah gequält auf das Endergebnis. Ich musste mit ihm reden. Ich hätte ihn am liebsten umarmt und vergessen, was zwischen uns war. Als ich aus der Halle kam, war die Schlange am Autogramm-Tisch schon wieder sehr lang. Aber noch ging es nicht los, die Spieler mussten erstmal durchatmen.
„Dein Mathias hat aber heute nicht seinen besten Tag erwischt, oder?", kam Nadine auf mich zu. Ich zuckte mit den Schultern.
„Eigentlich ist er richtig gut!"
„Vielleicht denkt er genau so viel nach wie du!"
„Nadine! Nicht du auch noch...ich beeinflusse doch nicht seine Leistung auf dem Spielfeld!", widersprach ich. Wir setzten uns auf eine Bank. Ich legte erstmal an diesem Tag meinen Fuß hoch. Doch lange hielt die Ruhe nicht. Mein Handy klingelte. Es war Bob.
„Malia? Wo ist Mathias?", fragte er gestresst.
„Ich hoffe er schreibt gerade Autogramme", antwortete ich.
„Ja, genau da ist er eben nicht!"
„Bob, beruhig dich, er ist erst fünf Minuten zu spät! Ich kümmere mich drum!"
Ich legte auf und schüttelte den Kopf. Sobald es stressig wurde, verfiel Bob in alte Muster. Aber was waren denn bitte schon fünf Minuten? Mathias würde mich schon nicht hängen lassen. Er wusste doch, wie wichtig die Außenwirkung war. Vor allem aber wusste er, wie wichtig es mir war. Er spielte doch nicht absichtlich schlecht und würde doch nicht absichtlich zu spät kommen, oder? Ich überlegte. Sollte ich ihn wirklich anrufen? Furchtbar unangenehm, wenn das Erste, was ich nach unserer missglückten Aussprache zu sagen hatte war, dass er zu spät zu einem Termin kam. Also versuchte ich es erstmal bei Paul.
„Ja, was gibt's?", meldete er sich.
„Paul, hi. Bob ist auf der Suche nach Mathias...du hast ihn nicht zufällig gesehen?"
„Lasse hat ihn beiseite genommen", antwortete er.
„Wie? Was soll das heißen?"
„Er hat ihn eben nach dem zweiten schlechten Spiel in der Kabine angeschrien und ihn dann mitgenommen. Keine Ahnung, wo die beiden sind..."
Ich seufzte.
„Na toll...Mathias sollte jetzt bei der Autogrammstunde sein!"
„Ich hab ihn schon angerufen, sein Handy liegt im Spind", antwortete Paul.
„Bob reißt mir den Kopf ab! Und der Zeitplan"
„Malia, das ist nicht deine Schuld! Die Beiden tauchen bestimmt gleich wieder auf. Entspann dich!", sagte er.
„Die Schlange wird immer länger! Ich suche sie!", beschloss ich, legte auf, stand auf und ging schnellen Schrittes zurück in die Arena. Irgendwo in den Katakomben mussten die beiden ja stecken.
„Malia, deine", hörte ich Nadine noch, aber ich war viel zu schnell weg. Ich hinkte die Treppen hinunter zu den Kabinen und rief mehrfach nach Lasse. Nichts. Keine Reaktion. Sie konnten doch nur hier sein! Von weitem kam mir Jerry entgegen.
„Malia, was", begann er.
„Wo sind Lasse und Mathias?", fragte ich gestresst.
„Äh, die sind eben aus der Kabine raus..."
„Und wohin?"
„Keine Ahnung..."
Ich stöhnte.
„Du sag mal, hast du nicht was vergessen?", fragte er und sah an mir runter. Ich griff in meine Hosentasche und kramte meine Notizen heraus. Mit zitternden Händen las ich drüber. Was hatte ich vergessen?
„Nein!", antwortete ich. Ich hatte nichts vergessen!
„Doch!", entgegnete er und zeigte auf meinen Fuß. Meine Krücken. Ich hatte sie bei Nadine stehen lassen!
„Oh...", antwortete ich und hob den kaputten Fuß wieder hoch, als ich realisierte, was ich gerade getan hatte.
„Darfst du darauf rumlaufen?!", fragte er erschrocken, wohlwissend, dass meine Antwort ein klares ‚Nein' war. Er kam sofort näher und legte einen Arm um meine Hüfte, um mich zu stützen.
„Scheiße...", murmelte ich und hielt mich an seiner Schulter fest.
„Tut das nicht weh?!", fragte er.
„Noch nicht...ich geh meine Krücken holen!"
„Gar nichts wirst du machen! Du bleibst hier, ich gehe! Wo hast du sie stehen lassen?"
„Oben auf der Wiese, an einer Bank neben dem Glücksrad."
„Okay", nickte er, stützte mich ein paar Meter weiter bis zu einem Stuhl. Als ich darauf saß, ging er schnellen Schrittes aus der Halle. Und nun saß ich hier. Ohne auch nur irgendeine Ahnung, was oben vor sich ging und ob Mathias vielleicht nicht doch aufgetaucht war. Denn falls nicht, hatte ich zur Abwechslung auch mal einen richtigen Grund, sauer auf ihn zu sein!
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Neuer Tag, neues Kapitel :)
Und wie immer wäre ich super dankbar für Rückmeldung :)

Traum und Wirklichkeit (Mathias Gidsel | Füchse Berlin FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt