58. Kapitel

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27.09.2016, 15 Uhr, Seoul, Südkorea
Unruhig zupfe ich an meinem dunkelroten, samtenen Oberteil, welches ich vor wenigen Tagen in Manila gefunden und gekauft habe.
Meine Haare habe ich zu einem hohen Zopf zusammengebunden, die helle Strähne ist versteckt.
Und doch denke ich mir schon tausende Möglichkeiten aus, wie ich reagieren könnte, wenn sie mich doch erkennen.
Seufzend lasse ich von meinen Klamotten ab und schnappe meine Mascara, um meinem Aussehen irgendwie doch noch den letzten Schliff zu verpassen.
Mein roter Lippenstift, den ich eigentlich auftragen wollte, hat beschlossen, heute einen schlechten Tag zu haben und seine Farbe so zu wechseln, dass er genau nicht zu dem Rotton meines Oberteils passt. Jedenfalls rede ich mir das ein, um nicht selbst schuld daran zu sein, dass ich den langärmeligen, dünnen Pulli ausgerechnet in der Farbe gekauft habe, die sich fürchterlich mit dem Lippenstift beißt.
Kurz bevor ich losgehe schnappe ich mir noch meine schwarze Kette, an der silbern eine kleine Fledermaus baumelt, und binde sie mir um den Hals. Ihren Doppelgänger - Den ich schon vor zwei Jahren gekauft habe, in der Hoffnung, dass Mitch die Kette genauso liebt wie ich - stecke ich in meine Tasche.
Eigentlich hat Lucia mir verboten, ihnen irgendetwas zu schenken, aber die Kette muss sein, immerhin wartet sie schon eine halbe Ewigkeit darauf, den Besitzer zu wechseln.
Mit meiner freien Hand fahre ich mir ein letztes Mal über die dunkel glänzenden Haare, dann verlasse ich das Hotelzimmer.

Meine Hand zittert leicht, als ich knapp eine halbe Stunde später meine VIP-Karte vorzeige.
Die Frau durchsucht in aller Seelenruhe noch kurz meine Tasche, dann wünscht sie mir viel Spaß und lässt mich vorbei.
Ich betrete die riesige Arena und setze mich zu denen, die schon da sind, auf den Boden.
„Hallo", begrüßt mich jemand mit einem freundlichen Lächeln und rückt ein wenig zur Seite, damit ich in den kleinen Kreis passe.
„Noch eine Verrückte, die nicht bedacht hat, dass wir so oder so drankommen und in den ersten Reihen stehen!", ruft eine junge Frau mit feuerroten Haaren grinsend und zwinkert mir zu.
Erst jetzt bemerke ich, dass sie wirklich recht hat.
„Ich bin im Hotel fast durchgedreht", meine ich und verdrehe die Augen.
„Ging mir genauso", kichert jemand neben mir.
„Oh, warte. Ich kenne dich doch, oder?", werde ich dann gefragt.
Ich zucke lachend mit den Schultern.
„Ich habe das Gefühl, dass mich mehr Menschen kennen als ich jemals getroffen habe. Keine Ahnung, entschuldige."
„Nein, so meine ich das nicht. Du machst doch diese coolen Bilder auf Instagram und so! Und du verfolgst anscheinend wirklich Pentatonix. Was toll ist, weil ich dich unbedingt kennenlernen musste", sagt die Jugendlich und setzt sich neben mich.
„Du bist glaube ich die erste, die mich darauf anspricht. Doppelte Premiere! Pentatonix und einen eigenen... Naja, Fan kann man ja wohl kaum sagen, oder?"
„Muss ich jetzt sagen, dass ich dein größter Fan bin?", kichert sie.
„Bitte nicht. Ich muss mich erst daran gewöhnen, dass mich Leute kennen, ohne dass ich sie kenne", grinse ich.
„Ich bin Grace. So, jetzt kennst du mich auch. Du hast nicht zufällig deine Kamera dabei, oder?"
„Ich war mir sicher, dass sie mir die abnehmen würden, ich hab sie im Hotel gelassen", antworte ich und verziehe das Gesicht.
„Schade! Ich hab meine durchbekommen", meint Grace mit einem schelmischen Grinsen und zieht eine kleine Polaroidkamera aus ihrer Tasche.

„Wie hast du das gemacht?", frage ich erstaunt und bewundere erst mal die Kamera, die über und über mit Namen verziert ist.
„Ich habe gesagt, dass es ein Geschenk ist. Pf, als ob ich mein Baby hergebe. Ich bin zwar noch lange nicht so gut wie du, aber das heißt nicht, dass ich meine Kamera nicht liebe! Oder meinst du die Namen? Das war einfach. Man braucht einfach einen wasserfesten Stift, dann geht das nicht mehr so schnell ab. Siehst du? Pentatonix hab ich bunt gemacht."
Von dem Wortschwall erschlagen gebe ich ihr die Polaroidkamera wieder, doch bevor ich etwas sagen kann, tritt ein junger Mann zu uns.
„Ihr wollt heute also Pentatonix persönlich kennenlernen?", fragt er und zwinkert in die Runde.

SchnappschussWo Geschichten leben. Entdecke jetzt