52. Kapitel

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21.09.2016, 16:30 Uhr, Hong Kong


„Lucia? Du musst mich retten."
„Oh Gott, was ist passiert?", fragt meine beste Freundin schockiert.
„Ich sitze auf der Straße fest. Das Hotel hat mich rausgeschmissen, weil irgendwas schiefgelaufen ist. Und da ist kein einziges Zimmer mehr frei!", beschwere ich mich. Etwas mulmig ist mir ja zumute, weil ich die Nacht im schlimmsten Fall tatsächlich im Freien verbringen muss.
„Wo bist du? In Hong Kong?", seufzt Lucia.
„Ja", murmele ich und schaue mich um.
Ich könnte theoretisch auch einfach in ein anderes Hotel spazieren, aber das scheint mir zu offensichtlich.
Außerdem will ich nicht einmal quer durch Hong Kong rennen, um ein Hotel zu suchen. Lucia kann viel schneller herausfinden, wo ein Zimmer frei ist.
„Du kannst zu Timothy!", ruft Lucia in diesem Moment begeistert und ich zucke erschrocken zusammen.
„Zu bitte wem?", frage ich verständnislos.
„Timothy Horper. Ich habe dir noch nicht von ihm erzählt?! Er ist so ungefähr das süßeste lebende Wesen! Er stand im Adressbuch deiner Mutter. Ich habe ihn auf Google gesucht und mich sofort gefragt, wieso ich dich alleine auf Weltreise geschickt habe. Ich hätte mitkommen müssen!"
„Als ob sich ein süßes männliches Wesen für mich interessieren würde. Und überhaupt, wieso sollte mich jemand von hier abholen? Ich brauche einfach nur ein Hotel, Lucia. Bitte", seufze ich.
„Ich geh kurz zu euch rüber und schau nach seiner Telefonnummer, ja? Du kannst mir ja von dem Konzert in Taipei erzählen", meint Lucia und übergeht meinen Einwand.
Das kennen wir ja bereits.
„Da war nichts wirklich außerordentlich Besonderes. Klar war es atemberaubend, aber nichts, was mich umgehauen hätte. Ich realisiere so langsam, dass das auch nur normale Menschen sind. Oh, aber Mitch und Scott waren mal wieder außerirdisch süß. Das sind garantiert irgendwelche Aliens. Es geht doch nicht, dass sie sich dauernd kurze Blicke zuwerfen!"
„Die tun mir echt jetzt schon leid. Du bringst es fertig und verkuppelst die, wenn du sie kennst!", lacht Lucia und in Gedanken muss ich ihr zustimmen.
„Okay, jetzt wird es ernst! Ich habe hier die Telefonnummer eines gewissen Timothy Horper", sagt sie keine Minute später.
„Ich finde immer noch nicht, dass das eine gute Idee ist", werfe ich seufzend ein.
„Ich aber schon. Und jetzt halt die Klappe, ich rufe ihn an. Du versaust das nur."
„Du willst doch nur mit dem ach so tollen Timothy reden", grinse ich, bin dann aber doch ruhig und warte geduldig, bis Lucia mich wieder anruft.

„Amari?"
Fast falle ich von meinem Koffer, als ich meinen Namen höre.
„Das bin ich!", rufe ich und drehe mich um.
Lucia hat nicht übertrieben.
Wenn das vor mir ihr geheimnisvoller Timothy ist, ist er wirklich außerordentlich hübsch.
Wobei ihm dunkle Haare wahrscheinlich noch besser stehen würden.
Und hätte er grüne Augen, fände auch ich ihn unglaublich hinreißend.
So ist er nur... Hübsch.
Makellos, fast langweilig perfekt.
„Timothy Horper. Jemand hat mich angerufen und gemeint, dass du mich suchst?"
Ich stehe auf und verdrehe die Augen.
„Lucia. Sie hat übertrieben, entschuldigen Sie. Ich wurde von dem Hotel auf die Straße gesetzt und habe eigentlich nach einem Hotel gesucht, aber meine Freundin kam auf die Idee, Sie zu belästigen", erkläre ich meine Situation und verziehe das Gesicht.
„Also, erstens kannst du mich duzen, sonst fühle ich mich alt. Und zweitens: Da hinten steht mein Auto!", lacht der Mann.
„Soll mich das beeindrucken oder bieten Sie... entschuldige, bietest du mir grade an, dass ich bei dir übernachten kann?", frage ich misstrauisch. Ich habe keine Ahnung, was meine Mutter mit diesem Typen zu tun hatte.
„Wenn du nicht hierbleiben willst - was ich dir nicht wirklich raten kann - kannst du gerne mitkommen", grinst Timothy und ich folge ihm erleichtert.
Auch wenn ich mir dämlich vorkomme, weil er meinen Koffer nehmen will.

„Was hattest du mit meiner Mutter zu tun?", frage ich, als wir im Auto sitzen.
„Ich habe früher für die Oper komponiert und viel mit ihr zusammengearbeitet. Dann bin ich kurz vor deiner Geburt umgezogen und habe hier den perfekten Platz gefunden", lächelt Timothy und hält an einer roten Ampel.
„Den perfekten Platz wofür?"
„Ich arbeite in der Musikbranche, hauptsächlich als Manager. Manchmal komponiere ich noch, aber viel seltener als damals", antwortet er.
In meinem Kopf rattert es. Musikbranche?
„Kennst du dann auch Pentatonix?", frage ich und beiße gespannt auf meine Unterlippe.
„Nicht persönlich", grinst Timothy.

SchnappschussWo Geschichten leben. Entdecke jetzt