Kapitel 46

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Ich begleitete Mathias am nächsten Tag zum Trainingszentrum der Füchse. Dort würde ich mich mit Nanna treffen, während die Jungs arbeiteten. Ich freute mich schon sehr auf sie. Einen richtigen Plan, wo wir hingehen und was wir tun würden hatten wir nicht. Aber das war mir egal. Hauptsache, ich konnte mal wieder Zeit mit ihr verbringen. Alleine. Mathias wartete noch vor der Halle mit mir. Plötzlich klingelte mein Handy. Ich rechnete damit, dass es Lasse war, der mir sagen wollte, dass sie sich etwas verspäteten, aber es war Bob.
„Malia? Bist du schon am Trainingszentrum?", fragte er. Im Hintergrund hörte man den Motor seines Autos.
„Ja, was gibt's?"
„Machst du bitte am hinteren Geländeeingang das Tor auf, dann können wir mit dem Autos direkt vor die Halle fahren."
„Klar, bis gleich!"
Somit führte mich mein Weg kurz weg von Mathias und zwar genau in dem Moment, als Lasse, Hans und Nanna mit Kalle auf uns zukamen. Ich winkte ihnen kurz und beeilte mich dann. Ich musste einmal ums Gebäude herum zur Schranke. Hier hinten war nie irgendwas los und normalerweise machte sich Bob auch nicht die Mühe, von dieser Seite anzufahren. Sicher hatte er den Kofferraum voll und wollte sein Auto ausladen. Hoffentlich waren Nanna und ich dann schon weg. Nicht, dass ich nicht mit anpacken wollte. Aber Bob würden dann wieder tausend Dinge einfallen, die wir „gerade mal so nebenbei" erledigen könnten. Bei dem Gedanken musste ich lächelnd den Kopf schütteln. Eigentlich war ich doch froh, dass unser Verhältnis so gut war. Nachdem das Tor und die Schranke geöffnet waren, ging ich zurück zu Nanna. Vor der Ecke der Halle, griff jemand nach meinem Handgelenk und zog mich zurück. Ich erschrak.
„Was machst du hier?", fragte ich geschockt, als ich in Chris' Augen sah.
„Was ich hier mache?! Du hast mir Post geschickt!", raunte er und wedelte mit der Einstweiligen Verfügung vor meiner Nase herum, „die Polizei hat mich zum Gespräch geladen. Ich musste erstmal alle aufklären, nachdem du ihnen so einen Mist erzählt hast!"
„Das ist die Wahrheit und das weißt du auch!", versuchte ich stark zu sein.
„Und weißt du wie sehr mich das interessiert?!" Er zerriss den Brief vor meinen Augen. Ich war so sicher, ihn nie wieder zu sehen. Und jetzt war er wieder da. Mein Herz klopfte bis zum Hals. Im Augenwinkel sah ich noch die Ecke der Hallenwand. Dahinter würde zumindest Nanna noch stehen und könnte Hilfe holen. Also rannte ich los. Er war schneller.
„Hey, hey, hey! Wo willst du hin?!"
„Chris, lass mich los!", sagte ich, als er abermals mein Handgelenk griff.
„Du wirst dein Maul halten, hast du verstanden?!", sagte er und schüttelte mich.
„Verschwinde doch einfach von hier!"
„Ich hab's dir schonmal gesagt: Ich denke ich bleibe eine Weile..."
„Bitte...lass mich...was willst du denn noch von mir?"
„In erster Linie will ich, dass du nicht weiter so eine sche*ße über mich erzählst! Aber nach der Aktion reicht mir das nichtmehr...." Was meinte er damit? Es könnte doch einfach wieder zurück nach Köln und wir vergessen das Ganze. Warum tat er das? Er brachte sich doch selbst in Gefahr...
„Ich will, dass wir uns verhalten wie früher. Wir hatten so viel Spaß, weißt du noch?!" Er zog mich nah an sich ran. Als ich mich aus seinen Handgelenken befreien wollte, griff er in meine Haare und zog mich gegen die Wand, an die er mich nun drückte.
„Wie wäre es mit einer kleinen Revanche...", flüsterte er an mein Ohr, „und du wirst keinem davon erzählen, hast du verstanden?! Und sei dir sicher, dass ich mein Taschenmesser immer bei mir trage...wäre doch schade, wenn deinen neuen Freunden etwas passiert...verstehst du das?!"
Ich schwieg und versuchte, von ihm wegzukommen.
„OB DU DAS VERSTANDEN HAST?!", schrie er dann und drückte meinen Körper erneut schwungvoll gegen die Wand, sodass ich auch mit dem Kopf aufschlug. Er griff mit der Hand an meinen Hals und wollte mich würgen.
„HEY! LASS SIE LOS!", hörte ich plötzlich Lasse, der auf uns zugerannt kam und Chris von mir wegzerrte. Lasse packte Chris am Kragen und drückte ihn rückwärts, bis dieser ihm zwischen die Beine trat und ihm dann in den Bauch boxte.
„Lasse, nein!", rief ich und versuchte, die beiden auseinander zu drücken. Ohne Erfolg. Chris schlug mehrfach auf ihn ein, ich erschrak und hielt die Hände vors Gesicht. Den letzten Schlag bekam Lasse ins Gesicht, dann schlug er selbst mehrfach zu. Lasses Schrei alarmierte wohl auch Hans und Mathias, die nun um die Ecke gerannt kamen.
„HEY! WAS SOLL DAS?! HÖRT AUF!", schrie Hans und versuchte nun auch mit Mathias, die beiden auseinander zu reißen. Sie hatten ja nicht mitbekommen, dass Lasse sich nur wehrte. Für mich geschah alles in Zeitlupe. Ich wusste gar nicht, wohin ich schauen sollte. So bekam ich auch gar nicht mit, dass Bobs Auto auf den Hof fuhr und er und Kretzsche die Szenerie wohl mitbekommen hatten.
„ALTER, LASS MICH LOS!", brüllte Chris Hans an, als er und Mathias die beiden trennen konnten.
„Ganz ruhig, man! Was ist hier passiert?", fragte Hans. Ich stand noch immer einfach dort mit den Händen vor meinem Mund. Mathias hielt eine Hand auf Lasses Schulter. Mehr war nicht nötig, er beruhigte sich langsam wieder und wischte das Blut von seiner Nase.
„Sagt mal, was soll das werden, wenn's fertig ist?!", fragte Kretzsche aufgebracht.
„Der hat sich nicht im Griff, ist einfach auf mich losgegangen!", sagte Chris.
„Was?! Du hast Malia angegriffen!", rief Lasse empört.
„Was?!", rief Mathias und sah zwischen mir und Chris hin und her, „alles okay mit dir?" Ich konnte ihm gar nicht antworten. Ich stand einfach nur da.
„Angegriffen?! Wieso sollte ich ihr wehtun?! Wir sind Freunde von damals, stimmt's Mali?", sagte Chris und schaute zu mir, „das war nur Spaß!"
„Malia?", fragte Lasse, „sag was!"
Ich schaute die ganze Zeit von Lasse zu Chris und wieder zurück. Sag doch was Malia! Wieso kommt kein Ton aus dir? Ich war wohl in einer Art Schockstarre.
„Besser wir rufen die Polizei...Du wirst dieses Gelände nichtmehr betreten, die Arena auch nicht, hast du verstanden?! Wer bist du überhaupt?!", fragte Bob.
„Ich hab nichts gemacht!", verteidigte er sich wieder, „ich werd' dich anzeigen, Andersson!"
Lasse machte einen Schritt auf ihn zu, Mathias stellte sich ihm in den Weg. Provozieren ließ sich Lasse gerade leider sehr gut...
„Du vergreifst dich an einer Frau und stellst dich dann als Opfer dar?!", rief Lasse empört, „peinlich bist du!"
„Mali, erzähl doch mal, dass da nichts war!", forderte Chris mich auf, „und denk daran, was wir besprochen haben..." Alle Augen waren auf mich gerichtet. Chris funkelte mich böse an. Ich hatte so Angst um Lasse. Ich hatte Angst, dass Chris ihm nun etwas antun würde. Ich wusste nicht, was richtig und falsch war. Ich sah einfach nur zwischen jedem Augenpaar hin und her. Mein Herz klopfte so stark und so schnell. Ich hatte das Gefühl, jeden Moment einfach umzukippen.
„Gabz ruhig Malia!", versuchte Bob mir zuzureden und strich mir über den Arm.
„Na also. Da war nichts", Chris riss sich aus Hans Arm, „ich werd dann jetzt mal gehen. Auf die Strafanzeige verzichte ich, ich denke wir sind quitt."
„Hey!", rief Lasse ihn hinterher.
„Lass ihn laufen. Der kommt nicht wieder...Malia wird der Polizei seine Personalien geben...", stöhnte Kretzsche.
„So ein Arschloch, geht's dir gut, Lasse?", fragte Bob und Lasse nickte.
„Und dir Malia?", fragte er dann. Ich nickte stumm. Mathias kam näher und zog mich kurz in seinen Arm.
„Wer war das und was wollte der von dir?", fragte Lasse. Ich zuckte mit den Schultern. Lasse erzählte was er gesehen hatte und ich schaute nur auf den Boden. Mein ganzer Körper zitterte und ich konzentrierte mich einfach nur darauf, nicht zu weinen und nicht umzukippen. Ich war wie in Trance.
„Malia, du musst ihn anzeigen! Sonst macht er das wieder!", redete Bob auf mich ein.
„Setzt er dich unter Druck? Mit was?", fragte Kretzsche. Mir stießen Tränen in die Augen. Ich wollte das alles nicht beantworten. Es war mir so unangenehm. Ich wollte nicht, dass meine Vergangenheit wieder auf den Tisch kam. Und ich bekam gerade sowieso keinen Ton raus. Ich war wie gelähmt.
„Ich finde wir sollten sie nicht unter Druck setzen, sie steht unter Schock...", sagte Hans, „lasst sie erstmal in Ruhe. Und vor allem lasst uns reingehen, das muss nicht noch die ganze Mannschaft mitkriegen!"
Wir gingen in die Trainingshalle.
„Ich bleibe bei dir", sagte Mathias und versperrte den Anderen den Durchgang.
„Na gut. Ich sage Jaron Bescheid", sagte Kretzsche. Mathias öffnete die Tür des kleinen Besprechungsraums. Kurz bevor er diese hinter uns schloss, hörte ich nochmal Kretzsches Stimme. „Sie ist völlig neben der Spur, völlig eingeschüchtert."
„Wir reden morgen mit ihr", antwortete Bob daraufhin. Lasses Nase hatte sich in der Zeit wieder beruhigt. Ich konnte nur hoffen, dass sich der Vorfall nicht durch die gesamte Mannschaft zog.

Traum und Wirklichkeit (Mathias Gidsel | Füchse Berlin FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt