Kapitel 19

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Mathias hatte auf den ersten Blick eine wirklich schöne Wohnung, nicht unweit entfernt von meiner. Statt einer kurzen Roomtour ging es für uns aber sofort in sein kleines Wohnzimmer auf die Couch. Wir mussten reden. Das war uns beiden sichtlich wichtig.
„So, was ist passiert gestern für dich? Was ist los?", fragte er und griff nach meinen Händen.
„Ich mag dich."
„Ich sehe eine ‚aber'...", antwortete er.
„Ich bin sehr verwirrt davon, wie nah wir uns kamen..."
„Ehm..was meinst du?", fragte er.
„Naja, also...", stammelte ich, „auf meiner Couch, wir...wir waren uns ja schon sehr nah fürs Erste..." Mathias runzelte die Stirn und überlegte, was genau ihm das sagen sollte.
„Ich verstehe nicht", sagte er dann. Wie kann man das bitte nicht verstehen?!
„Ich meine", fügte er hinzu, „du hast mich nach Hause gehen lassen bevor wir zu Schlafzimmer wollten, so...da war doch gar nichts."
Ähnlich fassungslos wie gestern sah ich ihn an. Wahrscheinlich mit völliger Leere im Gesicht. Das war also gar nichts für ihn? Das war doch nicht gar nichts! Ich hatte das Gefühl, dass ich gerade nicht mit Mathias hier saß, sondern mit jemand anderem, der einfach nur genau so aussah. Aber so war es nicht. Er war es wirklich und er verstand mich nicht. Ich sah traurig zu Boden.
„Was ist los?", fragte er nochmal und legte eine Hand auf meine Wange. Ich legte meine darauf und zog seine wieder weg.
„Findest du nicht, dass wir es haben zu schnell angehen lassen?", fragte ich ihn dann.
„Nein", antwortete er, „finde ich nicht." Sein Blick sagte mir, dass er wirklich gar nicht verstand, was in mir vorging.
„Okay...", stammelte ich traurig. Ich atmete einmal tief durch, „schade.."
„Warum bist du traurig?", fragte er dann und strich eine Haarsträhne hinter mein Ohr. Ich kämpfte kurz mit meinen Tränen. Ich konnte einfach nicht begreifen, was hier gerade passierte.
„Du verstehst mich einfach nicht. Oder du willst es nicht verstehen...", antwortete ich.
„Doch, ich will! Ich weiß aber nicht, wie ich helfen kann!"
„Ich bin verwirrt, wie schnell alles ging!", versuchte ich es nochmal.
„Also, es war zu viel für dich?", fragte er nochmal nach und ich nickte. So langsam schien er doch zu begreifen, was falsch lief.
„Vielleicht denkst du zu viel", lächelte er dann und zuckte mit den Schultern. Meine Erleichterung verschwand wieder.
„Ja oder du zu wenig!", platzte es aus mir raus, bevor ich darüber nachdenken konnte. Er schluckte. Das hatte ihn verletzt.
„Ich habe den ganzen Tag überlegt, was habe ich falsch gemacht gestern Abend!", rechtfertigte er sich.
„Nichts...", murmelte ich und zuckte mit den Schultern, „du hast nichts falsch gemacht..." Das hatte er ja an sich wirklich nicht. Ich hätte es mir nur anders gewünscht...
„Jetzt, ich verstehe wieder nicht..."
Ich seufzte.
„Ich weiß nicht, was ich noch sagen soll...", murmelte ich. Tausend Dinge. Ich hätte noch tausend Dinge sagen sollen. Aber warum traute ich mich nicht?
„So kommen wir nicht weiter...", stellte er fest. Wir schwiegen längere Zeit einfach. Es war eine unangenehme Stille. Er beobachtete mich, zeitgleich merkte ich aber auch, wie er nachdachte. Und dann nahm er Luft, um wieder etwas zu sagen: „Vielleicht, ich muss nicht immer alles verstehen. Sag mir einfach, wenn ich bin zu schnell, okay?" Ich sah ihn an und zuckte mit den Schultern. Immer noch enttäuscht davon, dass er scheinbar überhaupt nichts verstand. Mathias kam näher und beugte sich über mich, um mich zu küssen, doch ich wich zurück. Und im nächsten Moment bereute ich es auch schon wieder. Er versuchte gerade eine Lösung zu finden. Und ich? Ich machte dicht. Super Malia! Ganz klasse!
„Sorry...", murmelte ich und schüttelte den Kopf.
„Okay, jetzt, ich bin ganz - wie sagt man? Verwirrt...", gab er zu und entfernte die Hände von meinem Gesicht, „was willst du denn von mir?" Ich sah hoch zu ihm. Was soll ich denn bitte wollen? Dass er mich versteht!
„Das fragst du nicht ernsthaft, oder?!", entgegnete ich. Unterstellte er mir jetzt, dass ich es nicht ernst meinte?! Natürlich nicht, aber ich war in diesem Moment so emotional, dass ich nicht klar denken konnte. Eigentlich gab er sich doch Mühe, mich zu verstehen. Andererseits: er konnte sich doch denken, dass er viel zu schnell gewesen war. Und was das bedeutete. Das musste ich ihm doch nicht erklären, das weiß man doch! Und spätestens nachdem ich ihm sagte, dass er zu schnell war, hätte er sich entschuldigen können! Aber das war ihm scheinbar egal, oder? Mein Kopf explodierte vor lauter Fragen und auch widersprüchlicher Antworten, die ich mir selbst gab.
„Ehm...", murmelte er und runzelte wieder die Stirn, „doch, ich frage wirklich: Was willst du?" Seine Mundwinkel gingen langsam nach oben, bis er mich wirklich grinsend ansah. Er dachte sich sicher seinen Teil. Lachte er mich vielleicht innerlich schon aus? Stellte ich mich an? Gleich warf er mir noch vor, ich sei verklemmt. Oder er erzählte es gleich der ganzen Mannschaft. Und dann konnte ich eigentlich direkt meine Koffer packen und verschwinden...Es war genau wie damals. Alles war wie damals, nur damals hatte ich mich nicht gewehrt. Jetzt aber schon:
„Ich sag dir, was ich nicht will: Jemanden, der mir schöne Augen macht, nur um mich bei der erstbesten Gelegenheit ins Bett zu kriegen! Und damit ist das Gespräch beendet!", ich griff nach meinen Krücken und stand auf.
„Was? Nein...ich hab doch nicht...", stammelte Mathias, ließ mich aber an ihm vorbei in den Flur.
„Ich meine, ich wollte, aber nur, wenn du...ich habe gedacht du willst auch...", erklärte er weiter und ging hinter mir her.
„Malia...", versuchte er es nochmal, „was hat passiert mit uns?"
„Wir sehen uns übermorgen beim Sommerfest. Gute Nacht, Mathias."
Ich ließ ihn stehen. Aber er ließ mich auch gehen. Wie man es drehte, es war eine blöde Situation. Ich flüchtete quasi aus einer nicht ausgesprochenen Diskussion. Aber wozu auch diskutieren? Wir kamen nicht auf einen Nenner. Fertig. Was nutzte es denn, wenn Mathias nicht verstand, was ich wollte bzw. was ich nicht wollte? Er würde weitermachen und die Diskussion würde immer und immer wieder kommen. Diese Gedanken verfolgten mich bis nach Hause. Ich setzte mich aufs Sofa und griff mir in die Haare. Was war nur passiert? Wie konnte ich so schnell an jemanden geraten, der exakt so war wie Chris. Erst lieb und nett und dann fingen die Probleme erst richtig an. Aber nicht mit mir! Ich lernte doch aus Fehlern.

Stop - Malia, denk nach. Was hat Mathias dir getan? Nichts. Gar nichts. Wenn ich ehrlich war, hatten sich seine Berührungen sehr gut angefühlt. Zu schnell, sicher. Aber sanft. Liebevoll. Nicht gierig oder egoistisch. Er benahm sich doch ganz anders als Chris. Und ich? Drängte ihn vor mir weg, statt ihm zu sagen, er solle sich zurückhalten. Und dann erklärte ich es ihm und er? Er hat versucht, mich zu verstehen. Was hatte Chris getan? Das Gegenteil. Ja, das traf es ganz gut. Ich hatte Mathias gerade ziemlich blöd stehen lassen. Noch schlimmer: ich habe ihm vorgeworfen, er würde mit mir spielen. Und wenn er wirklich auch verliebt war, habe ich ihn damit sehr verletzt. Ich hab ihn nicht reden lassen. Ich schlug mir gegen den Kopf. Es könnte so einfach sein. Es könnte einfach schön sein...und mein Misstrauen stieß ihn weg. Je mehr ich den heutigen Abend reflektierte, desto mehr schämte ich mich eigentlich in Grund und Boden. Was hatte ich nur getan?!
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Ihr Lieben, es ist mir sehr schwer gefallen, dieses Kapitel zu schreiben und alles mit reinzubringen, was ich wollte. Ich habe es tausend Mal umgeschrieben, Passagen gelöscht, andere eingefügt, den Wortlaut geändert usw....Es fiel mir wirklich schwer...und jetzt bin ich auf eure Meinungen und Reaktionen gespannt!
Ich wünsche euch ein schönes Wochenende :) Liebe Grüße!

Traum und Wirklichkeit (Mathias Gidsel | Füchse Berlin FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt