Die Frau bricht in mitten der Menge zusammen. Ihr Mann möchte ihr Halt geben, ihre Schulter zum Ausweinen und Anlehnen sein. Doch ihre Füße können sie nicht mehr tragen. Sie bricht zusammen und kniet auf dem Boden. Heiße und nasse Tränen lassen sie verschwommen sehen und wie im Zeitraffer bewegen sich die Menschen um sie herum. Sie möchte hier weg, möchte von dieser Erde verschwinden. Ihre Gedanken überrollen sich und sie schreit. Schreit ihren ganzen Schmerz hinaus, der sich in ihr angestaut hat. Die Frau hat das wichtigste verloren was ihr das Leben je gegeben hat. Ihren Sohn. Der Anruf kam. Er war angefahren worden und der Fahrer hat Fahrerflucht begangen. Doch es interessiert sie nicht. Noch nicht. Die einzige Frage ist, wie konnte ihr Sohn aus dem Kindergarten auf die offene Straße? Wie konnte sie Vertrauen in den Erziehern haben? Warum vertrauen? Wie kann sie noch irgendjemanden auf dieser Welt etwas anvertrauen? Ihr Engel, ihr Schatz, ist fort. Zu jung. Was würde sie nicht alles tun, um ihn wieder lebendig bei sich zu haben?
Ich sage dir das, weil das Leben schreckliche Dinge tun kann.
Der kleine Junge erwachte. Blinzelte, als unangenehmes weißes Licht in blendete. Er schaute sich um und bemerkte die weiße Decke, die weißen Wände, dem kleinen Tisch gegenüber von ihm, wo Mutter und Vater saßen. Taschentücher füllten den Tisch und seine Mutter weinte leise. Sein Vater hielt ihre Hand. Er schaute an sich runter und merkte, dass er in einem Bett lag. Die Decke war in einen kalten grau und hielt ihn kaum warm. Er zitterte. Er wollte seiner Mutter sagen, dass sie nicht weinen sollte, als ein stechender Schmerz durch seinen Kopf zog. Und er erinnerte sich. Er hatte eine Operation gehabt. Man hat ihn sein Schädel aufgebohrt und an seinen Gehirn etwas abgehobelt, so viel dass es ihn nicht schadet. Wie oft hatte er diese Prozedur schon erleiden müssen? Seit seinen zweiten Lebensjahr? Jetzt war er 6 und er erinnert sich an alles. An den Kindergarten und wie die anderen seinen kahlen Kopf gemustert haben, der über und über mit Nähten zusammen gehalten wurde. Er war schwach und dürr, hatte Anfälle, die andere Kinder erschreckten. Doch es war sein Leben was Gott ihn geschenkt hatte. Eine Krankheit, die ihn von Anfang befallen und auch seinen Tod bedeutet würde. Er hatte sich damit angefreundet. So gut es eben ging.
Ich sage dir das, weil das Leben schreckliche Dinge tun kann.
Langsam ging sie über den Friedhof. In der einen Hand eine rote Rose und in der Anderen die Hand ihres Sohnes. Schweigend knieten sie vor einen großen grauen Granit Stein in die Knie. Sie legte die Rose neben das Bild ihres Mannes und las zum abertausenden Mal die Grabinschrift:
Ronald Freund
* 9.10.1964 *2.4.1978 †5.8.2002
„Gefallen in Krieg, für mein Land, für meine wahre Liebe."
Sie brach in Tränen aus, wie so oft. Es war nicht fair. Wie konnte so ein liebenswerter und aufmerksamer Ehemann und Vater in einen Krieg sterben, wo er noch nicht einmal geehrt wurde, für das was er alles für das Land getan hatte. Das Leben ist unfair. Der Tod trifft immer die Menschen, die es eigentlich verdienten, am längsten zu leben. Ihr Sohn umklammerte ihre Hand fester und lehnte sich an sie. Sie küsste ihn auf den Scheitel und verharrte dort. Tränen durchtränkten seine dunklen kurzen Haare. Er war das einzige was sie noch hatte. Der einzige der ihr einen Sinn gab weiter zu machen.
Ich sage dir das, weil das Leben schreckliche Dinge tun kann.
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The Fear Of Being Forgotten
PoetryTexte Gedichte Worte Gedankenfetzen, die es wert sind niedergeschrieben zu werden, aber zu klein sind, um eine Geschichte daraus zu weben. Vielleicht findet ihr euch in dem ein oder anderem Text wieder. || Genau wie Augustus Waters (The Fault In Our...