Die Kiste

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Er erwachte und das einzige was er sah war schwarze Dunkelheit.

Panik überfiel ihm, wo war er?

 Er wollte seine Beine ausstrecken, da sie langsam anfingen unangenehmem zu kribbeln, doch schon bald traf er auf eine Wand. Wütend und mit ein Hauch Angst und Verzweiflung tritt er gegen die Wand, welche keinen Widerstand leistete, sondern standhaft an Ort und Stelle blieb. Also ließ er seine Beine angewinkelt und versuchte das Kribbeln zu ignorieren. Schweißtropfen überdeckten sein Gesicht und er atmete flach.

 Er wollte hier raus, es machte ihm Angst und er wollte hier raus. Noch nie war er in so einer Ungewissheit gewesen, die sein Gehirn vernebelte. Mit Vorsicht bewegte er seine Hand und etwas hartes berührte ihn. Schnell zog er sie wieder weg und gab dem Gegenstand einen Schlag ab, sodass sie gegen die Wand rollte und ein leiser, hier drinnen aber ohrenbetäubender, Laut zu hören war.

Er zuckte zusammen.

Er umfasste den Gegenstand und betastete ihn vorsichtig, vorbereitet ihn wegzuschmeißen, falls er gefährlich werden würde. Der Gegenstand war lang und ein Knopf war an der Seite montiert, den er nach kurzem Zögern drückte. Ein Licht, so grell, dass er seine Augen zusammen kneifen musste, erfüllte den Raum. Er bemerkte, dass er in einer Holzkiste war.

Sein Kopf pochte laut und protestierte, als er ihn anhob und sich auf den Armen stützend aufsetzte. Die Kiste war hoch genug um sich so positionieren zu können. Ihm fielen die vielen Bilder auf, die die vier Wände zierten. Egal wohin er schaute erblickte er Fotos. Schwarz-weiß oder mit Farbe, ob klein oder groß, sie waren in jeglichen Format oder Farbe vorhanden. Faszinierend schaute er sie genauer an. Auf manchen waren mehrere Personen, doch auf den meisten war ein Mädchen mit dunklen Haaren und Grübchen, wenn sie lächelte, und ein Junge, mit dunkelblonden Haar und...

 Wie ein Geistesblitz zuckte ein Schmerz durch seinen Kopf und er erkannte diesen Jungen auf den Bildern. Das Haar, die Augen, das Lächeln.

Er war dieser Junge.

Doch wer das Mädchen? 

 Er betrachtete die Bilder genauer, bedacht jedes winzige Detail, was wichtig sein könnte, zu erfassen. Auf dem einen Bild waren sie auf einen Steg am See mit Freunden. Manche saßen, manche standen am Steg, aber ein paar waren auch im Wasser. Das Mädchen stand und er hatte einen Arm um sie gelegt. Sie lachten. Auf ein anderes, waren sie auf einen Konzert, aßen Eis, küssten sich, machten Grimassen oder gaben sich verliebte Blicke. Ihm schien es, als würde er mit diesem Mädchen zusammen sein.

Doch er kannte sie nicht.

 Jedes Mal wenn er in seinen Kopf nach Informationen suchen wollte, stieß er auf eine Betonwand und jedes Mal wenn er versuchte gegen sie anzukämpfen, zuckte ein Schmerz durch seinen Kopf, so stark, dass er für mehr als 30 Sekunden nicht wieder dorthin gelangen konnte und zu Atem kommen musste.

Was suchte er hier in dieser Kiste?

 Er erstarrte und hielt den Atem an, als er ein Geräusch von oben hörte. Jemand setzte sich neben die Kiste und langsam öffnete sich der Deckel. Ein schmaler Spalt Tageslicht durchflutete sein kleines privates Fotoalbum. Mit einem leisen Quietschen wurde der Deckel ganz geöffnet und das Mädchen, das ihm entgegenblickte, war ohne Zweifel das Mädchen auf den Fotos. Er wollte etwas sagen, doch das Mädchen schlug nur die Hände vor den Mund und ein erstickter Schrei entfuhr ihr. Tränen kullerten ihre Wangen hinab und sie schüttelte nur wie hypnotisiert den Kopf.

„Geh weg, bitte, lass mich doch einfach in Ruhe", ihre Stimme war brüchig und sie schloss für einen kurzen Moment die Augen. Als sie sie wieder öffnete fiel ihr Blick auf die Fotos, die die Wände säumten, und sie brach noch einmal zusammen. Sie weinte, legte sich auf die Seite und zog ihre Beine an ihren Körper und legte schützend die Arme davor. Er schaute vorsichtig aus der Kiste und erblickte außer ihr weitere Kisten, die in dem kleinen Raum herum standen. Sie waren beschriftet:

„Tante Em" 

„Das Monster im Schrank"

Clowns"

„Spinnen und andere Insekten"

Und ihm kam die Erkenntnis so plötzlich, dass er stark die Luft einsog.

Er war eine Erinnerung.

Eine Erinnerung an Ängste, an Böses was ihr geschadet und sie geprägt hat. Er war eine Erinnerung über die sie noch längst nicht hinweg war. Er hatte sie verletzt, doch ihre Liebe zu ihm war noch so stark, dass sie immer wieder die Kiste öffnete und ihn ansehen muss. Ihre Liebe war noch so stark, dass sie sich immer wieder selbst mit ihren eigenen Erinnerungen verletzte.

Er fiel nach hinten in seine Kiste und kauerte sich in die Ecke. Er zitterte. Bald darauf wurde die Kiste geschlossen und er schlief wieder ein. In Gedanken versunken und wissend, dass er wieder auf wachen wird, wenn sie beschloss, noch einen Blick in die Kiste zu gewähren.


The Fear Of Being ForgottenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt