Kapitel 36

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Flashback:
„Fünf Minuten zu spät!", stöhnte Chris, als er die Haustür öffnete. Ich ging wortlos an ihm vorbei in den Flur und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Du löschst jetzt sofort das Foto!", befahl ich ihm. Ich sah ihn grimmig an. So selbstbewusst und aggressiv ich nur konnte.
„Sonst was?", lachte er.
„Sonst geh ich zur Polizei!"
„Aha. Und was erzählst du denen?! Dass du mit mir geschlafen hast? Dass ich dir das Herz gebrochen habe?! Sorry, das ist kein Grund für eine Anzeige!", lachte er weiter.
„Dass du mich erpresst. Mit dem Foto."
„Erpressung ist es erst, wenn's funktioniert. Du kannst auch einfach gehen und warten, bis das Bild im Internet ist...es ist deine Entscheidung!"
„Ich sorge dafür, dass du aus dem Verein fliegst! Ich erzähle meinem Onkel was du getan hast!"
„Sicher nicht!", sagte er genervt und verdrehte die Augen. Ich griff nach meinem Handy und wählte tatsächlich seine Nummer. Ich würde mich niemals trauen, ihm alles zu erzählen, aber das musste Chris ja nicht wissen. Es musste nur wirklichen.
„Hallo? Malia?", meldete er sich und ich stellte auf laut. Chris Miene änderte sich. Er schluckte und sein Lachen verschwand. Das war also der Punkt, mit dem ich ihn bekam. Er formte ein lautloses ‚Leg auf' mit seinen Lippen.
„Malia?", fragte mein Onkel nochmal, „ich kann dich nicht hören!"
„Entschuldige, ich wurde gestört", antwortete ich ihm, „du hast doch gefragt, warum ich letztens so komisch war."
„Ja? Und?"
„Ja also das war so" Chris schlug mir mein Handy aus der Hand, sodass es auf den Boden fiel. Er bückte sich und drückte meinen Onkel weg. Mit dem Fuß kickte er es weit weg von uns.
„WAS FÄLLT DIR EIN?!", schrie er mich an. Er kam mit großen Schritten auf mich zu und drückte mich gegen die Wand. Sein aggressiver Blick. Da war er wieder. Und er machte mir Angst.
„Lass mich los!"
„Auf gar keinen Fall!", entgegnete er und legte die Hände an meinen Hals. Ich versuchte, ihn von mir wegzudrücken, aber keine Chance. Er war zu stark.
„Kein Wort zu ihm! Oder zu irgendwem sonst! Hast du das verstanden?!", keifte er und drückte fester zu, sodass ich nach Luft rang, „OB DU DAS VERSTANDEN HAST?!"
Ich nickte. Er ließ eine Hand los und schlug sie nah an meinem Gesicht vorbei gegen die Wand, sodass ich erschrak.
„Ein Klick und das Foto landet überall!"
„Es tut mir Leid!", wimmerte ich, „bitte...es tut mir Leid!"
„Na das hört sich doch schon besser an", grinste er, „den Weg ins Schlafzimmer kennst du ja."
„Nein! Ich", begann ich, doch er drückte wieder fester.
„Okay! Okay! Ja, ich mache es! Nur bitte hör auf!", wimmerte ich dann.
„Na also, geht doch!"

Flashback Ende

„Ja...so war das...", seufzte ich, als ich endlich zum Schluss kam. Ich sah Mathias in die Augen, nachdem ich während der Erzählung eher nach unten gesehen habe. Er sah etwas überfordert aus. Seine Mundwinkel hingen herunter, seine Stirn schlug Falten. Man konnte ihn praktisch denken hören.
„Das ist...", begann er, „sehr viel zu verstehen...es tut richtig weh zu hören..."
Ich kniff die Augen zusammen. Ich hatte so Angst vor seiner Reaktion.
„Bist du böse wenn ich gehe kurz an die frische Luft?"
Ein Schauer lief mir über den Rücken. Böse nicht, Mathias. Aber enttäuscht. Verletzt. Bleib doch bei mir...
Aber was tat ich? Ich schüttelte den Kopf.
„Alles gut", flüsterte ich tapfer und hielt die Tränen zurück. Tränen der Verzweiflung und der Angst, Mathias zu verlieren, weil ich ihm die Wahrheit gesagt hatte. Ich rechnete damit, dass Mathias nun einfach aus meiner Haustür verschwand. Aber dann hörte ich lediglich die Balkontür.

Flashback:

„Malia, du musst ihn anzeigen!", sagte Anna und legte tröstend einen Arm um mich.
„Nein!", weinte ich weiter und schüttelte den Kopf. Ich war gleich nach dem zweiten...Vorfall mit Chris zu ihr gefahren.
„Wenn ich irgendjemandem davon erzähle, lädt er das Bild ins Internet...und mein Leben ist vorbei..."
„Süße, wir finden eine Lösung!", munterte mich Nadine auf. Naja, zumindest versuchte sie es.
„Du darfst da auf keinen Fall mehr hingehen hörst du?!"
„Aber...aber wenn ich nicht tue was er sagt, dann"
„Der Typ darf dich nie wieder anfassen, hörst du?! Nie wieder! Egal mit was der droht! Ich war nie ein Fan von ihm, aber dass er so krass drauf ist hätte ich nie gedacht...", hab Anna zu.
„Die ganze Mannschaft hat mich nackt gesehen..."
„Das ist nur ein Haufen Vollidioten, weiter nichts!", tröstete Nadine mich wieder.
„Du musst da raus! Sofort!", sagte Anna.

Flashback Ende

Ich hörte die Balkontür und Sekunden später stand Mathias wieder im Schlafzimmer. Er setzte sich langsam auf mein Bett und atmete durch. Dann schüttelte er einmal mit dem Kopf, als würde er dadurch seine Gedanken sortieren.
„Wie...äh...wie oft hast du...also...wie oft warst du bei ihm?"
„Drei Mal."
„Und...dann er hat aufgehört?"
„Naja..."

Flashback:
Eine Spielerverabschiedung in mitten der Saison hatte es wohl noch nie gegeben. Aber mir war es recht. Mehr als nur recht. Chris musste für die nächsten Semester seines Studiums in die Schweiz und siehe da: Die Studienzeiten fielen genau in unseren Spielplan. Was ein Jammer aber auch! Es ging auf einmal alles so schnell zwischen unserem ersten Mal und der Verabschiedung beim heutigen Heimspiel. Aber endlich würde Ruhe einkehren. Endlich würde ich ihn nichtmehr sehen. Endlich. Ich konnte es kaum abwarten. Ich genoss den Moment, als ihm zum Andenken ein Bilderrahmen mit Mannschaftsfoto überreicht wurde und alle klatschten. Bis auf mich. Denn ich wusste. Er war nun offiziell draußen. Raus aus dem Verein. Raus aus meinem Umfeld.
„Na, wirst du mich vermissen?", kam er nach dem Spiel auf mich zu. Aber eine Sache hatte sich geändert: Ich traute mich nicht mehr zu kontern. Ich stand einfach nur so dar und starrte ihn ängstlich und erschrocken an.
„Was hältst du von einem letzten romantischen Abend zu zweit?", fragte er und strich eine Haarsträhne hinter mein Ohr, doch ich wich ihm angewidert aus.
„Morgen Abend nach dem letzten Training."
„Bitte nicht!"
„Malia, Liebes, du musst nicht kommen. Du hast die Wahl!", sagte er und fuchtelte mit seinem Handy vor meiner Nase herum. Ich konnte nur hoffen, dass es schnell vorbeiging...

Flashback Ende.

„Entschulde, ich", brachte ich noch raus, bevor die erste Träne meine Wange hinunter lief. Ich wollte nicht vor Mathias weinen. Aber während ich erzählte, fühlte sich alles nochmal an wie damals. Dieser ekelhafte Film auf der Haut, seine Berührungen, alles war wieder da. Ich wollte aufstehen, doch Mathias zog mich am Arm zurück und in seinen Arm hinein. Er drückte meinen Kopf sanft an seine Brust und strich mir über die Seite.
„Shhh, das passiert nie wieder, hörst du?!", sagte er und küsste mehrfach meine Schläfe und meine Haare. Er beugte sich kurz zum Nachttisch und griff nach einem Taschentuch für mich. Mathias gab mir viel Zeit, mich erstmal wieder zu beruhigen. Und die Zeit brauchte ich auch. Es war mir unangenehm, dass ich nun richtig arg vor ihm weinte. Bei jedem Schluchzen hielt er mich gefühlt noch fester in seinem Arm.
„Kann ich etwas tun für dich?", fragte er, als ich dann irgendwann meine Fassung wiederhatte.
Ich schüttelte den Kopf.
„Ich will nicht, dass du denkst, dass ich denke, dass", ich stoppte. Mathias sah mich schief an. Das war zu kompliziert.
„Ich weiß, du bist nicht wie er", sagte ich dann einfach.
„Nein. Ich werden niemals sein wie er!", antworte er ernst und setzte sich wieder zu mir aufs Bett. Ich nickte.
„Wenn du hast mehr bessere Erfahrungen, es wird leichter. So...wenn du möchten bessere Erfahrungen machen, ich bin hier." Er griff nach meinen Händen, „aber alles was ich kann tun ist versprechen, dass ich dir nicht wehtun werde. Aber rausfinden kannst nur du."
Ich atmete einmal tief durch und nickte.
„Ich will das mit uns. Mehr als alles andere, wirklich!", lächelte ich und brachte ihn auch zum Lächeln, „aber"
„Nein!", unterbrach Mathias mich und hielt seinen Finger auf meine Lippen, „schlechte Gedanken müssen weg! Es ist kein aber mehr!"
Er nahm den Finger wieder von meinen Lippen und ich lächelte.
„Ich hab dich gar nicht verdient...", murmelte ich.
Ich legte meine Arme um seinen Nacken und küsste ihn. Er schlang seine Arme um meinen Oberkörper und ließ sich dann langsam nach hinten gleiten, sodass ich auf seinem Oberkörper lag.
„Danke", flüsterte ich, „ich bin froh, dass du es jetzt weißt..."
„Ich auch", sagte er und küsste mich, „so du siehst: Du kannst alles sagen, was du möchtest. Ich bin hier. Ich höre dir zu! Es ist nur wichtig, dass wir reden. Okay?"
Ich nickte.
„Ich habe es zehn Jahre lang verdrängt. Ich konnte es einfach nicht erzählen...und ich hätte auch nie damit gerechnet, jemanden wie dich hier zu treffen. Ich wollte keine Beziehung. Ich wollte nur Karriere. Aber du...", ich stoppte und lächelte.
„Du kannst beides haben! Du kannst lieben dein Job und du kannst lieben mich!", lächelte er. Liebe? Nein, dafür kannten wir uns doch noch nicht lange genug! Folgten jetzt die Berühmten berühmten drei Wörter? Ich liebe dich. Aber nein, das konnte ich wirklich noch nicht.

Traum und Wirklichkeit (Mathias Gidsel | Füchse Berlin FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt