5. Kapitel

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„Zehn. Jahre. Später." Su gähnt und schaut auf ihre Uhr.
„Nicht ganz, Fabi, sie spielen erst eine Dreiviertelstunde alleine. Was aber nicht grade besser ist. Könnt ihr euch mal beeilen?" Sie schaut Roy, Ana und mich müde an.
„Geht schlecht. Die Damen wollen nicht einsehen, dass ich ihnen meilenweit überlegen bin. Ich muss ihnen erst eine Lektion erteilen", meint Roy mit einem unfassbaren, leider vergeblichen Ehrgeiz.
„Die Damen wollen das nicht einsehen, ja? Ich glaube, es ist eher der Herr, der nicht merkt, dass er gleich verloren hat", kichert Ana und wirft unsere letzte Karte in die Mitte.
„Bäm!", rufe ich und halte Ana die Hand hin.
Lachend schlägt sie ein und streckt Roy, der fassungslos die rote Sieben betrachtet, die Zunge raus.
„Danke! Nächste Runde!", freut sich Fabienne, schnappt sich den Stapel und mischt mit einer faszinierenden Eleganz, bevor sie neu austeilt.
Bevor sie fertig ist, konzentrieren sich die Scheinwerfer auf die Bühne. Mit der typisch rasanten Geschwindigkeit, die ich inzwischen schon gewöhnt bin, stehen alle auf.
Jona verabschiedet sich mit einem Nicken und gesellt sich wieder zu seiner Gruppe.
Ich hieve mich möglichst schnell vom Boden hoch und stelle mich zwischen Roy und Su ganz nach vorne an den Zaun.
Das Farbspektrum der Scheinwerfer, die jetzt in allen möglichen Mustern über die Menge gleiten, fast, als würden sie jemanden suchen, verzaubert mich wie die Male zuvor, und ich kann nicht anders, als die Decke zu beobachten, an der die Lichter einen nicht enden wollenden Tanz vollführen.
Die Musik wird leiser, doch der Takt ist noch da, klar und schnell. Mein Herzschlag passt sich ihm an, ein Lächeln schleicht sich erwartungsvoll auf mein Gesicht. Der Abend wird bestimmt unvergesslich – Dafür wird Pentatonix schon sorgen.
Jubeln reißt mich aus meiner kleinen, magischen Welt, und lenkt meinen Blick auf die Bühne, wo ein verwirrter Helfer blinzelnd das Publikum ansieht.
Ich schenke ihm ein aufmunterndes Lächeln, wobei er wahrscheinlich noch nicht mal mich bemerkt und meine Bemühung sinnlos ist. So geht das eine ganze Weile weiter, wir stehen bestimmt schon eine Viertelstunde da, langsam legt sich Langweile und Anspannung über mich.
Doch dann sind es keine Helfer mehr, die bejubelt werden, sondern ein Mann und eine Frau, die – anders als die Helfer – genau wissen, was sie tun.
Und das in mit einem ausnahmsweise wirklich guten Humor, der mich von Anschlägen, ja sogar ein wenig von Pentatonix ablenkt.
Auch Su, die eben noch wenig überzeugt war, zeigt sich begeistert von dem Paar, welches mit einer unglaublich offenen und freien Ausstrahlung auf der Bühne stehen und die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich ziehen.
Als das erste Lied vorbei ist, erscheint in strahlendem Weiß ihr Zeichen auf der im Hintergrund hängenden Leinwand, welches erstaunlicher Weise sogar mit ihren Outfits harmoniert und unfassbar gut aussieht.
Oh Gott, ich will meine Kamera wieder haben.
„Guuuten Aaabend! Seid ihr gut drauf?", schreit die Sängerin nach einigen Sekunden, in denen sie Luft holen muss. Begeisterte Schreie erheben sich und liegen schwer in der Halle.
Grinsend warte ich, bis sie ein zweites Mal fragt, und schreie dann mit.
Ich liebe dieses Gefühl, wenn alle zusammenhalten, wenn alle das gleiche wollen.
Musik.
Mitsingen, tanzen, lachen, jubeln.
Spaß haben.
Pentatonix hautnah erleben.
Von weltberühmten Stars wahrgenommen werden.
Wegen all dem sind wir heute hier, und das spürt man.
Es liegt in der Luft, in dem Jubeln, in dem begeisterten Applaus.
Dieses Gefühl geht unter die Haut und elektrisiert mich, ich bin fasziniert von der herrschenden Atmosphäre, der Musik, den Lichtern.
Die mir inzwischen bekannte Welle von Adrenalin strömt durch meinen Körper und spült jegliche Gedanken an einen Anschlag weg. Ich bin nur noch auf die Musik fixiert, als das Duo erneut zu spielen beginnt.

„Leute! Ihr seid genial! Freut ihr euch schon auf Pentatonix?", ruft die Sängerin atemlos. Noch lautere Schreie erheben sich, etwas, das ich nicht mehr für möglich gehalten habe.
„Wir uns auch! Ihr dürft euch auf einen ganz besonderen Abend freuen! Wir sind UsTheDuo und weg für heute, aber vergesst nicht: In einem halben Jahr sind wir wieder hier! Wir zählen auf euch!" Dann verschwindet sie und die Lichter gehen wieder an. Stimmen erheben sich wieder, die Verbundenheit verschwindet bis auf einen kleinen Teil – Den Teil, der auf Pentatonix wartet, mehr oder weniger geduldig.
„Die waren total gut!", ruft Fabienne völlig aus dem Häuschen.
„Da muss Pentatonix sich anstrengen, um besser zu sein", lacht Roy und zieht eine Flasche aus seinem kleinen Rucksack. Ich bin verdammt froh, dass wir sie mitnehmen durften, gleichzeitig aber auch ein wenig besorgt.
„Pentatonix packt das locker, die sind meilenweit besser", giftet Su ihn an, obwohl sie eben noch begeistert von den Beiden war.
Roy, der grade zum Trinken angesetzt hat, lässt die Flasche wieder sinken.
„Entschuldige, ich mein ja nur", sagt er stirnrunzelnd, „Was ist denn in dich gefahren?" Su lässt seufzend die Schultern sinken.
„Ich bin ehrlich gesagt etwas nervös wegen dem da", zischt sie und nickt zu dem Älteren, der mit uns vor der Halle gewartet hat – Und nicht seinen Namen verraten wollte.
Erleichtert schließe ich die Augen.
Dann bin ich wohl nicht die Einzige, der das aufgefallen ist.
„Verständlich. Der ist wirklich etwas... komisch. Aber ich verspreche dir, wir werden hier lebend rauskommen. Direkt vor uns stehen Sicherheitskräfte, zum Notausgang ist es auch nicht weit und ganz ehrlich, wer sollte solch hübsche Mädchen schon töten wollen?" Roy zwinkert uns zu, was ich mit versteinerter Miene beobachte.
„Roy. Du hast so was noch nie erlebt, oder?", frage ich kühl. Er schluckt und schüttelt den Kopf.
„Lehne dich besser nicht zu weit aus dem Fenster", murmele ich, während Erinnerungen von früher wie Hagel auf meinen Körper prasseln.

SchnappschussWo Geschichten leben. Entdecke jetzt