4. Kapitel

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„Ist was?", fragt Su, als sie meinen fassungslosen Blick bemerkt.
Ich sortiere die Worte, die in meinem Kopf durcheinandergewirbelt werden, und setze zum Sprechen an.
„Hey! Da sind sie ja!" Wie eine Verrückte winkt Su den beiden Mädchen zu, obwohl wir noch immer die einzigen Fans in der Halle sind und sie uns garantiert auch so nicht übersehen hätten.
Meine leise gemurmelte Antwort, dass ich bei solch schlechten Sicherheitskontrollen doch ein wenig Angst habe, überhört sie einfach.
Aber wer soll es ihr auch verübeln? Ich bin für sie nur ein Mädchen, welches zufällig zur gleichen Zeit angekommen ist wie sie. So gut, wie sie Ana und Fabienne kennt, werden die drei wohl schon länger befreundet sein – Wieso wundert es mich also, dass sie ihnen mehr Beachtung schenkt?

Wir sitzen, inzwischen wieder zu sechst, in einem kleinen Kreis mittig vor der Bühne, nur der typisch silbergraue Zaun trennt uns von den gelangweilten Sicherheitskräften.
Roy hat zerknitterte Uno-Karten ausgepackt, und so spielen wir jetzt seit über einer Stunde immer neue Varianten, die wir uns selbst ausdenken.
Dabei füllt sich die Halle langsam und wir müssen enger zusammenrutschen, um unseren grandiosen Platz zu behalten.
„Wie lange noch?", seufzt Ana uns spielt ihre letzte Karte. Frustriert werfe ich meine Karten auf den Stapel.
Ich hätte nicht gedacht, dass Uno so schwer sein kann. Fabienne wirft mir einen entschuldigenden Blick zu.
„Wir spielen vor jedem Konzert, da lernt man das ziemlich schnell", sagt sie an mich gewandt, bevor sie Ana ihr Handy zuwirft. Ich zucke mit den Schultern.
„Ich hatte bis jetzt noch nie jemanden dabei, mit dem ich hätte spielen können", meine ich und schaue mich um. Viele um uns herum sitzen, dazwischen haben sich einige der Stehenden gezwängt. Sie meinen wohl, so einen besseren Platz zu bekommen, und damit haben sie auch noch recht.
„Noch eine Stunde bis zur Vorband, wenn sie eine haben", verkündet Ana.
„Sie haben eine, aber keine Ahnung, wie die heißt", sagt jemand aus der Gruppe neben uns.
Dann deutet er auf unsere Spielkarten.
„Wenn ihr noch eine Runde spielt, kann ich dann mitmachen? Wird langsam echt langweilig mit denen." Er zwinkert Roy zu, wohl in der Hoffnung, einen Verbündeten gefunden zu haben.
Ich mische die Karten und muss nicht erst aufschauen um zu wissen, dass er der einzige Junge in seiner Gruppe ist.
„Klar", meint Roy und klopft auf den Boden neben sich, nachdem er so viel wie möglich aufgerückt ist. Dass er jetzt halb auf mir hockt, scheint ihn nicht zu stören.
„Hallo, ich würde auch gerne mitspielen. Geht aber schlecht, wenn du auf mir sitzt", melde ich mich genervt zu Wort. Fabienne prustet los, als sie uns so sieht, und auch Ana kann ein sich ein Kichern nicht verkneifen.
Nur Su unternimmt etwas und boxt Roy in die Seite.
„Entschuldige", meint Roy sofort und rückt wieder ein Stück von mir weg. Auch jetzt sitzen wir noch zusammengequetscht, aber wenigstens passt der andere Junge in unseren Kreis.
„Ich bin Jona", stellt er sich vor. Ich schaue zu Su, erwarte, dass sie jetzt wieder eine ultraschnelle Vorstellung hinlegt.
Und sie enttäuscht mich nicht.
„Die Schönheiten Ana und Fabienne, der mysteriöse Unbekannte, die Zerquetschte ist Amari, der Typ da heißt Roy und ich bin Su", rattert sie strahlend herunter, in einem Tempo, welches jeden Rapper aus den Socken hauen würde.
Jona nickt langsam, mit überwältigtem Gesichtsausdruck. Okay, man muss kein Rapper sein, um davon umgehauen zu werden.

„Wer spielt mit?", fragt Roy und beginnt, die Karten auszuteilen. Ich lege den Kopf in den Nacken.
„Ich setze eine Runde aus", seufze ich. Ana schaut mich bedauernd an.
„Wollen wir zusammen spielen? Dann bringe ich dir ein paar Tricks bei", sagt sie und lächelt. Erstaunt nicke ich.
Von Ana hätte ich so etwas am wenigsten erwartet.
„Fabi, könnt ihr grade Platz tauschen?", wendet Ana sich an die Brünette. Die nickt nur, schnappt sich einen Kartenstapel und schaut mich erwartungsvoll an.
Vorsichtig stehe ich auf, steige über die in der Mitte verteilten Karten hinweg, weiche einem Fuß aus und setze mich neben Ana, die sich bereits konzentriert ihren Karten zugewandt hat.
„Erstmal sortieren, das ist das wichtigste. Finde ich jedenfalls. Dann musst du nicht ewig suchen und siehst es sofort, wenn du legen kannst", rät sie mir und steckt in wahnsinniger Geschwindigkeit die Karten so um, dass sie nach Farbe und Zahlen geordnet sind.
Sind hier alle so schnell?
„Ich sortiere nie, und bis jetzt hab ich die meisten Punkte, darf ich dich darauf hinweisen?", grinst Roy und schaut gespielt hochnäsig auf seine zerkauten Fingernägel.
„Das darfst du. Darf ich dich dann aber ebenfalls darauf hinweisen, dass ich dich bei den letzten zwei Konzerten immer meilenweit geschlagen habe?", erwidert Ana in dem selben Tonfall.
Roy verdreht die Augen.
„Das werde ich dir noch austreiben, glaub mir. Die Runde geht an mich, wetten?" Frech hält er Ana seine Hand hin. Sie schlägt grimmig dreinblickend ein.
„Ich halte dagegen. Wir rocken das!" Sie legt einen Arm um meine Schulter und hält so die Karten vor uns beide.

SchnappschussWo Geschichten leben. Entdecke jetzt