Kapitel 32

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Die Einarbeitung mit Bob schritt immer weiter voran, sodass er mir nun auch mehr Freiheiten ließ. Entsprechend war ich nichtmehr ganz an ihn gebunden, sondern konnte meine Arbeit tageweise auch mal selbst zeitlich einteilen. Es wurde einfacher. Für uns beide. Und das merkte man.
Gerade vom Auswärtsspiel aus Leipzig gekommen, schon ging es nach Stuttgart. Noch immer musste ich mich gedulden, bis endlich das erste Heimspiel der Saison anstand. Aber Vorfreude war ja bekanntlich die schönste Freude, oder? Die nächsten drei Tage waren für Mathias und die Mannschaft vollgepackt mit Training und Videoanalysen. Am Dienstag ließ ich ihm daher etwas Luft zum Atmen und runterkommen. Am Mittwoch fuhr ich dann gegen Abend nach der Arbeit zum Trainingszentrum. Ich freute mich auf die Jungs und besonders freute ich mich auf Mathias. Und doch war ich etwas angespannt. Hatte er es der Mannschaft schon gesagt? Wie viel Körperkontakt würde er in der Öffentlichkeit von mir fordern? Aber mir war klar: Wenn ich ihn nicht weiter verletzen wollte, musste ich ihm da nun vertrauen. Ich ging in die Trainingshalle, als unser Physio Ben mir entgegenkam.
„Hey Malia! Die Jungs sind oben, Jaron hält noch eine Taktikbesprechung", berichtete er. Ich nickte dankend. Schade, ich hätte sie gerne nochmal spielen sehen. Aber während Jarons Vortrag wollte ich nun wirklich nicht stören. Also wartete ich im Eingangsbereich. Ich ging hin und her und immer wieder hin und her. Hätte ich das gewusst, wäre ich definitiv später losgegangen. Ich setzte mich schließlich auf die Treppe und tippte auf meinem Handy herum. Nach geraumer Zeit näherte sich eine mir unbekannte Frau mit Kinderwagen, die mit der Eingangstür kämpfte. Ich stand auf und hielt die Tür fest, damit sie unbeschadet mit Kinderwagen hindurch kam.
„Dankeschön", lächelte sie und ich erkannte einen Akzent in ihrer Betonung. Ich lächelte zurück. Sie widmete sich ihrem Kind. Es war maximal ein halbes Jahr alt. Sie nahm es aus dem Kinderwagen auf den Arm und schaukelte es umher. Dann ging sie an die Fotowand und zeigte mit den Finger auf die Fotos. Das Baby hörte ihr zu und lachte ab und zu. Ich beobachtete die beiden. Es war wirklich herzzerreißend, wie sie mit ihm umging. Ich saß inzwischen wieder auf der Treppe.  Als sie sich wieder umdrehte, merkte sie, dass ich sie lächelnd beobachtet hatte. Das brachte sie dazu, mich auch wieder nett anzulächeln.
„Wartest du auch auf Mannschaft?", fragte sie dann plötzlich und kam näher.
„Ja. Du auch?" Sie nickte und setzte sich neben mich.
„Mein Mann spielt hier und wenn Wetter ist schön, wir kommen ihn abholen", erzählte sie, „und du? Ich haben dich noch nicht hier gesehen."
„Ich bin neu hier", erklärte ich und sie nickte, „ich arbeite jetzt hier für die Füchse."
„Du bist Malia?", fragte sie begeistert.
„Ja?", antwortete ich fragend. Woher kannte sie mich? Vielleicht vom Sommerfest?
„Dann, ich habe schon viel von dir gehört! Ich bin Nanna. Und das ist Kalle." Sie deutete auf ihr Baby.
„Du bist Lasses Frau! Dann habe ich auch schon sehr viel von dir gehört!", stellte ich lachend fest.
„Wie schön, dass wir uns endlich kennenlernen!", fügte sie hinzu. Ich nickte.
„Wie gefällt dir Berlin? Hast du dich...ähm entschuldige mein Deutsch!", stammelte sie. Ich wank ab.
„Ob ich mich gut eingelebt habe?", half ich ihr und sie nickte, „ja. Ich fühle mich sehr wohl hier. Alle haben mich nett aufgenommen!"
„Ja, Lasse sagt, dass Bob ist viel entspannter seit du bist hier!"
„Ach echt? Das hat er zu mir noch nicht gesagt!", lachte ich, „aber Bob ist wirklich viel netter als ich dachte."
„Zu Spielerfrauen und Kinder, er ist auch immer sehr nett. Aber wenn es geht ihm um Erfolg und Geld, er kann streng sein. Und Lasse kann manchmal nicht damit umgehen. Dann, er ist schlecht gelaunt", lachte sie.
„Und du musst es ausbaden?", lachte ich dann auch.
„Seit Kalle ist auf der Welt, er ist immer gute Laune wenn er ist Zuhause. In jede freie Minute er ist mit Baby. So dann ich habe Pause!" Mein Herz ging richtig auf, als sie das erzählte. Lasse war überhaupt kein Badboy oder Aufreißer so wie er immer tat, eigentlich war er stolzer Familienvater. Auch wenn das nur ganz schwer in meinen Kopf ging.
„Dafür ist er hier immer sehr frech!", sagte ich und Nanna lachte wieder.
„Ja, das ist sein Art zu zeigen, dass er dich mag. Er hat lange gebraucht, bis er emotional öffnen konnte in unsere Beziehung. Aber es ist nur ein Schutz, er meint gar nicht böse."
„Ja ich weiß, eigentlich meint er es nur gut", nickte ich. Ich dachte sofort an die ernsten Gespräche, die wir führen konnten. Wenn es um Mathias - seinen Kumpel - ging, wurde er emotional. Und er ließ seine Masche kurze Zeit fallen. Wir hörten von oben Schritte. Jaron hatte seine Besprechung wohl beendet. Zuerst kamen uns Fabi und Hans entgegen, wir standen auf. Sie begrüßten uns kurz, Hans blieb noch bei uns stehen.
„Det er helt vildt så stor Kalle er blevet!", lächelte er und strich dem Baby über den Arm.
„Wird mal wie der Papa!", ergänzte Hans und wir lachten, „ich muss leider los, macht's gut ihr Drei!", verabschiedete er sich. Dann kamen Mathias und Lasse die Treppe hinunter. Die beiden lächelten, als sie uns sahen. Von Mathias war ich das ja schon gewohnt, was nicht bedeutete, dass ich es weniger toll fand. Aber Lasse hatte noch nie so sehr gestrahlt wie jetzt gerade, als er seiner Frau sein Baby abnahm und es zur Begrüßung küsste. Mit einem Arm hielt er Kalle fest, mit dem anderen begrüßte er Nanna mit einer Umarmung und einem Kuss. Mathias hielt sich etwas zurück und stand noch auf der Treppe. Ich ging auf ihn zu und umarmte ihn dann auch. Ich war mir kurz nicht sicher, ob er mich hätte küssen wollen, aber mir war es mehr als recht, dass er es vor Nanna und vor allem vor Lasse erstmal nicht tat. Lasse umarmte mich auch kurz, Mathias Nanna, dann griff er mir einem Finger nach Kalles kleinen Händchen und schüttelte es. Kalle sah ihn mit großen Augen an und Mathias lachte.
„Savnede du mig lille mand?", sagte er zu Kalle und lachte dann, bevor er sein Händchen wieder los ließ. Es war so schön, wie er Kalle ansah. Richtig herzlich und liebevoll.
„Ihr habt euch also schon kennengelernt!", stellte Lasse fest.
„Wir haben uns gerade zufällig hier getroffen", nickte ich.
„Tja, ist meine Affäre wohl aufgeflogen...", murmelte er und lachte dann.
„Nanna, ich dachte eigentlich, er hält sich mit blöden Sprüchen etwas zurück, wenn du da bist!", verdrehte ich die Augen.
„Nee, das ist typisch Lasse!", sagte sie und schüttelte den Kopf.
„Ich höre auf, wenn Kalle anfängt zu verstehen", erklärte er.
„Und dann machst du auf Spanisch weiter?", fragte Mathias.
„Ja vielleicht."
„Du sprichst spanisch?", fragte ich nach.
„Ein bisschen. Ich habe in Barcelona gespielt."
Oh wow, das wusste ich gar nicht. Ich dachte er wäre ähnlich wie Mathias von GOG gekommen. Das war sie doch, die Talentschmiede der Dänen.
„Und was machen wir jetzt?", fragte Mathias in die Runde.
„Ähm...", antwortete ich und zuckte mit den Schultern, „seid ihr nicht müde?"
„Wir ruhen uns doch nicht aus wenn zwei so schöne Frauen um unsere Aufmerksamkeit betteln", grinste Lasse.
„Weißt du, Lasse, als du die Treppe runter kamst und ich das Funkeln in deinen Augen gesehen habe, dachte ich kurz ich lerne den richtigen Lasse kennen. Ohne das Macho-Gehabe", lachte ich.
„Pech gehabt", lachte er, „also was ist jetzt? Gehen wir was essen?"
„Um die Ecke ist eine gute Restaurant, wir waren ewig nicht da!", schlug Nanna vor. Mathias nickte.
„Na dann...los geht's!", lächelte Mathias, legte einen Arm um mich und zog mich mit sich aus dem Trainingszentrum. Es war mir überhaupt nicht unangenehm, ich mochte es in seinem Arm. Aber ich wollte wissen, was er nun der Mannschaft erzählt hatte. Und was Lasse Nanna erzählt hatte. Aber wie sich herausstellte, würde das sehr schnell Thema werden. Schon nachdem wir unseren Tisch eingenommen und die Getränke bestellt hatten, war es dann soweit.
„Und zwischen euch sind endlich die Fronten geklärt?", fragte Lasse, „war ja kompliziert genug..."
„Sehr charmant!", ermahnte Nanna ihn und verdrehte die Augen, „Malia, manchmal du musst einfach weghören, wie ich!"
„Bitte?!", fragte Lasse gespielt entsetzt und wir lachten.
„Lass die beide doch in Ruhe ihre Weg finden", antwortete Nanna.
„Danke Nanna", sagte Mathias, „ich frage Lasse seit Wochen er soll still sein!"
„Alter, ich meins nur gut mit euch! Wann sagst du es der Mannschaft?", fragte Lasse.
„Gar nicht", antwortete Mathias und zuckte mit den Schultern. Ich sah ihn irritiert an.
„Wie gar nicht?", fragte Lasse nach.
„Sie werden es einfach merken", antwortete Mathias. Es war also noch ein schleichender Prozess. Und das gefiel mir. Sehr sogar.
„Wir machen kein Geheimnis mehr aus uns. Das war's", erklärte er nochmal, „mehr wollte ich gar nicht." Der letzte Satz ließ mich wieder lächeln.
„Ihr seid verliebt und glücklich und alles andere kommt mit Zeit", sagte Nanna.
„Genau", stimmte Mathias zu und griff nach meiner Hand.

Wir konnten uns nicht ganz so viel Zeit lassen, denn Kalle begann irgendwann zu quengeln. Er war sicher schon erschöpft vom Tag und wollte nach Hause ins Bett. Also aßen wir auf und machten uns dann auf den Weg nach Hause. Kalle wurde in den Kinderwagen gelegt, den Lasse stolz vor sich herschob. Mathias verschränkte unsere Finger miteinander und wir gingen den ganzen Weg zu Lasses Wohnung Hand in Hand neben ihnen her. Es fühlte sich schön an. Unbeschwert. Leicht. So, wie es sein sollte. Ich verabschiedete mich von Nanna mit einer langen Umarmung.
„Es war sehr schön dich zu treffen!", sagte sie.
„Ja fand ich auch!", lächelte ich, als wir uns lösten.
„Wirst du mit Bus nach Stuttgart fahren?"
„Oh nein, diesmal nicht. Das ist zu weit. Ich bleibe in Berlin und arbeite den Tag über noch", antwortete ich.
„Wenn du willst, du kannst kommen hier her und wir gucken Spiel zusammen!"
„Gerne!", lächelte ich. Wie lieb von ihr! Sie kannte mich kaum und lud mich schon jetzt ein. Lasse hatte wirklich Geschmack und die Richtige ausgesucht. Vielleicht könnte sie meine erste Freundin hier in Berlin werden.
„Oh nein Mathias, die bilden eine Allianz gegen uns!", stöhnte Lasse.
„Und dann samstags, sie fragen, warum wir haben Pass nicht so gespielt oder Gegenstoß gegen Latte geworfen...", zählte Mathias auf.
„Ihr seid blöd!", lachte Nanna, „Gute Nacht! Habt noch ein schöne Abend!" Wank sie und verschwand dann in der Tür.
„Ihr auch!", sagte ich. Als die Tür geschlossen wurde, lächelte ich Mathias erleichtert an.
„Die ist so nett!", sagte ich begeistert.
„Ja, Nanna ist toll!", stimmte er zu, „aber Lasse musste auch sehr kämpfen um sie."
„Wirklich? Das hat er nie gesagt..."
„Natürlich nicht, er will sie beschützen. Anfang mit die beiden, es war ähnlich wie wir. Viel Missverständnis und viel Angst zu verletzen.Ich glaube vielleicht Lasse will es für mich einfacher machen als er es hatte..."
„Aber muss er ja jetzt nichtmehr!", lächelte ich. Ich war fest entschlossen.
„Ja. Das stimmt", antwortete Mathias und küsste mich. Mitten auf dem Gehweg. Überall Fußgänger, die den schönen sonnigen Tag genossen. Und es war neu, ja. Aber schön.
Und Lasse? Der mischte sich bei Mathias und mir so ein, um seinem Kumpel den Schmerz zu erlassen, den er zu Beginn seiner Beziehung hatte? Vielleicht waren uns Nanna und ich noch Ähnlicher, als ich dachte. Und vielleicht war Freitag eine gute Möglichkeit, da mal nachzuhaken...
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Traum und Wirklichkeit (Mathias Gidsel | Füchse Berlin FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt