Ich bin in Watte verpackt

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Manchmal kam es mir vor als schwebte ich durch mein ganz eigenes Raum-Zeit-Kontinuum, als wäre ich ein Atom in den unendlichen Weiten unseres Universums, welches durch ein Worm hole verrutscht und deplatziert wurde. Ich sollte nicht hier sein. Ich sollte irgendwo ganz anders sein, oder auch gar nicht. Wie ein Schatten war ich da, aber auch nicht. Ich fand unendlich viele Metaphern dafür, doch niemanden der zuhörte und keine Möglichkeit die Augen zu öffnen ohne eine in Watte gepackte Welt zu sehen.

Ich existierte mehr, als dass ich lebte. Die Bilder des Filmes, welcher vor meinen Augen ablief drangen zu mir durch wie die Berührungen auf irgendwelchen Bildschirmen das taten.

Elektrische Impulse übermittelten Anweisungen, welche angaben was als nächstes zu tun war. Und ich befolgte die Anweisungen, wie ein gehorsamer Roboter. Aber die Bilder wurden leer.

Was hatte ich damit zu tun?

Nichts.

War es mein Leben, welches sich vor meinen Augen entfaltete oder war es nicht viel mehr so, dass ich zufällig Zuschauer eines nicht gänzlich so Actionreichen Filmes geworden war, wie dieser angepriesen wurde. Die Welt, welche vor meinen Augen erschien, wenn ich diese öffnete, schien wie in Watte gepackt. Doch ich weiß es nun besser.

Es gibt eine Kindergeschichte, sie handelt von einem Jungen, dessen Eltern über vorsorglich sind. Sie haben Angst er könnte krank werden, sterben und so beschließen sie ihn in eine Plastikkugel zu packen. Keine Krankheiten dringen zu ihm durch, doch auch keine menschlichen Kontakte können geknüpft werden. Er ist und bleibt unberührt. Eingeschlossen in seiner Kugel. Ja er ist geschützt, doch ist er auch allein.

Jedenfalls, worauf ich hinaus will ist, dass nicht die Welt in Watte oder eben in eine Plastikkugel gepackt wurde, sondern ich.

Ich bin distanziert von den anderen, in weiter weiter Ferne.

Ich fragte mich oft, ob das die Realität ist. Dass das ist wofür die anderen Leben, 50 ja sogar 70 oder 90 Jahre lang. Der unbegründete Grund unseres Daseins kam mir wie ein sehr sehr nichtiger Grund vor. Eine Ausrede, mehr nicht.Ich fragte mich auch oft, ob Tiere oder auch Amöben die Welt so wahrnehmen. Zusammenhangslose Bilder. Ein kurzes Recken und Strecken der Glieder und letztendlich eine große unendliche ruhige Leere.

Und irgendwann gab ich es auf meine Verzweiflung niederzuschreiben. Denn das was ich spürte fand ich auch in den Büchern Göthes oder Shakespeares wieder. Vor Jahrhunderten hatten sie schon das erfahren was mir momentan widerfuhr, sie hatten Worte dafür gefunden. Schönere und bedeutungsvollere als ich sie jemals finden würde. Metaphern, welche Gänsehaut auslösten und einen tief drinnen dort wo es weh tat, wo der sonderbare Schmerz entstand, zerschmetterten.

Ich war unwichtig, ein kleines Atom. Ich weiß: viele kleine Bausteine können etwas großes schaffen. Aber ich glaube, das was ich eigentlich damit sagen will ist, dass ich ersetzbar bin. Und der Gedanke, dass ich aus Sternenstaub bestehe lässt mich nicht glauben, dass ich was Besonderes bin, sondern lässt mich einfach nur benutzt fühlen.

Oh, vielleicht war eines meiner Atome mal ein Wasserstoffatom in Hamlets Tränen, welche er Ophelia nachgeweint hat. Vielleicht war ich mal auf dem Mond, bei der Entstehung des Universums dabei. Doch ohne Erinnerung, was nützt mir das?

Ich vertraue Wolfgang Herrndorf, wenn er schreibt, dass der Moment indem man existiert im Vergleich zu der Unendlichkeit des Universums auf ein Nichts zusammenschrumpft, dass man gar nie im Jetzt lebt. Dass er in Dämmerung zurück möchte. Vielleicht bin ich nur heimatlos und suche Geborgenheit.

Ich lebe nicht mehr in diesem Moment. Nicht in diesem und auch nicht in diesem.

Ich habe keine Vergangenheit, da es heißt man solle im Jetzt leben. Aber ich besitze auch keine Gegenwart wie ihr wohl schon bemerkt habt. Es bleibt mir nur die Zukunft. Doch wie ich in meinem Schreiben über die Wüste beweise existiert auch diese nicht. Sie ist nicht mehr als ein fahler Schein, eine Fata Morgana, eine Hoffnung, eine Utopie, welche umso weiter zurückweicht je näher man zu glauben scheint. So streckt man die Hand aus, die fragilen Finger in Richtung, ja in welche denn? In Richtung Nichts, nur Angst.

Ich stehe also im zwölften Stockwerk eines Hochhauses und habe meine Hand an die Scheibe gelegt. Sie ist kalt und unter ihr läuft der Film eines wuselnden Menschenhaufens ab. Wichtige Dinge zu erledigen. Wichtig, nichts ist wichtig. Ich fühle mich alt und weise, als wäre ich hundert Jahre alt. Vermutlich bin ich nur ein närrisches dummes jugendliches Mädchen, dass mit der Realität und Härte der Welt nicht umgehen kann und sie deshalb ausblendet, den Vorhang vorzeitig zuzieht. Und meine Worte bevor ich die Fensterscheibe zerbreche, mit einem Schlag, einem letzten Klirren und dem dumpfen fahlen Klang eines Baseballschlägers, welcher zu Boden fällt, lauten:

„Am Ende, wenn man selbst vergeht

Aus den Zellen, die wir selbst sind flieht

Und vom Gefängnis nichts mehr steht

Weiß man, dass egal was auch geschieht.

Sind die Gitterstäbe einmal lose,

gibst nichts mehr was gefangen hält,

denn Freiheit erlangt man durch Apoptose

In dieser wundervollen Welt"

Und Apoptose ist auch noch ein Schutzmechanismus der Zellen. Stellen diese eine Gefährdung der anderen gesunden Zellen dar, so starten sie die Selbstzerstörung. In 3.., 2.., 1,.

Ach Apoptose ist nicht gleichzusetzen mit Suizid, oder jedenfalls muss man den Suizid anders betrachten. Er ist nicht nur das Aufgeben seines eigenen Körpers, das direkte aktive Zerstören, das ist er auch, klar. Aber er ist noch viel mehr. Denn was tun wir denn unser ganzes Leben lang? Doch nichts anderes als Sterben, mit jedem Atemzug, mit jedem Sauerstoffmolekül das in uns eindringt. Ich glaube gehört zu haben, dass diese mit den freien Radikalen in unseren Körpern korrelieren und diese sind schädlich für unsere Zellen. So sterben wir mit jedem Atemzug, welchen wir zum Leben brauchen. Das Leben an sich ist ein einzig großes Paradoxem, ein großer Spaß, ein makaberer Witz. Wie leicht es einem nun fällt zu sagen, dass wir nicht für dieses Leben gemacht sind, oder wir sind nicht fürs Leben geschaffen. Sondern um zu Sterben.

Es geht mir bei dieser Apoptose nicht nur um mich wie ihr bald merken werdet. Es geht um uns alle, weil ich manchmal das Gefühl habe zu transzendieren in eine spirituelle Ebene der Welt, in die der Alleinheit, in welcher es keine Trennung durch Materie von allem das Existiert gibt. Dort gibt es nur alles in einem leuchtend warmen Punkt, Glücksgefühl, und man hat sofort das Gefühl der Zugehörigkeit, man gehört in diese Welt. Man soll da sein. Und so wird es auch sein, wenn ich nicht mehr lebe, ich bin trotzdem da. Immer.


The Fear Of Being ForgottenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt