Kapitel 12

80 1 0
                                    

Es dämmerte bereits, bis ich in mein Zimmer im Krankenhaus gebracht wurde. Stundenlang hatte ich in der Notaufnahme verbracht, bis ich endlich drankam. Die schlechte Nachricht: mein Knöchel war gebrochen. Die gute Nachricht: ich musste wahrscheinlich nicht operiert werden. Und obwohl mich das etwas beruhigte, brachte mein schlechtes Gewissen mich noch um...Mathias wartete vielleicht immer noch auf mich. Oder aber er hatte mich schon abgeschrieben und war sauer oder enttäuscht von mir. Niemals hätte ich mit Bob mitfahren dürfen! Dann wäre das alles nicht passiert. Ich weiß nicht, ob mir aus Wut oder aus Verzweiflung die Tränen kamen - oder aber vielleicht, weil das Adrenalin nun vollständig aus meinem Körper draußen war und mein Fuß schmerzte. Fakt war aber ich weinte. So viel Glück und dann so viel Pech - das war wirklich ein Sprung, den ich nicht verkraftete. Die Tür ging auf und eine Schwester kam rein. Sie fragte, ob alles okay sei und ob sie mir noch etwas bringen könnte. Schmerzmittel wären super. Und im zweiten Schritt vielleicht meine Entlassungspapiere und ein neues Handy. Aber nein, aufgrund des Sturzes musste ich eine Nacht zur Beobachtung hier bleiben. Und Bob? Von dem hörte ich nichts mehr. Er kam weder in die Notaufnahme, um mit mir zu warten, noch später in mein Zimmer. Gut, die Besuchszeit war vorbei, aber ich an seiner Stelle hätte mir Sorgen gemacht.
„Haben Sie jemanden, der Ihnen Klamotten für die Nacht und für morgen bringen kann?", fragte die Schwester, „können wir da jemanden anrufen?" Ich schüttelte den Kopf. Die einzigen Telefonnummern die ich hatte waren die von Bob, Kretzsche und Mathias. Bob und Mathias waren sofort raus, das erschien mir am unangenehmsten von allen Möglichkeiten. Vielleicht hätte ich Paul angerufen, wenn ich gekonnt hätte. Oder Lasse oder Hans. Aber egal wer es war, och wollte auf gar keinen Fall, dass einer von ihnen meine Sachen umwühlt, womöglich noch meine Unterwäsche oder Ähnliches findet. Nein! Wobei ich schon grinsen musste bei dem Gedanken, welchen dummen Spruch Lasse gebracht hätte, wenn er hier mit meinen Sachen angekommen wäre. Aber es war einfach keine Option - und seine Nummer hatte ich eh nicht. Das Krankenhauspersonal stellte mir die wichtigsten Dinge zur Verfügung - am nächsten Tag durfte ich ja ohnehin schon wieder gehen.
Die Nacht zog sich so dahin, meine Bettnachbarin schnarchte so laut, dass an Schlaf nicht zu denken war. Ich drehte mich nach links und rechts, aber keine Chance. Ich hatte viel Zeit um nachzudenken. Über den Unfall, über Mark und vor allem über Bobs Art und Weise, hier einfach nicht aufzukreuzen. Vielleicht war man nur gut, wenn man perfekt funktionierte...
Am nächsten Morgen nach dem Frühstück wartete ich auf meine Entlassungspapiere. Eigentlich wurde am Wochenende niemand entlassen, aber bei mir mussten sie zwangsläufig eine Ausnahme machen, immerhin hatten sie mir dies gestern zugesagt. Ich nutzte die Zeit und legte meinen Fuß noch etwas hoch. Dann klopfte es an der Tür.
„Malia, da bist du ja!", begrüßte Bob mich, „ich hab den ganzen Abend versucht dich zu erreichen!"
„Mein Handy ist beim Sturz kaputtgegangen", erklärte ich.
„Wie geht's dir denn?", fragte er und setzte sich.
„Ganz okay, ich muss nicht operiert werden und warte nur auf meine Entlassungspapiere."
„Es war gestern nicht ganz richtig von mir, dich zu überreden."
Ich zuckte mit den Schultern.
„Danke. Das nächste Mal sage ich noch klarer ‚nein'."
„Weißt du, eigentlich sind die Leute im Rennstall total nett und wir haben"
„Bob", unterbrach ich ihn, „tust du mir einen Gefallen? Lass uns nichtmehr drüber reden, okay? Es ist nicht meine Welt." Ich erschrak kurz selbst, wie ehrlich ich in diesem Moment war. Vielleicht war es der Schlafmangel.
„Okay. Jedenfalls werde ich dich nach Hause fahren. Und vorher kaufen wir dir noch ein neues Handy, das geht auf mich!"
„Fahren gerne, aber alles andere kann ich nicht annehmen!"
„Ich trage eine Mitschuld an...dieser Situation...", umschrieb er und deutete auf meinen Fuß, „also doch, das kannst du annehmen!" Eine Mitschuld an der Situation...ja...nicht nur an DER Situation.

Wenig später durften wir dann endlich gehen. Bei der Frage, ob er meine Sachen tragen sollte, sah ich ihn nur schief an. Welche Sachen bitte?! Wer soll mir die gebracht haben? Aber ich war froh, dass er da war und dass er sich zumindest durch die Blume entschuldigt hatte. Unser erster Stopp war tatsächlich ein Technik-Laden. Ich kraxelte auf meinen Krücken hin zu den Handys und suchte mir das gleiche raus wie das, was kaputt gegangen war. Ich wollte nicht viel Zeit vergeuden und einfach nur schlafen. Bob bezahlte und fuhr mich dann nach Hause.
„Vielen Dank!", lächelte ich, als er sein Auto vor meiner Haustür anhielt.
„Soll ich noch mit hoch kommen?", fragte er.
„Oh nein, vielen Dank! Ich komme klar!", antwortete ich und stieg aus. Ich schloss die Tür auf und blickte auf die Treppe vor mit. Na super...mit den Krücken in der einen und dem Geländer in der anderen Hand hüpfte ich die Treppe nach oben bis zu meiner Wohnungstür. Mein erster Weg führte ins Bad, ich machte mich etwas frisch und zog mich um. Dann fiel ich ins Bett. Noch bevor ich überhaupt darüber nachdenken konnte, mein neues Handy einzurichten und Mathias zu informieren, war ich schon eingeschlafen.
Bis auf eine kurze Unterbrechung zwecks Tabletteneinnahme schlief ich bis zum nächsten Morgen durch. Und dann setzte ich mich endlich an die Einrichtung meines Handys und setzte meine alte SIM-Karte ein. In der Zeit, in dem ich den Akku auflud, sprang ich durch meine Wohnung und machte mir etwas zu essen. Und dann saß ich da. Auf meiner Couch, das Handy in der Hand.
„Jetzt ruf doch endlich an, du Feigling!", sagte ich zu mir selbst. Es dauerte noch eine ganze Weile, dann drückte ich endlich auf Anruf. Die Sekunden in denen ich wartete, dass der Anruf durchging kamen mir unglaublich lang vor. Ich wusste ja gar nicht, wie Mathias auf mich reagierte. Und ich hatte mich mit dem Grillabend ihm gegenüber sehr verletzlich gemacht. Gefühle waren schon da und mir war es unglaublich wichtig, dass das auch so blieb. Nach dem zweiten Tuten hörte ich das Besetzt-Zeichen. Hatte er mich jetzt tatsächlich weggedrückt? Ich versuchte es ein zweites Mal. Und schon wieder das Besetzt-Zeichen. Jetzt nach dem ersten Tuten. Er drückte mich wirklich weg. Er war also sauer. Oder enttäuscht. Oder beides.
„Scheiße", murmelte ich und Tränen liefen meine Wange hinunter. Ich war was ihn anging noch verletzlicher, als ich mir selbst zugestand. Und wenn er nun sauer war, wäre auch meine Bindung zu Lasse dahin. Die beiden waren so gut befreundet, da passte ich sowieso nicht rein. Vielleicht war es auch naiv zu denken, dass alles einfach reibungslos und fast schon perfekt weiterlaufen würde, wie die erste Woche verlief. Aprospros erste Woche: Meine Krankschreibung konnte ich gerade mal vergessen: Ein Sommerfest plant sich nicht von alleine. Daher bat ich Kretzsche, mir den Arbeitslaptop vorbeizubringen. Vielleicht ging er ja ans Telefon.
„Hallo?", meldete er sich.
„Hallo, hier ist Malia."
„Malia, hi. Wie kann ich dir helfen?"
„Könntest du mir am Montag vielleicht meinen Laptop vorbeibringen? Ich bin krankgeschrieben, aber ich würde gerne von Zuhause aus arbeiten."
„Du bist krankgeschrieben? Das hört Bob aber leider nicht so gerne...Gestern ging's dir doch noch gut..."
„Ich hatte einen Unfall, Bob war dabei."
„Einen Unfall? Geht's dir gut? Was ist passiert?"
„Er hat mich auf sein Rennpferd gesetzt, ich bin runtergefallen und hab mir den Fuß gebrochen", erklärte ich in einem sehr genervten Unterton.
„Oh nein...Hey, mach dir keine Gedanken und werd erstmal wieder gesund!"
„Ich möchte nicht nach einer Woche schon ausfallen!"
„Na gut, ich komme am Montag bei dir vorbei. Aber bleib ja auf der Couch und schön hoch das Bein!"
„Versprochen!"
„Na gut, Gute Besserung, wir sehen uns am Montag!"
Und dann saß ich wieder hier. An einem wunderschönen Sommertag in meiner Wohnung in Berlin. Ich telefonierte noch mit meinen Eltern und mit Freunden, die Zeit ging einfach nicht um. Und Mathias meldete sich nicht. Die Blöße, noch ein drittes Mal weggedrückt zu werden, gab ich mir aber nicht. So enttäuscht er gestern sein musste, so enttäuscht war ich aber nun auch von ihm. Wenigstens eine Chance es zu erklären hätte er mir geben können.
———————————-
Hallöchen! :) Morgen geht's für mich nach Köln zum Final 4, ich freue mich schon riesig :) Hoffen wir auf einen guten Ausgang für die Füchse :)

So langsam bröckelt die perfekte Fassade der ersten Arbeitswoche von Malia :/ Schreibt mir gerne eure Eindrücke oder Wünsche wie es weitergehen soll :)

Traum und Wirklichkeit (Mathias Gidsel | Füchse Berlin FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt