Kapitel 38

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Ich erwartete viel Spannung und Nervenkitzel bis zum Ablauf der 60 Minuten Spielzeit. Ich erwartete einen laute Halle und puren Willen der Jungs. Und ich erwartete aber auch, dass der SCM es uns nicht leichtmachen würde...und was soll ich sagen? Die Füchse hielten nicht nur gut mit sondern führten auch fast das ganze Spiel über mit durchschnittlich drei Toren. Milo glänzte mit elf Paraden. Es war noch viel lauter in der Halle, als beim Sommerfest. Die Fans rastet schon aus, freuten sich, lagen sich in den Armen, schreien förmlich die Namen der Spieler bei jedem einzelnen Tour oder bei jeder Parade von Milo. Es war ein unbeschreibliches Gefühl dieses erste Heimspiel in dieser Art miterleben zu können. Wenn das Alltag war, dann möchte ich, dass es niemals endet. Dann möchte ich für immer hierbleiben. Diese Hitze, diese Atmosphäre, dieses Wir-Gefühl, all das ist mir in Köln bisher verwehrt geblieben. Und das, obwohl ich damals kein Geld bekommen habe für meine Arbeit, meine Zeit, meine Nerven und mein Herzblut, was in diesem Projekt steckte. Hier war bislang alles anders und das musste ich mir langsam auch eingestehen. Auch Mathias gegenüber. Auch für ihn. Ein kleiner Dämpfer in diesem Spiel war wohl die blaue Karte gegen Janus Daði Smárason, die im Laufe des Spiels, sowohl in den Zuschauerränge als auch bei den Offiziellen kritisiert und heiß diskutiert wurde. Viele Füchse-Fans waren, vielleicht froh über diese Entscheidung schließlich war Smárason ein wichtiger Schlüsselspieler und gefährlich für die Füchse. Aber der neutrale Handball-Fan in mir war gar nicht zufrieden mit dieser Entscheidung. Sei's drum - ändern konnten wir es eh nicht. Und so überwog die Freude über den deutlichen Sieg mit 31 zu 26 gegen unseren Derbygegner. Großes Aufatmen in den Rängen der Offiziellen. Besser hätte ein erstes Heimspiel nicht laufen können. Besser hätte auch die Stimmung nicht sein können. Besser hätte mein Geburtstag nicht sein können. Die Jungs blieben noch auf dem Feld für Interviews, Autogramme, Fotos und wahrscheinlich auch einfach, um die Stimmung noch bis zum Schluss genießen zu können. Als die Halle nach über einer Stunde an endlich leer war, organisierte ich ein paar Kisten Bier und ließ sie von Mathias und Paul runter zum Spielfeld tragen.
„Wir müssen noch singen!", schlug Lasse vor.
„Auf keinen Fall!", wehrte ich mich, doch er stimmte schon die ersten Töne von ‚Happy Birthday' an und die Jungs stiegen mit ein. Wie unangenehm. Was tat man in so einem Moment? Eigentlich doch jedes Jahr das gleiche: einfach lächeln und hoffen, dass es sofort wieder vorbei ist. Und seien wir ehrlich: wenn man selbst gesungen wird, scheint dieses Lied gleich fünf mal so lang, wie es eigentlich ist. Und genauso unangenehm war es dann auch. Ich stand und stand und stand und wartete nur darauf, dass es vorbei war. Auch wenn ich mich sehr freute über die Geste. Und über das überdurchschnittlich schlechte Gröhlen der Jungs. Ich klatsche anerkennend und Jungs stiegen mit ein.
„Vielen Dank!", lächelte ich, „bedient euch!"
Nach und nach wurde das Bier verteilt. Wir saßen auf dem Hallenboden in einem Kreis zusammen und quatschen über das Spiel, über das letzte Training und sogar kurz noch mal über das Sommerfest. Nach wie vor diesem Fest gewesen zu sein, was mich natürlich sehr freute. Mathias setzte sich neben mich in den Kreis und legt ein Arm um meine Schultern.
„Aber das nächste Mal, du sagst Bescheid, wenn es ist etwas zu feiern! Ich hätte wissen müssen, wann du hast Geburtstag!", beschwerte er sich, aber lächelte dabei. Wie konnte er auch nicht? Nach so einem gelungenen Heimspiel.
„Tut mir Leid...ich mache mir nun mal nicht so viel aus meinem Geburtstag..."
„Und genau das werde ich nun Jahr für Jahr ausnutzen!", lachte Lasse und setzte sich auch zu uns. Es war nun wie am ersten Abend bei mir zu Hause. Die Mannschaft hatte sich etwas in kleinen Gruppen verteilt und meine Kleingruppe, in der wir nun quatschen, waren Mathias, Lasse, Hans, Paul und Jerry.
„Ich hatte befürchtet, dass du das sagst", antwortete ich Lasse lachend.
„Ach, komm schon, Malia! Das ist ein schöner Anlass!", lächelte Hans.
„Ich bin mehr so der Mensch für den Hintergrund", erklärte ich.
„Heute nicht!", sagte Hans.
„Doch gerade heute! Ihr macht ein Wahnsinnsspiel und jetzt feiert ihr mich? Das fühlt sich falsch an..."
Hinter uns baute Marsa eine Musikbox auf und ließ die Stimmung so noch schöner werden. Vielleicht war es ja wirklich mal ein Geburtstag der sich nach langer Zeit endlich mal wieder richtig gut anfühlte. Und den ich genießen konnte, auch wenn ich im Fokus stand. Auch wenn es um mich ging. Ich dachte kurz an die vergangenen Jahre. Ich dachte kurz an Chris. Ich dachte kurz an die Jahre in Köln. Mit der Mannschaft aus Köln. Wie sehr hatte ich mir gewünscht, dass genau diese Situation mal in Köln eintraf? In meiner Heimat? In meinem Verein. Und jetzt? Hier? Bei den großen Profis von den Füchsen Berlin? Hier klappt es plötzlich. Hier war ich Teil des Teams. Sie feiert mit mir. Sie alle blieben. Wie oft hatte ich mir das gewünscht...
„Geht's dir gut?", nahm Matthias mich aus den Gedanken.
„Ja. Sehr", lächelte ich. Er drückte mich einmal fester an sich heran, dann ließ er wieder lockerer, aber sein Arm war die ganze Zeit um mich gelegt. Störte es mich? Nein. Aber ich spürte schon den ein oder anderen Blick. Und ehrlich gesagt wäre mir lieber gewesen, sie hätten die Fragen gestellt, die sich nur nur dachten. Und so taten wir alle irgendwie so, als wäre es das normalste der Welt. Was es ja auch irgendwo war. Aber stillschweigend weiterzumachen, war seltsam. Das gab ich zu.
„Ey! Geburtstagskind! Komm mal rüber!", rief Fabi mir zu. Und so verließ ich mein - sagen wir - gewohntes Umfeld und ging zu ihm rüber. Er saß mit Nils, Viktor und Matthes zusammen.
„In welchem Club geht's denn später noch weiter?", fragte Fabi, als ich mich zu ihnen setze.
„Club?"
„Klar", lächelte er.
„Das war jetzt eigentlich nicht mein Plan!"
„Keine Sorge, Malia, wir kennen die besten Clubs in der Stadt! Wir übernehmen die Planung für dich!", sagte Nils.
„Maxxim wär cool!", schlug Matthes vor, „und wenn's dir nicht gefällt, kannst du immer noch gehen!"
„Hallo?! Sie feiert mit uns! Natürlich wird es ihr gefallen! Und...wenn Mathias mitkommt...", lachte Nils, ich verdrehte die Augen und lachte auch.
„Die Dänen sind zäh, das wird ne lange Nacht!", lachte Fabi, „ey, Lasse! Ziehen wir weiter ins Maxxim?!" Lasse stand auf und kam zu uns rüber.
„Klar, wann?", sagte er und stellte sich dazu.
„Heute!"
„Ja, cool", er zuckte mit den Schultern.
„Pack die Skandinavier ein, dann geht's los!", sagte Fabi und stand ebenfalls auf und ging zu den weiteren Kleingruppen, die sich gebildet hatten.
„Ich brauche dich als Köder!", sagte Lasse und zog mich mit sich zurück zu Mathias und Co.
„Die liebe Malia war noch nicht feiern seit sie hier in Berlin ist. Das müssen wir ändern!", sagte er und legte einen Arm um meine Schultern.
„Heute?", fragte Mathias.
„Ja. Heute", antwortete Lasse.
„Ich habe gedacht wir machen ein gemütlich Abend."
„Und ich habe gedacht, Malia mag tanzen. Also...", widersprach Lasse, „du kannst ja daheim bleiben..."
„Nein...Feiern klingt gut!", sagte Mathias dann und stand auf.
„Schade. Ich dachte ich hätte dich heute mal ganz für mich alleine...dann nächstes Mal", zwinkerte Lasse mir verführerisch zu und brachte mich zum Lachen.
„Du bist wirklich unmöglich!", lachte Hans.
„Ich hab eigentlich gar keine Lust auf Feiern", flüsterte ich Mathias ins Ohr.
„Dann wir werden schnell verschwinden, wenn keiner merkt", lächelte er und ich nickte. Wie kamen die Gedanken von der Partynacht mit Chris wieder in den Kopf. Ich wollte nicht erleben, wie meine neuen Freunde betrunken waren. Ich wollte nichts dergleichen erleben, was damals passiert ist. Ich möchte meine Meinung nicht über sie ändern. Ich würde diese Nacht nicht genießen. Viel lieber wär ich einfach hier geblieben. Aber irgendwann mussten wir die Halle auch endlich mal abschließen. Und das war heute mein Job.
„Ich geh schonmal zum Hintereingang und verschließe die Türen, dann komme ich nach!", beschloss ich, während die Jungs die Bierkästen wegtrugen. ich hing noch kurz die Plakate vor der Tür ab, bevor ich wieder in die Halle gehen wollte.
„Dachte ich mir schon, dass du noch hier bist!", hörte ich eine bekannte Stimme sagen und wurde im nächsten Moment um die Ecke gezogen.
„Was machst du hier?!", fragte ich erschrocken und sah mich um. Noch war außer uns niemand hier.
„Freust du dich nicht mich zu sehen?! Komm schon Malia, nach zehn Jahren hätte ich mehr erwartet!"
„Verschwinde! Sofort! Oder ich rufe die Polizei!"
Er lachte gehässig.
„Hatten wir das nicht schonmal?!", fragte er völlig unbeeindruckt. Mein Herz schlug bis zum Anschlag. Ich hoffte, dass er das nicht hörte.
„Christopher, was willst du?!", fragte ich so energisch ich konnte.
„Christopher? Warum so förmlich?", grinste er, „na gut, will ich mal nicht so sein: Ich will reden. Über... alte Zeiten. Vielmehr... über unsere Abmachung."
„Verschwinde hier! Sofort! Du hast lange genug, mein Leben zerstört!" Ich versuchte einfach zu gehen, was sehr naiv war, denn natürlich hielt er mich fest.
„Lass mich los!", rief ich etwas lauter in der Hoffnung, die Jungs würden mich hören. Aber dem war leider nicht so.
„Halt die Schnauze und hör mir zu: Ich habe deine Freundinnen getroffen... und leider musste ich feststellen, dass die beiden scheinbar mehr wissen, als wir beiden Hübschen damals einvernehmlich besprochen hatten."
Ich lachte und schüttelte den Kopf. Einvernehmlich... Sicher!
„Soll heißen: Du wirst dein Maul halten oder es geschehen schlimme Dinge!" Mir lief ein Schauer über den Rücken. Nadine schien sich in ihrer Ansage an Chris sehr verplappert zu haben und das durfte ich nun ausbaden. Noch schlimmer: Was passierte, wenn er nur auf Mathias traf? Er würde sofort wissen, dass Mathias weiß. Und Lasse? Der würde vermutlich auch tun, als hätte er irgendeine Ahnung.
„Willst du mir wieder mit dem Nacktfoto von vor zehn Jahren drohen?!"
„Du stehst nun in der Öffentlichkeit, das wäre doch super unangenehm wenn plötzlich so ein Foto im Internet landet... aber: Vielleicht etwas zu langweilig, du hast recht. Deshalb erhöhe ich meinen Einsatz", grinste er, „und ich bleibe noch etwas hier in Berlin. Let's have some fun, Baby!"

Traum und Wirklichkeit (Mathias Gidsel | Füchse Berlin FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt