Schnappschuss

54. Kapitel

Erschrocken starre ich ihn an.
Er meint es ernst.
Jeglicher Spaß ist aus seinem Gesicht gewichen.
Anscheinend glaubt er mir.
„Es ist noch zu früh, was?", lächelt er sanft, als ich nicht antworte.
„Ja, irgendwie schon", murmele ich und schaue auf den Tisch.
„Bist du fertig? Dann zeige ich dir einfach mal meine wunderschöne Wohnung und dein Zimmer", sagt Timothy und steht auf.
Ich folge ihm durch das Appartement, welches wirklich ausgestellt werden könnte. Vielleicht sollte ich ein paar Fotos machen, um für Werbung zu üben.
„Hier ist das Gästezimmer inklusive Bad, ist zwar klein, aber fein. Ich denke, du wirst es hier überleben. Frühstück ans Bett kann ich dir leider nicht bieten, ich muss um sechs Uhr arbeiten gehen, aber ich kann dir Brötchen und Marmelade raus stellen, wenn du magst. Sonst durchsuchst du einfach die Küche nach etwas Essbarem. Bis wann bleibst du denn noch in Hong Kong?"
Vollkommen überwältigt von dem Zimmer, der Aussicht und der Wohnung insgesamt muss ich erst den Kopf schütteln, um meine Gedanken wieder zu sortieren.
„Übermorgen Abend geht mein Flug, glaube ich", antworte ich dann.
„Fliegst du dann direkt zurück nach Deutschland?", fragt Timothy.
Ich stoße grinsend Luft aus.
„Ich verfolge Pentatonix bis nach Texas. Also, nein, noch lange nicht. Der Plan ist ja, die Antwort von ihnen zu bekommen. Oder besser: Die Antworten", sage ich.
„Dann wünsche ich dir viel Glück dabei", lächelt Timothy.
„Danke, werde ich wahrscheinlich brauchen", meine ich und ziehe eine Grimasse.
„Ich lasse dich mal alleine, wenn du was brauchst melde dich einfach bei mir, ich bin im Wohnzimmer. Das WLAN-Passwort liegt auf dem Nachttisch", grinst er und verlässt den kleinen Raum, während ich mich auf das Bett fallen lasse.
Meine Koffer hat Timothy schon hier abgestellt, und so angele ich liegend nach der Tasche mit meinem Laptop und ziehe ihn zu mir hoch.
Dann muss ich mich doch aufsetzen, im Liegen das Internet durchsuchen kann ich absolut nicht. Mein Kopf blockiert dabei immer, und außerdem schlafen meine Arme ein und das Gefühl kann ich nicht ausstehen.
Als ich auch mein Handy mit dem Passwort gefüttert habe, kommen sofort tausende Nachrichten von Lucia an. Instagram und Twitter müssen wohl noch warten.
„Oh mein Gott ich wette du warst noch nicht auf der Website von dem Wettbewerb oder hast nach deinen E-Mails geschaut oder so aaaah ich dreh durch", lese ich die erste Nachricht und bin versucht, Lucia einen Punkt- und Komma-Streuer zu schenken.
„Hallooo?!" Ja, sie hatte definitiv Spaß, während ich von Timothy abgeholt wurde.
„Amari! Du. Hast. Verdammt. Nochmal. Gewonnen." Ich verdrehe die Augen. Interessante Methoden hat sie, um mich online zu locken.
„!!!" Das, was sie mir sagen will, ist jetzt wohl wirklich so dringend, dass sie ihre Satzzeichen wiedergefunden hat.
Die nächste Nachricht ist einfach ein Link, den ich seufzend öffne. Wenn sie danach zufrieden ist.
Kaum hat die Seite geladen, nehme ich alles zurück, was ich eben noch gegen meine beste Freundin gesagt habe.
„Wir freuen uns, Amari Carolin Ginsers zum ersten Platz gratulieren zu können! Sie konnte alle Jurymitglieder überzeugen und war mit über 1000 Stimmen auch der Publikumsliebling. Herzlichen Glückwunsch und viel Spaß mit deiner neuen Fotoausrüstung!" Verwirrt schaue ich das Bild an, welches ich eingereicht habe und welches unter dem Artikel prangt. Die untergehende Sonne, welche das Meer im Hintergrund orange glitzern lässt und zwischen den tief hängenden, dunkelgrün schimmernden Ästen der Weide hervorblickt. Die Silhouette von Adelaide im Hintergrund, die schwarzen Hochhäuser.
Der Kontrast ist fast zu deutlich sichtbar, die farbenfrohe Natur im Vordergrund, hinten die Stadt vor dem dunkelgrauen Himmel.
Gespannt schaue ich nach neuen E-Mails und finde tatsächlich eine, in der mir zum Gewinn gratuliert wird.
Und dann realisiere ich richtig, dass es wirklich passiert ist.
Jetzt habe ich eine reelle Chance auf den Gewinn des nächsten Wettbewerbs.

Mit einem Grinsen auf den Lippen lasse ich mich zurückfallen.