Kapitel 31

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Nicht ganz so deutlich wie beim Sommerfest, aber immerhin mit zwei Toren gewannen wir das Spiel in Leipzig. Damit war ein positiver Saisonauftakt geglückt und entsprechend ausgelassen war die Stimmung im Bus. Es wurde gesungen und Bier getrunken. Die ganzen strengen Regeln der Vorbereitung waren dahin. Ob das normal war? Ich saß auf der Rückfahrt neben Mathias am Fenster. Wie abgesprochen war er etwas distanzierter und drehte sich eher in den Mittelgang zu seiner Mannschaft. Das war mir aber auch ganz recht, so konnte ich einfach mal entspannen. Ich sah gerne aus dem Fenster und beobachtete, wie die Natur praktisch an mir vorbeiflog. Ich konnte dabei immer gut nachdenken. Und ehe ich mich versah, waren wir auch schon wieder in Berlin angekommen.
„Du warst so still!", stellte Mathias fest.
„Müde...", murmelte ich. Wir gingen aus dem Bus und ließen den anderen den Vortritt, ihre Sporttaschen auszuladen.
„So müde, dass du möchtest nicht mit zu mir?", flüsterte er, als wir etwas abseits standen. Ich lächelte ihn an. Er kannte die Antwort. Wir mussten nur zu unterschiedlichen Zeiten losgehen. Da ich nicht auf die Schlange am Bus warten musste, verabschiedete ich mich direkt und ging schonmal langsam vor - dachte ich.
„Malia!", rief Jerry. Er hatte bereits seine Tasche und zog sie auf den Rollen hinter sich her, „ich begleite dich noch ein Stück!"
„Cool", lächelte ich. Nein, absolut nicht cool, Jerry. Ich wollte nämlich gar nicht nach Hause...ob er in meiner Nähe wohnte?
„Und wie war's? Dein erstes Auswärtsspiel?"
„Das fragst du mich?!", lachte ich, „du hast doch gespielt!"
„Ja und hast du den Dreher gesehen, den wir in der Vorbereitung zusammen geübt haben?!"
Ich nickte.
„Der klappt jetzt. Ich hab mich lange nichtmehr getraut, diesen Wurf zu machen, aber heute war es eine gute Entscheidung."
„Ja, das war ein guter Wurf", stimmte ich zu.
„Ich hab nach dem Tor kurz hoch in die Ränge geschaut, ich musste an dich denken!"
„Oh, Jerry...", stammelte ich, „ähm...ich bin da der schlechteste Ansprechpartner, meine Bälle haben kaum mein Handgelenk verlassen geschweige denn den Weg zum Tor gefunden!"
„Aber du warst da. Ich spiele immer gut, wenn du da bist. Also bitte werd nicht krank!"
„Hatte ich nicht vor..."
„Was hast du denn vor? Zum Beispiel heute Abend?"
„Wieso fragst du?" Oh man, Malia, wieso fragte er wohl?!
„Naja, du hast meine neue Wohnung noch nicht gesehen! Meine Regale, die Mathias angebracht hat sind übrigens gerade!" Ich lachte bei seiner Anekdote an den ersten Abend.
„Also?", fragte er nochmal. Ich seufzte.
„Ehrlich gesagt hab ich schon was vor...ich treffe einen...alten Bekannten..."
„Oh, na gut, dann vielleicht ein anderes Mal!"
„Klar, warum nicht", stimmte ich zu.
„Ich fänd's cool, wenn wir nochmal die Chance bekommen, alleine zu sprechen. Ohne blöde Kommentare von den Jungs."
Ich lächelte ihn an und sah dann wieder vor mich auf die Straße.
„Und...dieser Freund ist nur ein Freund? Oder mehr...", fragte er dann.
„Nur ein Freund", nickte ich.
„Ich wundere mich nur, dass so eine schöne Frau wie du noch single ist...du wartest auf den Richtigen, oder?"
Ich zuckte mit den Schultern.
„Ja, schätze schon..."
„Vielleicht ist der Richtige gar nicht so weit entfernt...auch wenn man ihm erstmal einen Korb gibt", lächelte er.
„Ja vielleicht...", antwortete ich nur.
„Es war übrigens die erste Busfahrt, die wirklich Spaß gemacht hat. Ich habe die ganze Zeit beobachten können, wie du lächelst...das war schön." Ich blieb kurz stehen und überlegte. Spreche ich ihn drauf an oder lasse ich es sein?
„Was?", fragte er unschuldig lächelnd.
„Jerry? Bitte hör auf mich anzuflirten...", murmelte ich und sah ihn entschuldigend an. Es dauerte einen Moment. Es war ein unangenehmer Moment. Für ihn genau so wie für mich auch.
„Schon gut...ich weiß, dass du Mathias im Blick hast...und er dich auch."
Ich lächelte wieder. Es war noch immer zu offensichtlich...
„Ich wollte nur klar machen, dass ich auch da bin, falls...du deine Meinung änderst", sagte er und biss sich auf die Unterlippe. Ich sah kurz weg von ihm.
„Hey, wir sind Freunde", sagte er und nahm meine Hand, „das sind wir doch, oder?" Waren wir das schon? Viel hatten wir ja nicht miteinander zu tun...
„Ja", sagte ich trotzdem. Jerry war nett. Sehr nett. Und ich mochte ihn.
„Und das ist völlig okay so! Es ist alles gut, wenn du mit Mathias glücklich wirst. Ich wollte nur sagen...falls nicht, hätte ich einfach gern 'ne Chance!"
„Ach Jerry, was soll ich denn jetzt sagen?", murmelte ich und fasste mir an den Kopf.
„Nichts. Ich wollte nur, dass du das weißt!"
Er legte einen Arm auf meinen Rücken und umarmte mich dann.
„Das...äh...bleibt unter uns, okay?", fragte er nochmal nach. Ich nickte lächelnd.
„Ich danke dir für deine Ehrlichkeit! Und es wird nichts zwischen uns ändern!"
Jerry nickte erleichtert.
„Ich wollte auch nichts kaputt machen! Weder mit dir noch mit der Mannschaft..."
„Hast du auch nicht", stimmte ich zu.
Bei der ersten U-Bahn trennten sich unsere Wege dann. Ich schlurfte mehr oder weniger zu Mathias Wohnung, um nicht zu lange davor warten zu müssen. Aber ich konnte mir die Zeit gut vertreiben. Zum Beispiel mit der WhatsApp-Gruppe mit Nadine und Anna. Ich berichtete per Sprachnachricht von meinem Tag und kam Mathias' Wohnung immer näher. Ich lehnte mich an die Hauswand und wartete dort auf ihn. Wenige Minuten später antwortete Nadine auch schon:
„Lasse hat dich ja richtig angebaggert! Ich würde das nicht mit Mathias machen, wenn ich wüsste, dass meine beste Freundin in ihn verknallt ist...", schrieb sie.
„Er wollte Mathias eifersüchtig machen. Er dachte wir belassen es bei Freundschaft. Aber ich hab ihm dann die Wahrheit gesagt", antwortete ich.
„Trotzdem nicht schön für Mathias! Der ist so süß, das hat er nicht verdient!"
„Ich habe Lasse auch immer wieder gesagt, dass er aufhören soll. Ich bin nicht drauf eingegangen."
„Du musst Mathias auf jeden Fall sagen, dass das nicht ernst war! Wenn du ihn schon so zappeln lässt..."
„Das werde ich!", antwortete ich noch, dann kam ein lächelnder Mathias auf mich zu und umarmte mich.
„Na?", begrüßte er mich, „hast du lange gewartet?"
Ich schüttelte den Kopf. Wir betraten seine Wohnung, Mathias stellte die Trainingstasche in die Ecke des Flurs und kam dann wieder auf mich zu. Seine Hände griffen an meine Wangen, er zog mich an sich heran und küsste mich sofort. Es war ein so schönes Gefühl, ihm endlich wieder nah zu sein. Der Kuss war voller Leidenschaft. Man merkte, dass wir uns gegenseitig vermisst hatten.
„Das wollte ich schon die ganze Tag machen!", gab er zu, als wir uns lösten. Ich sah kurz zu Boden und griff nach seinen Händen, die zuvor noch immer auf meinen Wangen lagen.
„Ja...du...äh...hör mal...", begann ich und sah ihm dann wieder in seine wunderschönen Augen, „das mit Lasse"
„War richtig gemein", vervollständigte er den Satz. Ich erschrak kurz. Mathias' Lächeln verschwand und er sah mich ernst an. Wir verlagerten das Gespräch ins Wohnzimmer und setzten uns auf seine Couch. Innerlich schmunzelte ich vielleicht kurz, als mir auffiel, dass wir Krisengespräche immer hier führten. Aber eigentlich war ich angespannt.
„Wieso können wir nicht einfach sagen, dass wir verliebt sind?", fragte er dann. Ich seufzte.
„Weil...weil ich erst sicher sein will, dass es funktioniert mit uns."
„Das ist ein blöde Grund!", stöhnte Mathias.
„Weil ich nicht weiß, wie der Vorstand darauf reagiert...", versuchte ich es noch einmal.
„Ich denke sie sind okay damit."
„Weil...weil ich berufliches und privates trennen will...", zählte ich weiter auf.
„Aber das ist so anstrengend!", stöhnte Mathias, „es ist wie eine Verbot! Und ich möchte zeigen, dass ich glücklich bin, wenn ich mit dir bin!"
Ich seufzte.
„Und ich möchte dich beschützen, wenn Lasse macht zu viel mit dir!"
„Das wird er nichtmehr! Ich hab ihm gesagt, dass wir uns treffen."
„Ich weiß, er hat mir das geschrieben", erklärte er, „aber es war trotzdem blöd für mich!"
„Ich wollte ihn abwimmeln! Mathias, es tut mir Leid, ich wollte dich nicht verletzen!"
„Dann bitte lass mich endlich näher an dich heran! Weil das Nein tut am meisten weh!", erklärte er. Ich drückte seine Hände, nach denen er eben gegriffen hat und wandte kurz den Blick von ihm.
„Das ist...nicht so einfach für mich...", flüsterte ich. Mathias löste eine Hand von meiner, legte sie unter mein Kinn und drückte sanft meinen Kopf nach oben, sodass ich ihn wieder ansehen musste.
„Ich bin nicht Chris. Und ich werde das nie sein. Das ist doch, wovor du Angst hast, oder?"
Ich überlegte, zuckte mit den Schultern und nickte dann.
„Das ist vorbei und jetzt, es wird alles nur besser!"
„Aber die anderen"
„Warum ist dir so wichtig, was die anderen denken?! In der Kabine, sie ärgern mich, nicht dich. Und das ist okay, aber wie gerne will ich einfach sagen, dass du gehörst mir!"
Meine Augen wurden groß und ich schluckte.

Traum und Wirklichkeit (Mathias Gidsel | Füchse Berlin FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt