Kapitel 37

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Und dann war es endlich soweit: Unser erstes Heimspiel. Tage zuvor merkte man schon die Anspannung im gesamten Team, so auf auf der Geschäftsstelle. Alle freuten sich, aber alle waren auch nervös. Der SC Magdeburg war unser Gast an diesem Tag. Es war Fluch und Segen zugleich, mit einem solchen Topspiel zu starten, aber aussuchen konnten wir es uns ja sowieso nicht. Wir mussten es so nehmen, wie es kam. Die Jungs waren heiß auf dieses Spiel. Nicht nur, dass es das erste Heimspiel war, nein: Sie nutzten es auch als Wiedergutmachung für das verlorene Sommerturnier.
Ich hielt mich heute vermehrt an Bob und genoss die Atmosphäre, die sich immer weiter füllende Halle, die Stimmung und ja, irgendwie genoss ich auch die Anspannung. Bei Bobs Interviews stand ich dann aber doch lieber etwas abseits und ließ ihn sein Ding machen. Wir gingen zum Spielfeld, begrüßten die Schiedsrichter, Zeitnehmer, einfach gefühlt jeden, der uns in den Weg kam. Und dann hatten wir einen kurzen Moment auf der Bank, um durchzuatmen und den Jungs beim Warmmachen zuzusehen.
„Achtung!", hörte ich jemanden rufen und sah, einen Ball auf mich zukommen, den ich zum Glück im letzten Moment fang, bevor er mir gegen den Kopf flog.
„Gute Reflexe!", rief Lasse grinsend und hob die Hand, damit ich ihm den Ball zurückwarf.
„Das war Absicht!", beschwerte ich mich.
„Kann sein", zuckte er mit den Schultern. Ich warf ihm den Ball zurück. Er ging durch das ganze Harz nur schwer von meiner Hand und landete vor Lasses Füßen statt in seiner Hand. Lasse sah der Flugkurve des Balls hinterher und starrte auf den Boden, bevor der den Ball dann lachend aufhob.
„Geil, keine fünf Minuten hier unten und schon blamiert!", stöhnte ich. Marsa, der sich der Bank genähert hatte, musste auch lachen.
„Macht doch nichts!", sagte er, „das hast du schnell raus!"
„Ich bin ein hoffnungsloser Fall, Jerry hat's auch schon versucht!", ich starrte auch meine Hände, „ich geb wohl besser niemandem mehr die Hand...ihhh..."
„Hier", sagte Marsa und gab mir ein kleines Fläschen mit einer Flüssigkeit, die aussah wie Öl, „damit geht es gut weg!"
„Danke", lächelte ich. Er hatte Recht. Nur ein paar Tropfen genügten, um meiner Hände wieder geschmeidiger zu bekommen. Trotzdem ging ich ins Bad, um sie einmal ordentlich zu waschen. Als ich aus dem Bad kam, war war Spielfeld leer. Die Spieler stellten sich gerade zum Einlaufen auf. Ich ging so schnell wie möglich an ihnen vorbei, ich wollte das Einlaufen von meinem Platz neben Bob mitbekommen. Und ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit ich noch hatte.
„Stop!", rief Kretzsche, „nicht weglaufen Malia!" Wir hatten nun die komplette Aufmerksamkeit der Mannschaft. Und ich ahnte, was nun kommt... „Alles Gute zum Geburtstag! Komm her!" Er nahm mich in den Arm und strich mir über den Rücken.
„Shhhh, das soll doch keiner wissen!", beschwerte ich mich.
„Ach, warum denn das? Lass dich feiern!", strahlte er und ließ mich los. Hinter ihm sah ich schon die Mannschaft auf mich zukommen. Zuerst Lasse, der mich auch sofort in den Arm zog.
„Ich hasse es im Mittelpunkt zu stehen!", flüsterte ich in sein Ohr.
„Happy Birthday!", raunte er, „heute musst du wohl da durch!" Er löste sich wieder von mir.
„Jetzt haben wir gar kein Geschenk!", stellte Paul fest.
„Nein! Auf gar keinen Fall schenkt ihr mir was!", widersprach ich, „wirklich! Ich äh...ich geb nachher 'ne Runde Bier aus!" Als Nächster strahlte mich Mathias an und schlang seine Arme um mich.
„Du hast Geburtstag? Wieso hast du nicht gesagt?", fragte er.

Flashback:

„Du hast Geburtstag?", fragte Chris, „wieso hast du nichts gesagt?"
„Sowas sagt man doch nicht!", antwortete ich nur. Er nahm mich in den Arm.
„Das müssen wir feiern!"
„Wirklich?", fragte ich nach.
„Klar!", lächelte er, „Rico, David und ich wollten eh morgen Abend nach dem Spiel in die Stadt. Und du kommst einfach mit!" Er tippte mir auf die Nase.
„Klar! Gerne!", lächelte ich. Ich freute mich so sehr. Ich lernte noch zwei weitere Spieler kennen und es fühlte sich an, als wäre dies der Beginn, Anschluss zu finden.

Ich verbrachte am nächsten Tag viel Zeit im Bad, um mich auf den Abend vorzubereiten. Ich schminkte mich stärker, lockte meine Haare und ging dann zur Bushaltestelle, wo wir uns treffen wollten. Und da stand ich nun und wartete. Und wartete. Und wartete. Aber niemand kam. Ob er mich vergessen hatte? Dabei habe ich mich so auf diesen Abend gefreut...ich schrieb ihm schließlich über Instagram und hoffte auf eine schnelle Antwort. Nummern ausgetauscht hatten wir leider nicht. Ich saß bestimmt eine Stunde dort und wartete auf eine Antwort. Nachdem ich zum bestimmt tausendsten Mal meinen Newsfeed aktualisiert hatte, bekam ich endlich eine Antwort.
„Wir sind schon da, du kannst ja nachkommen", schrieb er. Wie? Sie waren schon da? Hatten sie mich vergessen? Ich antwortete mit einem „Ok" und nahm den nächsten Bus in die Stadt.
Als ich im Club ankam, war scheinbar schon viel Alkohol bei den Jungs geflossen. Ich schrieb Chris erneut und wartete, dass er mich am Eingang abholte. Mit fünfzehn kam ich hier schließlich noch nicht rein. Ich wartete 10 Minuten, 20 Minuten auf eine Antwort...und dann kam er endlich raus und holte mich ab. Ganz ohne Muttizettel oder sonstige Dinge, die den Eintritt hätten schwierig gestalten können, denn Chris kannte den Türsteher.
Er legte einen Arm um mich, zog mich in einen der drei Clubräume und stellte mich seinen Jungs vor. Schon irgendwie traurig, sie sollten mich doch vom Training schon kennen!
„Seid nett, sie ist cool!", sagte er und die beiden nickten.
„Was trinkst du?", fragte Rico.
„Äh...Wasser?" Die drei lachten.
„Malia, hör mal. Hier trinkt man kein Wasser!", raunte Chris in mein Ohr, noch immer den Arm um mich gelegt.
„Bringt ihr nen Sex on the Beach und ne Runde Shots!"
„Ich bin 15! Wenn das einer rauskriegt!"
„Mach dich locker! Du bist alt genug!" Er strich mir einer Haarsträhne hinters Ohr, griff nach meinen Händen und zog mich auf die Tanzfläche. Ich strahlte über beide Ohren. Es war so schön, dass er nun mir seine Aufmerksamkeit schenkte. Dieses Kribbeln in meinem Bauch möchte ich für immer behalten. Irgendwann kamen Rico und David zurück. Sie griffen nach den kleinen Gläschen, Chris gab mir auch eins. Wir stießen an, die drei Jungs kippten das Zeug direkt komplett ab, ich nippte an meinem Glas und verzog das Gesicht. Die drei sahen mich wieder an und lachten.
„Komm schon, runter damit!", sagte Chris, führte das Glas zu meinem Mund und ich trank den Rest auch in einem Schluck. Es war sauer, es brannte und es verschaffte mir eine Gänsehaut.
„Das üben wir nochmal!", lachte Chris. Wir gingen zur Bar und bestellten noch eine Runde. Und dann noch eine. Und dann noch eine.
„Dein Cocktail!", sagte David und schob das Glas zu mir rüber. Ich trank ein paar Schlücke daran, dann nahm Chris mir das Glas aus der Hand und stellte es auf die Theke.
„Komm mit!"
„Aber mein Glas...?"
„Lass einfach stehen! Passiert schon nichts, ich pass doch auf dich auf, hm?", raunte er wieder in mein Ohr. Also tat ich, was er sagte und folgte ihm wieder auf die Tanzfläche. Der Abend ging noch ziemlich lange und wir tanzten immer enger umschlungen. Chris zog mich nah an sich heran und legte eine Hand auf meinen Po, um mich immer näher an seinen Körper zu ziehen. Es war ungewohnt und auch leicht unangenehm. Vor allen Leuten hier. Aber komm schon Malia, du bist nun erwachsen. Du willst doch mit ihnen mithalten! Sei nicht so verklemmt. Das ist auch das, was Chris mir an diesem Abend immer und immer wieder ins Ohr flüsterte: „Sei nicht so verklemmt." und genau das wollte ich auch gar nicht sein. Ich wollte mit ihnen mithalten. Unbedingt. Um jeden Preis. Sonst hätte ich wohl kaum immer wieder mit ihnenihnen mitgetrunken. Chris fuhr mit seinen Händen meinen Körper rauf und runter. Seine Stirn legte er auf meine ab. Eine Gänsehaut durchzog meinem Körper. Nie hatte ein Junge so Interesse an mir, wie er gerade. Nie hatte ein Junge so viel Nähe gesucht, wie er gerade. Und das macht mich glücklich. Besonders. Anders als sonst. Und dieses anders mochte ich sehr, auch wenn das bedeutete, dass ich wieder und wieder über meinen Schatten springen musste. Chris griff in meine Haare, zog sein Gesicht näher zu meinem und liegt er dann seine Lippen auf meine. Es war mein erster Kuss. Die Atmosphäre, das Drumherum und den Ort hätte ich mir ganz anders vorgestellt. Aber so war es nun, und es war gut so wie es war. Es war für mich die Sicherheit, dass Chris mich mindestens genauso sehr mochte wie ich ihn. Sonst würde er mich ja kaum vor allen anderen hier küssen, dachte ich... Unser Kurs wurde intensiver. Wie viel zu intensiv für all die Zuschauer hier. Viel zu intensiv für seine beiden Kumpels, die ab und zu zu uns rüber schauten. Aber vielleicht hat sich jetzt auch von ihnen mehr Respekt, weil ich nun zu Chris gehörte und damit zur Mannschaft. Ich hatte es geschafft ich war nur ein Teil von Ihnen, dachte ich... Sie würden mich nicht weiter ignorieren, dachte ich... Ich hatte nun viele neue Freunde durch Chris, dachte ich... Aber, dass das so nicht funktionieren konnte daran dachte ich nicht.
Es wurde später und später, und irgendwann war die Zeit gekommen, dass wir nach Hause gehen wollten. Es war 4:00 Uhr nachts. Chris und ich hatten stundenlange lang getanzt und das floss viel Alkohol. Ich erinnere mich noch an jedes kleine Detail, aber genauso sehr erinnerte ich mich auch daran, wie schwer es mir fiel, geradeaus zu laufen. Wie war super schwindelig. Das war auch das erste Mal, dass ich so viel Alkohol getrunken hatte. Aber es war doch irgendwo auch mal eine kleine Geburtstagsfeier da darf man doch mal übers Ziel hinaus schießen oder nicht? Wichtig ist nur, dass man die richtigen Leute dabei hatte. Und es fühlte sich richtig an. Heute war mein Abend und ich bereue nichts.
„Du kommst doch mit zu mir", raunte Chris in mein Ohr und zog mich zum Parkplatz, wo Davids Auto stand.
„Ihr wollt doch nicht im Ernst noch Autofahren?!", fragte ich entsetzt.
„Uns geht's super!", lallte Rico und stolperte.
„Ich nehme den Bus!", beschloss ich, „und ihr solltet das auch tun!"
Die drei stöhnten und stiegen ein, stand noch immer vor dem Auto und verschränkte nun die Arme vor der Brust. Ich werde nicht einsteigen, das ist viel zu gefährlich. Auch David schwankt es schon hin und her. Wie will der denn bitte noch Autofahren und nach Hause kommen?! Ich hatte Angst. Angst einzusteigen, aber mindestens genauso viel Angst, alles kaputt zu machen, was ich mir heute Abend aufgebaut hatte. Aber es half nichts. Ich hatte mich heute so viele Dinge getraut. Ich war so oft über meinen Schatten gesprungen, aber irgendwann war auch mal gut. Ich drehte mich um und ging zur Bushaltestelle. Ich hoffte, dass Chris mir folgen würde und mich nicht alleine im Dunkeln lassen würde aber ich heute wie David den Motor startete und dann fuhren die drei an mir vorbei. Ich

- Flashback Ende -

„Malia? Hallo?", Paul fuchtelte mit seiner Hand vor meinem Gesicht herum.
„Hm?"
„Alles gut?"
„Äh, ja, klar!", lächelte ich. Ich stand doch gerade noch im Tunnel neben Mathias. Und nun saß ich hinter der Bank auf meinem Platz zwischen Paul und Bob. War ich so weggetreten? Unheimlich...

Traum und Wirklichkeit (Mathias Gidsel | Füchse Berlin FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt