Kapitel 64

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Finn
Als Leon fiel vergaß ich alles um mich herum.
Nur er zählte.
Da ich vor ihm stand konnte ich ihn problemlos auffangen.
Mit zitternder Unterlippe starrte ich auf sein erschlafftes Gesicht.
,,Leon." Ich brachte seinen Namen kaum hervor. Was war mit ihm los?!
Ich schluckte schwer und versuchte mich zusammenzureißen.
Tränen brannten in meinen Augen, doch ich blinzelte so heftig, dass sie verschwanden.
Tief durchatmend hob ich ihn im Brautstil hoch.
,,Jo Finnick, was 'n los?" Fragte der Schrank und stampfte auf mich zu. Mit kühler, überheblicher Stimme brummte ich:,,Hatte anscheinend so viel schiss vor mir, dass er umgekippt ist. Sagst du unserem Lehrer Bescheid, dass ich heute krank bin? Ich muss den neuen ins Krankenhaus bringen und hab wenig Bock auf Ärger."
Ich wartete keine Antwort ab und lief schnell los.
Leon war weder zu leicht noch zu schwer. Er war einfach perfekt und wenn ich nicht in dieser äußerst kritischen Lage wäre, hätte ich es vielleicht sogar genossen ihn zu tragen.
So aber kam mein, von Sorge umnebeltes Hirn, kaum hinterher mit denken.
Mit zitternder Hand kramte ich umständlich mein Handy aus der Tasche. Allerdings kam ich nicht weit, da ich Leon unmöglich mit einer Hand tragen konnte. Ich trug ihn rasch aus dem Schulhof, weg von den gaffenden Blicken und legte ihn sanft auf einer Bank ab, die vor dem Gelände stand.
,,Was machst du nur Leon?" Flüsterte ich und strich ihm flüsterzart über die Wange. Ein Schluchzen entwich mir. Was wenn er nicht mehr aufwachte?
Ich schallte mich selbst und holte nun endlich mein Handy hervor.
Aber nicht die Nummer des Krankenhauses kam mir in den Sinn, sondern Zacs. Ich unterdrückte den Drang ihn anzurufen. Es würde ihn eh nicht interessieren was mit seinem Bruder war oder?
Kopfschüttelnd rief ich den Notruf an.
,,Wie sie haben grade keinen freien Krankenwagen?! Mein Freund ist umgekippt und wacht nicht mehr auf und sie sagen mir, dass ich selbst herfahren soll?! Wissen sie was? Ficken sie doch einfach mit den nicht vorhandenen Krankenwägen!" Wutentbrannt legte ich auf und schaute mich verzweifelt um.
Und was jetzt?!
Niemand war weit und breit zu sehen. Anscheinend hatte die Schule schon angefangen.
Ich warf einen kurzen Blick zu Leon. Wenn er nicht so blass wäre, hätte man meinen können, dass er schlafen würde.
,,Es wird alles wieder gut Noah. Versprochen."
Immer noch wütend wählte ich Zacs Nummer.
,,Jetzt geh schon ran..." Knurrte ich ungeduldig.
,,Ahhhhh Finnick...womit habe ich diese Ehre verdient?" Ertönte eine wohlbekannte Stimme. War Zac am dauerkiffen oder was?
,,Beweg deinen scheiß Arsch ins Auto und komm zur Schule. Es ist mir sowas von egal welche Drogen du intus hast! Verstanden?" Zischte ich.
,,Woho Finnick, sei leise. Übrigens nehme ich keine Drogen..."
,,ALTER ZAC, ES IST MIR SOWAS VON EGAL WAS DU SONST NOCH EINWIRFST! KOMM EINFACH AUGENBLICK HER! JETZT! Du musst deinen kleinen Bruder ins Krankenhaus fahren." Meine Stimme brach am Ende weg.
,,Ich bin unterwegs." Waren seine letzen Worte, bevor er auflegte.
Ich nahm erschöpft meine Sonnenbrille ab und kniete mich neben Leon.
,,Komm schon Leon, wach wieder auf, dann musst du nicht zusammen mit Zac in einem Auto sitzen." Flüsterte ich schwach und lachte bitter.
Wie zu erwarten gab es keine Reaktion.
,,Ich liebe dich. Bitte wach auf. Oder sag wenigstens was grade los war." Flüsterte ich weiter, obwohl er mir nicht antworten würde und strich ihm unentwegt über Haar und Wange.
Nichts.
Und damit begann eine der schlimmsten Stunden meines Lebens.

,,Du hast viel zu lange gebraucht." Sagte ich mit versteinerter Miene, als Zac endlich mit seinem Wagen auftauchte  und stieg rasch ins Auto ein. Zac sah mich nur vollkommen fertig an und brauste los, sobald ich die Tür zuschlug. Leon war sicher hinten verstaut.
,,Was ist passiert?" Fragte Zac und ich registrierte, dass er unkontrolliert zitterte. ,,Jetzt tu nicht so, als würde es doch interessieren. Bekomm du lieber deine Probleme in den Griff." Mit einer barschen Bewegung deutete ich auf seinen zitterten Körper. ,,Du weißt gar nichts Finnick...." Murmelte er abwesend und trat fest aufs Gaspedal.
,,Alles was ich wissen muss, ist, dass du deinen kleinen Bruder zerstört hast. Aber weißt du was mich noch viel mehr fertigmacht?" Zac schaut kurz fragend zu mir. Ich versank in seinen blauen Augen, die so anders waren, als Leon. ,,Ich bin genau wie du." Sagte ich kalt und schaute auf die Straße. Wenn ich mich nicht täuschte zuckte Zac kaum merklich zusammen, ehe er murmelte:,,Dann ändere es. Sei nicht wie ich und mach ihn glücklich. Er verdient es."
Ich verbarg meine Überraschung und schwieg beharrlich.
Solange, bis das Krankenhaus in Sicht kam, denn da ergriff ich nochmal das Wort:,,Er verdient einen Bruder, der sich um ihn kümmern kann und einen Freund, der den Mumm hat zu dem zu stehen wer er ist."
,,Du hast Mumm. Es liegt nur an deinen Eltern, dass du nicht so für ihn da sein kannst, wie du es dir wünschst."
Er hielt an.
Schnell sprang ich auf und lief zu Leon. Sanft hob ich ihn hoch.
,,Komm mit Zac. Sei einmal in deinem Leben ein Bruder, den Leon versteht."
Ich lief voran ins Krankenhaus und drehte mich nicht um. Es war seine Sache, ob er mitkam oder nicht.
Für mich zählte nur Leon.
Plötzlich kam die Panik wieder, die ich bis eben verdrängt hatte.
Leon könnte für immer schlafen!
Hektisch lief ich weiter und Stolpere fast über meine eigenen Füße.
Zac sprintete auf einmal an mir Vorbei und hielt mir die Tür auf.
,,Ich werde nie ein Bruder sein. Ich werde nie ein Sohn sein. Ich werde nie ein Freund sein. Ich werde immer nur Zac Weiß bleiben. Ein Junge, der es schafft jeden zu enttäuschen. Belassen wir es dabei."
Er nickte mir knapp zu, wartete bis ich durch die Tür durch war und verschwand dann wortlos.

,,Wach auf, wach auf, wach auf." Wiederhole ich die Worte, als wären sie ein magisches Mantra.
Schon wieder war ich den Tränen nahe. Warum muss das alles meinem Freund passieren?
Was hatte er der Welt denn getan?
Ich lief zu ihm und setzte mich vorsichtig neben ihn auf die Bettkante.
Die Ärzte hatten eine Panikattacke diagnostiziert, da Leon aber keine Atemprobleme hatte, wurde ihm nur ein Beruhigungsmittel gespritzt...oder so.
,,Leon, ich weiß, dass du mich hören kannst." Flüsterte ich und strich ihm über die Wange. Sie war warm.
Dann beugte ich mich vor und verteilte federleichte Küsse auf seiner Stirn, seinen Wangen, seinen geschlossenen Augenlidern, seiner Nasenspitze und zuletzt einen kleinen auf seine leicht geöffneten Lippen.
,,Öffne die Augen für mich." Hauchte ich gegen seine Lippen.
Nichts passierte.
Seufzend strif ich mir die Schuhe ab und legte mich zu Leon. Fest nahm ich ihn in den Arm und versuchte zu vergessen, dass unser Leben von vorne bis hinten verkorkst war.
Versuchte zu vergessen, was für Schmerzen ich ihm zufügte.
Versuchte zu vergessen wer ich war, wer er war.
Und für einen kurzen Moment gelang es mir.
Hier, auf einem Bett mit einem bewusstlosen Leon, fühlte ich das Vergessen.

Cheers Mates!
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Meinungen und Verbesserungsvorschläge in die Kommis!
Bye Bye

Ich.Bin.Nicht.Schwul.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt