Kapitel 56

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Als ich an der Max-Schmeling-Halle ankam, warteten schon viele Fans im Flensburg-Trikot auf unsere heutigen Gäste. Ich lächelte, grüßte sie und ging an Ihnen vorbei in die Katakomben der Halle. Früher war ich genauso. Früher stand ich am Rand und freute mich über Autogramme und Fotos und jetzt sah ich anderen dabei zu. Noch war es sehr still in der Halle. Auch die Füchse waren noch nicht da. Aber einer, der war immer da. Bob. Natürlich, wer sonst. Er diskutierte gerade mit Hallensprecher und Technikern.
„Ach, Malia, gut, dass du kommst!", begrüßte er mich und kurz wunderte ich mich über die Herzlichkeit, die er an den Tag legte, „Folgendes: Die Pressekonferenz soll auf die Bildschirme der Anzeigetafeln übertragen werden."
Ich runzelte die Stirn. Prinzipiell war das ja eine gute Idee von ihm. Aber jetzt? Für heute? Etwas kurzfristig. Und überhaupt: was hatte ich damit zu tun?
„Oh Okay...ja, schön...", reagierte ich erstmal so neutral wie möglich auf sein Vorhaben.
„Und Armin", er deutete auf den Techniker, „will mir gerade wirklich erklären, dass das nicht so schnell geht."
„Dann schätze ich, wird Armin sich für die Zukunft Gedanken machen...", antwortete ich wieder. Noch immer fragte ich mich, was ich jetzt damit zu tun hatte.
„Ja, da sind wir ja einer Meinung. Armin? Du kannst gehen! Du bist raus!"
„Woh woh woh, was?! Nein! So wars nicht gemeint!", verteidigte ich mich direkt. Er wollte ihn doch nicht ernsthaft einfach rausschmeißen! „Ich meinte, dass Armin sicher für die nächsten Heimspiele etwas hinbekommt!"
„Und ich meine, dass ich darauf nicht warten will. Wir haben ein Topspiel vor der Brust."
„Das kann nicht dein Ernst sein!", rief ich wieder entsetzt, „Armin, du bleibst!"
„Dünnes Eis, schon wieder!", fauchte Bob.
„Das machst du doch mit Absicht! Du versuchst, mich aus dem Konzept zu bringen! Um mich hier raus zu kriegen! Dir geht es gar nicht um Armin!"
„Mir geht's um die Pressekonferenz", sagte er ruhig, vielleicht leicht abweisend.
„Das ist gelogen!", konfrontierte ich ihn.
„Armin, du gehst jetzt besser, bevor ich mich vergesse!", grummelte Bob wütend.
„Leute, was ist denn hier los?", kam Kretzsche auf uns zu.
„Ich kümmere mich um unbegabte Mitarbeiter", erklärte Bob. Ich lachte abwertend. Und dann erklärte ich Kretzsche kurz, was wirklich gerade abging.
„Ey Bob, im Ernst, was ist denn los mit dir in letzter Zeit? Fahr mal einen Gang runter!"
„Aber sie"
„Sie hat nichts gemacht!", unterbrach Kretzsche ihn sofort. Bob runzelte noch kurz die Stirn, dann schluckte er.
„Na gut, okay. Keine Pressekonferenz auf der Anzeigetafel", seufzte er dann, „aber Malia? Wenn du dich doch so für Armin einsetzt, wieso hilfst du ihm dann nicht, kurzfristig gescheites Fachpersonal zu besorgen!" Bei diesem Vorschlag hätte ich mit den Augen rollen können. Er wusste doch, dass in der Geschäftsstelle genug zu tun war. Andererseits, das gehörte irgendwie auch zu meinen Aufgaben. Also wusste ich ja schon, was mich in den nächsten Tagen erwartete.
Langsam füllte sich die Halle mit Zuschauern und auch die Mannschaften sammelten sich zum Warmmachen auf dem Feld. Ich setzte mich auf die Trainerbank zu Jaron.
„Hey, na alles klar?", lächelte mich zur Begrüßung an.
„Frag lieber nicht!", lächelte ich zurück. Es war mehr ein gezwungene Lächeln.
„Bob?"
„Hmm", nickte ich nur. Hier wusste also wirklich jeder, wie schwierig Bob sein konnte und trotzdem wollte ihm niemand das Wasser reichen. Warum hatten alle so schreckliche Angst vor ihm? Oder was auch immer es war. Seine Intrigen, von den man oft schon gehört hat. Waren die etwa war? Stimmt es, dass er, um seinen Willen zu kriegen, über Leichen ging? Diesen Ruf hatte er zumindest. Und ich war mir ziemlich sicher, dass ich diese Frage bald beantworten könnte. Nun aber saß ich erst mal hier und beobachtete die Jungs. Mathias ging freudestrahlend auf seinen Kumpel Emil zu und nahm ihn in den Arm. Auch Simon Pytlick stellte sich zu den beiden dazu. Mathias sah glücklich aus mit seinen Freunden um sich herum. Ich konnte es kaum erwarten, sie endlich kennen zu lernen. Ob ich nun schon mal kurz hingehen sollte? Warum eigentlich nicht? Ich stand also auf und...
„Malia, kommst du bitte mal?", rief Bob schon wieder. Ich seufzte. Dann wohl nach dem Spiel.
„Ja, was gibt's?", fragte ich und stellte mich zu ihm hinter die Trainerbank.
„Hier, die Unterlagen brauche ich für meine nächsten Meetings. Pass gut drauf auf! Ich muss noch mal rüber zur Presse!", sagte und drückte mir einen Stapel Papier in die Hand. Dann war er auch schon wieder verschwunden. Etwas perplex stand ich da, aber es war mir auch ganz recht, dass er sofort wieder weg war. Komisch. Einfach nur komisch. Leider hatte Mathias sein Gespräch mit den Dänen bereits beendet und beide Mannschaften machten sich nun warm. Da konnte ich nicht mehr dazwischen gehen. Also setze ich mich schon mal auf meinen Platz.
„Du darfst das Bob nicht so übel nehmen. Er wird noch kurze Zeit sauer sein und dann wird alles seinen normalen Weg gehen!", sagte Kretzsche neben mir. Ich lächelte ihn einfach nur stumm an. Was sollte ich auch sagen? Aber es wurde noch verrückter. Denn als Bob wiederkam, lächelte er mich an.
„Vielen Dank fürs Aufpassen!", sagte er und strich mir kurz freundschaftlich über den Rücken. Ich war kurz davor, ein lautes ‚Hä' über meine Lippen zu bringen. Aber ich blieb lieber still. Als das Spiel begonnen hatte, wurde Bob langsam nervös. Aber alles war mir lieber, als dass er seine Launen wieder an mir ausließ. Er fluchte viel, regte sich auf und wusste wie immer alles besser. Man musste sagen, die Füchse hatten heute wirklich einen schlechten Tag erwischt. Schon nach 10 Minuten führte Flensburg mit fünf Toren. Die Abwehr funktionierte nicht, Milo sah keinen Ball und der Angriff war geprägt von technischen Fehlern. Sobald der Schiri das Spiel unterbrach, nutzte Mathias die Gelegenheit, um sich mit seinen dänischen Kollegen der Gastmannschaft auszutauschen. Auch das sah Bob während dem Spiel bestimmt nicht gerne. Auch hier war Mathias wieder zu locker. Er hatte einfach nur Spaß. Er freut sich so sehr auf dieses Spiel und darauf, endlich mal wieder seine Freunde zu sehen. Wer konnte es ihm verdenken? Ach ja, da war einer: Bob natürlich. Die gesamte erste Halbzeit war optisch für die Papiertonne gedacht. Die Stimmung kippte langsam in der Arena, der Gästeblock wurde lauter. Und Bob wurde lauter. So laut, wie es eigentlich gar nicht mehr möglich war für einen normalen Menschen. Ich vergaß kurz unsere angespannte Situation und amüsierte mich darüber, wie sehr er diesen Sport lebte. In der Halbzeit verschlug es ihn sogar in die Kabine. Und auch da würde er wahrscheinlich nicht leiser sein.
Die zweite Halbzeit lief etwas besser, aber nicht gut genug, um am Ende das Spiel mit einem Heimsieg beenden zu können. Flensburg überlag am heutigen Abend haushoch. So hoch, dass man eigentlich gar nicht darüber sprechen sollte. Was ein Schlag ins Gesicht! Sowohl die Zuschauer in der Halle als auch Zuhause von den Bildschirmen hatten sich auf ein spannendes Spiel gefreut. Spannend war nur die Tatsache, wie lange es Bob auf seinem Stuhl aushielt, ohne zu platzen. Das, was auf dem Feld passierte, war von Spannung leider ganz weit weg. Ich sah die Enttäuschung in den Augen der Jungs. Sie machten das natürlich nicht mit Absicht. Ihnen wäre es auch viel lieber gewesen zu gewinnen. Gut zu spielen. Sich feiern zu lassen.. aber heute sollte es einfach nicht sein. Bob eilte nach Abpfiff des Spiels in die Katakomben. Er musste sich wohl deutlich abreagieren. Als auch ich meinen Platz langsam verlassen wollte, fiel mir auf, dass Bob seine Unterlagen auf seinem Stuhl vergessen hatte. Also nahm ich sie an mich ohne groß, darüber nachzudenken, ob das nun richtig oder falsch war. Natürlich war es richtig. Die Unterlagen waren ihm wichtig und sollten nicht wegkommen. Und als Zeichen des Entgegenkommens und des Friedens brachte ich ihm sie sogar hinterher.
„Bob, deine Unterlagen!", rief ich ihm zu und näherte mich.
„Siehst du nicht, dass ich gerade absolut keine Lust zu plaudern habe?!", keifte er sofort.
„Äh, du sagtest, die Unterlagen seien wichtig. Ich wollte sie dir bringen!"
„DIE ANZEIGETAFEL! SIEHST DU DAS NICHT?!", wurde er lauter. Und um ehrlich zu sein, das verunsicherte mich.
„Armin und ich werden"
„NEIN! NEIN! NEIN! DAS ERGEBNIS, MALIA! DAS ERGEBNIS!", fluchte er weiter.
„Ja.... nicht optimal gelaufen heute... es könnte"
„NICHT OPTIMAL GELAUFEN NENNST DU DAS?! MATHIAS HAT GESPIELT WIE EIN AMATEUR! MACHT IHR DAS ABSICHTLICH, UM MICH ZU ÄRGERN?"
„Was? Nein, natürlich nicht. Wir wollen doch alle gewinnen! Wir haben das gleiche Ziel!"
„Zuerst verdrehst du meinem Superstar den Kopf, dann lässt du ihn Termine vergessen und jetzt nützt er mir auch auf dem Feld nichts mehr!"
„Bob, ich bitte dich! Ich"
„UND DANN KOMMST DU AUCH NOCH SO SCHEINHEILIG HINTER MIR HER, UM MIR DIE UNTERLAGEN ZU BRINGEN!"
„Okay, das reicht! Du kannst mir nicht einfach irgendwas vorwerfen, was dir gerade nicht passt!"
„Ich habe es dir schon einmal gesagt und ich sag es nochmal: Wenn mein Superstar nicht funktioniert, geht es auf dich zurück. Du trägst die Verantwortung, du lenkst ihn ab und du bringst ihn dazu, dass er auch mir widerspricht."
Bob riss mir die Unterlagen aus der Hand und brüllte dann weiter umher. Die Blätter flogen quer über den Boden.
„KANNST DU NICHT AUFPASSEN, VERDAMMT?!", brüllte er nun, sodass ich mich erschreckte. Bob sprang fast schon auf und ab, während er fluchte. Er war so aggressiv, dass ich mich nun nicht einmal traute, ihn anzusehen.
„Hey, alles okay bei euch?", kam ein junger Mann im Flensburg-Dress auf uns zu. Natürlich war die Aufmerksamkeit auf uns gerichtet. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich jemand dazu äußerte. Und das war wohl jetzt. Und dann auch noch die Gäste.... Ich sag zu Boden und versuchte, das ganze zu ignorieren. Naja, vielmehr schämte ich mich gerade. Und ich war eingeschüchtert. Beides führte dazu, dass ich nicht auch nur einen Blick mehr in die Gesichter der beiden von mir werfen konnte.
„Ja, alles super! Interne Besprechung", wank Bob ab.
„Das geht aber mit ein andere Ton!", entgegnete der Mann wieder. Sein Akzent kam mir bekannt vor, es war ein dänischer Akzent. Und es verleitete mich dazu, meinen Blick vom Boden zu heben und ihn anzusehen. Ein kurzer Schauer lief mir über den Rücken. Es war Emil Jakobsen - Mathias bester Freund. Ich hätte ihn lieber gerne in einer anderen Situation kennengelernt.
„In meiner Halle rede ich so laut ich will!", knurrte Bob, „und du!" Er wandte sich wieder an mich und ich sah ihm auch kurz in die Augen.
„Ständig muss ich meinen Kopf für dich hinhalten!", sagte er. Ich runzelte die Stirn. Das stimmte doch gar nicht. Und jetzt sagte er sowas auch noch vor Emil.
„HIER GEHTS UM SO VIEL GELD, VERSTEHST DU DAS DENN NICHT?!", er kam auf mich zu, legte seine Hände auf meine Schultern und schüttelte mich kurz. Ich stand nur da wie versteinert. Bloßgestellt und gedemütigt.
„Hey, hey, hey, Finger weg!", mischte sich Emil ein und stellte sich vor mich, „du kannst nicht einfach ein Frau so anfassen!"
„Anfassen?! Sag mal, SPINNT IHR JETZT ALLE HIER?!", schrie er nochmal. Er nahm Luft, um noch etwas zu sagen, doch dann wank er ab und entfernte sich mit großen Schritten von uns.
„Wow, der kann einem ganz schön Angst einjagen", lächelte Emil, als er sich umdrehte, „alles okay?"
Ich nickte nur. Ausgerechnet Emil hatte dieses Chaos mitbekommen. Ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte.
„Was will der denn von dir?", fragte er und ich zuckte mit den Schultern. Ich konnte ihm schlecht erzählen, dass er mich für Mathias' Fehler verantwortlich machte. Ich kniete mich stattdessen runter, um die Unterlagen aufzuheben und den Blickkontakt zu Emil zu verlieren. So wollte ich Mathias' besten Freund sicher nicht kennenlernen und jetzt... jetzt hoffe ich, dass er einfach nur ging und die Auseinandersetzung mit Bob vergaß. Aber er blieb. Ich beobachte ihn im Augenwinkel. Er kniete sich nun auch nach unten und half mir beim Aufsammeln der Blätter.
„Du musst das nicht tun!", murmelte ich. Er sah mich an und schüttelte den Kopf, bevor er weiter die Blätter einsammelte.
„Danke", flüsterte ich, als er mir seinen aufgesammelten Stapel Blätter schließlich gab. Er lächelte und reichte mir seine Hand, noch immer kniend auf dem Hallenboden.
„Emil", stellte er sich dann freundlich lächelnd vor. Als ich ihm die Hand reichte, schüttelte er sie kurz und zog mich mit ihm nach oben auf die Füße zurück.
„Ja ich weiß, ich bin", ich stockte, als ich Bob wutentbrannt auf uns zukommen sah. Schon wieder. Ich schluckte. Und Emil schien zu verstehen, was los war. Er stellte sich vor mich und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Schon peinlich was du hier abziehst! Und sehr offensichtlich, findest du nicht?!", keifte Bob mich an.
„Was willst du denn von mir?!", fragte ich.
„Zuerst einmal", begann er und zog mir die Unterlagen aus den Fingern, „hätte ich die hier gerne zurück. Und weiterhin verbitte ich mir die Weiterleitung interner Angelegenheiten an Vereinsfremde, wenn du verstehst, was ich meine", er sah dabei Emil an. Und ich wette, er hob seine Sprache an, damit Emil nicht jedes Wort verstehen konnte.
„Das werde ich nicht."
„Dann ist das Gespräch für euch beide nun hier beendet", antwortete er. Wie konnte er es wagen, mir vorzuschreiben, wann ich mit wem zu reden habe, beziehungsweise wann ich meine Gespräche beendete?! Er drehte nun völlig durch.
„Entschuldigung?", fragte Emil empört.
„Halt dich raus, du hast keine Ahnung!", entgegnete Bob sofort.
„Du kannst jetzt gehen!", sagte er dann nochmal zu mir. Ich runzelte die Stirn und blieb stehen. Bob stampfte mit dem Fuß auf dem Boden, sodass ich erschrak. Ich zuckte und das letzte, was ich wollte, war erstens, dass er noch saurer wird und zweitens, dass er es an Emil ausließ. Ich flüsterte Emil ein leises „Entschuldige" zu und gab dann nach. Einfach schnell nach Hause. Einfach alleine sein. Durchatmen. Vielleicht weinen. Ich hatte keine Ahnung, was in Bob gefahren war. Ich sah im Augenwinkel nur noch, wie Emil sich umdrehte. Ich ließ auch ihn ohne ein ‚Danke' einfach stehen. Das tat mir Leid. Wie sollte unsere nächste Begegnung nur werden?
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Hallo ihr Lieben, wie gefällt euch das neue Kapitel? Wie wird es wohl weitergehen? :) Schreibt es mir gerne in die Kommentare, das würde mich sehr freuen!

Traum und Wirklichkeit (Mathias Gidsel | Füchse Berlin FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt