Kapitel 24

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Lächeln und Hände schütteln. Und immer weiter Lächeln und Hände schütteln. So lief die Verabschiedung an den Bussen ab. Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie sehr ich diesen Teil einfach übersprungen hätte. Aber Paul hatte recht: Ich hatte die Pflicht hier zu stehen und das Ganze zu Ende zu bringen, auch wenn's schwer fiel. Die meisten wussten ja gar nicht, welche Konsequenzen nun auf uns warteten. Die Stimmung war gut, nicht nur bei Magdeburg, auch bei Eisenach und Leipzig, die sichtlich Spaß hatten. Immerhin etwas! Auch wenn es meine Laune wohl nicht heben konnte. Als der letzte Bus dann endlich losgefahren war, ging ich in die Halle. Der Großteil der Mannschaft saß auf dem Spielfeld versammelt, Jaron hielt scheinbar eine Ansprache. Nur Lasse und Mathias fehlten. Mal wieder. Auch Paul und Kretzsche standen bei ihnen. Ich ging langsam näher und lauschte Jarons Worten. Als er fertig war und die Jungs Anstalten machten, aufzustehen, nahm ich meinen Mut zusammen und unterbrach das Ganze.
„Darf ich kurz auch noch was sagen?", fragte ich in die Runde.
„Klar. Bitte", nickte Jaron. Ich atmete einmal tief durch.
„Ich möchte mich bei euch entschuldigen. Bei jedem einzelnen von euch. Ich bin mit der Einladung des SCM übers Ziel hinausgeschossen und habe den Sieg verschenkt. Ich wollte alles richtig machen, aber das ist mir nicht gelungen. Und es tut mir Leid!"
Kurze Stille. Alle sahen mich an.
„Nein. Malia, nein, das ist nicht deine Schuld!", korrigierte mich Jaron, „du hast alles alleine organisiert. Die Fans hatten viel Spaß und letztendlich haben wir unsere Leistung nicht bis zum Schluss bringen können. Daran müssen wir arbeiten. Daran werden wir arbeiten. Und in der Liga werden wir auch einen SC Magdeburg schlagen!", sagte Jaron.
„Malia war bei Bobs Abschiedsrede nicht dabei", stellte Kretzsche fest, „Bob hat dich sehr gelobt und tolle Worte gefunden, aber du warst leider nicht auffindbar."
„Deshalb habe ich angerufen", erklärte Paul.
„Du hast das mega gemacht!", sagte Kretzsche.
„Ich glaube Malia hat heute was ganz entscheidendes gelernt", sagte Jaron, „wir gewinnen als Team und wir verlieren als Team. Heute haben wir zusammen verloren. Und so fühlen wir uns auch. ABER! Wir alle haben unser Bestes gegeben und hier was richtig Großes auf die Beine gestellt. Ich hatte mehrfach Gänsehaut bei dem Anblick der vielen Fans und ich wette vielen Jungs ging es genau so. Also sagen wir Dankeschön! Und schön, dass du in unserem Team bist!", sagte Jaron und klatschte. Die anderen stiegen mit ein. Ich legte meine Hand an mein Herz und bedankte mich. Das waren schöne, aufbauende Worte, die wirklich gut taten!
„Den wollte Bob dir eben überreichen, aber...naja...", stammelte Kretzsche und drückte mir einen riesigen Blumenstrauß in die Hand. Ich lächelte. Es war ein sehr schöner Strauß. Und dann auch noch Bobs Idee...
Die meisten schnappten sich ihre Taschen und verabschiedeten sich. Ich gab Ben die mittlerweile warmen Kühlkissen wieder und setzte mich auf die Auswechselbank. Das war's. Drei Wochen hingefiebert und nun war es vorbei. Ich dachte zuvor, alles würde gut werden und ich würde vor Euphorie platzen. Aber dem war nicht so.
Jerry und Marsa halfen noch beim Abhängen der Werbebanner. Dann schnappten sich auch die beiden ihre Taschen und winkten nochmal. Ich lächelte müde und winkte zurück. Die beiden drehten mir den Rücken zu. Nach ein paar Schritten stoppte Jerry und kam wieder auf mich zu.
„Du siehst nicht glücklich aus...", stellte er fest. Ich schüttelte den Kopf und senkte den Blick.
„Jaron hat Recht. Du kannst dir gar nichts vorwerfen!"
Ich zuckte mit den Schultern und sah weiterhin auf meine Blumen. Mein Kiefer versteifte sich. Nicht weinen! Nicht weinen! Später! Nicht hier!
„Hey...", flüsterte Jerry, stellte die Tasche ab, setzte sich neben mich und legte seine langen Arme um mich. Seinen Kopf legte er auf meinen.
„Alles okay!", flüsterte ich.
„Das sollte es sein, aber das ist es nicht", sagte er und drückte mich an ich heran, „das nennt man Premierentief!"
Ich drehte meinen Kopf, sodass er seinen wieder hob und ich ihn ansehen konnte.
„Ja, auch wir Schweden kennen deutsche Fremdwörter!", grinste er und ich lächelte.
„Ha! Ein Lächeln!", stellte er fest, „es hat uns Spielern sehr viel Spaß gemacht! Glaub mir!"
„Danke Jerry!", sagte ich und umarmte ihn.
„Team Neu muss zusammen halten!", lächelte er.
„Team Füchse, Team Orga, Team Fußkrank, Team Neu...ich trete ab jetzt keinem Team mehr bei!", lachte ich.
„Team Fußkrank?", fragte Jerry. Kurz schwiegen wir.
„Paul!", sagten wir dann gleichzeitig und lachten.
„Natürlich Paul!", ergänzte Jerry. Im Augenwinkel sah ich Mathias zurück in die Halle kommen. Schwer atmend und schwankend schlurfte er Richtung Bank. Er war nass geschwitzt und konnte keinen Meter mehr geradeaus gehen.
„Mathias!", rief ich ihm zu und stand auf. Malia, warte. Dein Fuß! Ich sollte wohl besser sitzen bleiben...Doch zum Glück war Jerry noch da. Er lief sofort auf ihn zu, packte ihn und zog ihn auf die Bank. Mathias schnappte schon richtig nach Luft. Wir setzten uns neben ihn.
„Was ist passiert?", fragte Jerry.
„Hat Jaron dich wieder zu Krafttraining verdonnert?", fragte ich dann und er nickte. Ich griff mir den Erste-Hilfe-Kasten und nahm ein Kühlpad heraus, was ich ihm in den Nacken legte. Er stemmte die Arme auf seine Oberschenkel und legte seinen Kopf darauf. Ich hielt weiterhin das Pad an Ort und Stelle.
„Mathias?", kam Bob auf uns zu, den ich den ganzen Tag kaum gesehen hatte, „alles okay?"
Mathias nickte, noch immer schwer atmend.
„Jaron hat ihn neben der Spielbelastung als Strafe in den Kraftraum geschickt...sein Kreislauf spielt gerade verrückt...völlig logisch bei jenseits der 36 Grad draußen...", erklärte ich Bob. Jerry legte eine Hand auf seinen Rücken.
„Nicht dein Tag, Alter...", seufzte er. Er schraubte eine Wasserflasche auf und schüttete sie Mathias über den Kopf.
„Kalt abduschen wäre wohl zu einfach!", beschwerte sich Bob, „der teure Boden!"
„Bob, sei mir nicht böse, aber geh bitte hoch zu Herrn Maus und verabschiede ihn. Lass uns bitte alleine!", sagte ich. Und tatsächlich, er ging. Knurrend. Aber er ging. Ich drehte das Kühlpack um und legte eine Hand auf Mathias' Wange. Er war noch immer glühend heiß, aber seine Atmung beruhigte sich etwas. Jerry brachte ihm sein Handtuch und warf es ihm über den Kopf. Dann rubbelte er einmal durch seine Haare. Mathias griff danach und trocknete sein Gesicht.
Ich hatte mich richtig erschrocken ihn so zu sehen. Er hatte es wirklich übertrieben. Erst nach mehreren Minuten konnte er sich überhaupt langsam wieder aufrichten.
„Besser?", fragte ich und er nickte leicht.
„Kann ich euch alleine lassen? Lasse hat sich scheinbar den Magen verdorben...", fragte Jerry und starrte auf sein Handy. Hatte Lasse ihn jetzt um Hilfe gebeten?
„Der hat sich nicht den Magen verdorben, der hat sich in jeder freien Minute fettige Pommes reingehauen!", lachte ich, „war doch klar, dass ihm schlecht wird!"
„Oh man Lasse...", stöhnte Jerry und ging zur Kabine. Mathias lachte leicht, als er das hörte. Seine Gesichtsfarbe änderte sich wieder. Seine Atmung beruhigte sich weiter. Ich nahm langsam das Kühlkissen aus seinem Nacken. Mathias schloss die Augen, man konnte sehen, wie schlecht es ihm ging. Ich legte meine Hand auf sein Bein und strich mit dem Daumen über sein Knie, um ihm zu zeigen, dass er nicht alleine war. Nach Minuten des Schweigens atmete er tief durch und öffnete die Augen wieder. Ich nahm meine Hand wieder von seinem Bein und gab ihm seine Tabletten wieder. Er lächelte müde.
„Sprichst du noch mit mir?", fragte ich vorsichtig. Er nickte und zum ersten Mal sah er mich auch wieder richtig an.
„Ich wollte nicht", begann er, doch ich unterbrach ihn sofort.
„Kann ich bitte anfangen?", fragte ich und wieder nickte er. Ich griff nach seinen Händen. „Es tut mir so Leid!", begann ich, „was ich gesagt habe...das hätte ich niemals sagen dürfen!"
Mathias atmete tief durch. Ihm fiel sichtlich ein Stein von Herzen.
„Ich habe mich einfach so reingesteigert, dass du mich nicht verstanden hast! Und das hat mich an was erinnert. Das hatte nichts mit dir zu tun und es tut mir Leid! Das war voll drüber von mir!"
Sein Lächeln kam langsam zurück.
„Ich konnte nicht glauben, dass ich habe wirklich so Eindruck gemacht und dich verletzt!" Ich schüttelte den Kopf.
„Du hast mich gefragt, ob ICH finde, dass wir sind zu schnell. Nein. Ich finde das nicht. Ich wollte gerne näher mit dir sein! So nah ich kann. Und das, ich wollte zeigen", erklärte er. „Aber wenn du mir sagst, es ist zu schnell für dich, dann ich muss nicht immer verstehen warum. Vielleicht gibt es kein Warum. Ich dachte es wird schön. Ich wollte nicht, dass du dich unwohl fühlst! Ich wollte Zeit genießen!"
„Unser Abend war wirklich schön! Wirklich sehr schön!", ich lächelte und drückte seine Hände, „aber ich kann nicht in dem Tempo weitermachen! Es gibt ein ‚Warum', aber ich kann noch nicht drüber reden. Das hätte ich dir einfach direkt sagen müssen!"
„Ein ‚Warum'?", fragte er nach und ich nickte.
„Ein ‚Warum' für was hast du gesagt zu mir? Oder ein ‚Warum' für was hat passiert nach unsere Abend in dein Kopf?", fragte er nach.
„Ich schätze beides...", murmelte ich.
„Na gut, wir sollten aber bald mal drüber sprechen!", sagte er ernst, „sonst, ich mache gleiche Fehler wieder und wieder!"
„Nein, es war ja kein Fehler...es ging nur alles viel zu schnell..."
„Ich möchte, dass du bist gerne bei mir. Egal was wir machen. Okay?", fragte er und ich nickte, „ich will nichts kaputt machen!"
„Hast du nicht! Aber ich hab's fast kaputt gemacht, weil ich dir nicht zuhören wollte!"
Er nickte und fuhr sich mit den Händen übers Gesicht.
„Das war schlimm, ich konnte nicht erklären!"
„Es tut mir Leid!", sagte ich nochmal. Ich öffnete langsam meine Arme und hoffte, dass er mich jetzt nicht zurückwies wie ich ihn zuvor. Doch er schüttelte den Kopf. Ich erschrak kurz.
„Ich schwitze", sagte er dann lachend, „und wahrscheinlich stinke ich!"
„Ist mir egal!" Im nächsten Moment umarmten wir uns und ich konnte durchatmen.
„Wenn ich bin verliebt, möchte ich Chance nutzen das zu zeigen", erklärte er, als wir uns lösten und sah mir tief in die Augen. „Und das ist alles, was war in mein Kopf an diese Abend!" Ich lächelte ihn an. Mein Bauch kribbelte. Er zog schon fast, so überschlugen sich die Schmetterlinge darin. Er sah runter und sein Lächeln verschwand.
„Dein Fuß...", stammelte er, als er sah, dass er nur noch getaped war.
„Schon okay, ich bin selbst schuld..."
„Und jetzt?", fragte er.
„Hochlegen, kühlen und hoffen!", zuckte ich mit den Schultern. Mathias nahm ein weiteres Kühlpad aus dem Erste-Hilfe-Kasten und griff nach meinen Beinen. Er stand auf und legte meine Beine auf der Bank ab. Dann drückte er das Pad darauf.
„Du bleibst hier und ich muss duschen!", sagte er.
„Du bist eben fast umgekippt...bist du sicher, dass ich dich alleine lassen kann?"
„Willst du mit duschen kommen?", fragte er amüsiert und strich eine Haarsträhne hinter mein Ohr. Ich schüttelte schüchtern lächelnd den Kopf.
„Jerry und Lasse sind noch da. Wir können warten, bis sie sind weg", ärgerte er mich weiter, „oder wir nehmen andere Kabine!"
„Jetzt hau schon ab!", lachte ich und drückte ihn weg. Er lachte ebenfalls und ging dann zur Kabine. Als er mir den Rücken zugedreht hatte, legte er die rechte Hand auf sein Herz und schaute nach oben. Er war wirklich erleichtert. Und ich erst!
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So, da ist sie: Die langersehnte Aussprache! :) Ich hoffe es hat euch gefallen :) Ich wünsche euch einen guten Start ins Wochenende! :)

Traum und Wirklichkeit (Mathias Gidsel | Füchse Berlin FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt