Schnappschuss

43. Kapitel

09.09.2016, 23:00 Uhr, Auckland, Neuseeland
Menschen fotografieren. Das Thema habe ich an meinem Geburtstag, an dem ich die Kamera bekommen habe, eigentlich abgehakt. Aber jetzt? Mit dem Wissen, dass es mich so viel weiter bringen könnte?
Seufzend lasse ich vom Fenster ab und krame meinen Laptop aus dem Koffer.
Und wenn ich es wenigstens gut mache? Anders als die anderen?
Eigentlich brauche ich ja nur ein Bild. Ein einziges, umwerfend gutes Bild. Von einem Menschen.
Würde ich gewinnen, hätte ich die Chance meines Lebens.
Bei dem Gedanken daran, Mitch einmal fotografieren zu können, muss ich lächeln. Mit Mitch könnte man so viele verschiedene, kreative Sachen machen.
Jeder andere würde mich wahrscheinlich schräg anschauen, wenn ich mit meinen Ideen ankommen würde, aber so bin ich nun mal.
Ich kann über die Technik mancher Profifotografen nur den Kopf schütteln.
Ich kann der Porträtfotografie nicht viel abfinden, weil die Models doch nur im Rampenlicht stehen wollen und angestrengt gut aussehen. Und das funktioniert nicht.

Aber ich kann es selbst nicht.

Ja, ich sollte wirklich damit anfangen.
Mit dem festen Entschluss, Porträts zu schießen, die jeden sprachlos zurücklassen, öffne ich Instagram und scrolle durch die neusten Einträge.
Die Einträge diverser Fotografen kommen heute ausnahmsweise nicht zu kurz, sonst überspringe ich sie immer, die meisten konzentrieren sich hauptsächlich auf Porträts und das ist - war - bis jetzt nicht mein Gebiet.
Was mir bei jedem einzelnen Foto auffällt und stört ist, dass die Blicke selbst da aufgesetzt und künstlich sind, wo sie natürlich und leicht sein müssten. Wenn die Models dabei so gut aussehen würden wie Mitch, hätte ich kein Problem damit, aber das ist nun mal nicht der Fall. Sie sind nun mal nicht mein kleiner Engel.

„Wir haben uns gedacht, dass wir das Programm heute ein bisschen umschreiben. Weil wir Spaß daran haben", meint Kevin grinsend und wartet ab, bis sich die Menge beruhigt hat. Gespannt warte ich darauf, dass er endlich weiter redet.
„Aber erst muss ich ein Foto von euch machen!", ruft Mitch dazwischen und drängt sich vor den Beatboxer, „Darauf habe ich mich nämlich schon seit heute Morgen gefreut, weil mir was aufgefallen ist. Ihr seid hier alle so verdammt hübsch! Ich bin so neidisch, das glaubt ihr gar nicht!"
Grinsend verdrehe ich die Augen. Es ist doch jedes Mal das Gleiche.
Nur, dass ich diesmal mit meiner Kamera dagegenhalten werde und Mitch fotografieren, wie er mit seinem Handy in der Hand und einem Grinsen auf den Lippen den Moment festhält.
„Hey! Paparazzi!", schreit Scott in gespielter Panik und deutet in meine Richtung. Das Spiel kennen wir ja bereits. Und wie sollte es anders sein, fangen alle um mich herum an zu schreien, und weil wirklich jeder sein Handy in der Hand hat, wird Scott wahrscheinlich kaum mich gemeint haben.
Wenn man mal von der Tatsache absieht, dass ich die Einzige mit einer wirklich guten Kamera hier bin.
Kaum ist Mitch fertig, schaue ich mir die Fotos an, die ich eben gemacht habe.
Ein richtig gutes ist nicht dabei. Ich muss mir wirklich etwas einfallen lassen, wie ich diese Momentaufnahmen besser gestalten kann...

„Wenn es mir in Amerika nicht mehr gefällt, ziehe ich hierher. Neuseeland ist wunderschön", meint Avi in einer Pause zwischen zwei Liedern.
„Ich ziehe mit!", meldet sich Kirstie zu Wort, und auch die anderen stimmen zu. Ich wünschte, ich wäre heute Morgen nicht faul gewesen und hätte mir die Landschaft angesehen. Aber meine Glieder haben protestiert, allen voran mein Kopf, den ich nur mit einigen Tabletten umstimmen und für den Abend begeistern konnte.
„Und weil ich mich so in Neuseeland verliebt habe, und weil ich tief in meinem Inneren ein Hobbit bin, werde ich jetzt..." Der Rest geht in begeistertem Geschrei unter, aber spätestens, als Avi anfängt, The Misty Mountain's Cold zu singen, weiß jeder Bescheid.
Auch die Schmetterlinge in meinem Bauch, die bei seiner unglaublichen Bassstimme wieder wild umherfliegen.