40. Kapitel

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„Hey", sage ich verlegen grinsend, als Mitch vor mir stehen bleibt.
Direkt vor mir.
Mir wird übel, als ich bemerke, dass mich nahezu jeder anstarrt und ich und Mitch außerdem in Nahaufnahme auf den Bildschirmen zu sehen sind.
„Gefunden!", trällert Mitch strahlend und zwinkert uns zu, dann wendet er sich wieder ab, um weiterzusingen, woraufhin die Aufmerksamkeit aller wieder auf Pentatonix liegt.
Nur drei Personen blicken mich weiterhin entgeistert an.
Ich zucke grinsend mit den Schultern und rede mir ein, dass alles normal ist, was mein Körper jedoch vehement bestreitet.

„Wer will wissen, was als nächstes kommt?", fragt Avi geheimnisvoll, nachdem der tosende Applaus verklungen ist.
Schreie erheben sich, eigentlich können wir es uns alle schon denken, vor allem, als Helfer die kleinen, bunten Sitzsäcke nach vorne tragen.
„Jetzt kommt", beginnt Avi, „Mein Lieblingsteil von den Konzerten. Ihr müsst den Text von Misbehavin können!"
Das Interessante ist, dass – sobald die Sänger von der Bühne gehen und Leute suchen – so ziemlich jeder den Text kann. Anscheinend.
Auch wenn ich letztes Mal schon oben war und meine Gesangskünste sich noch nicht annähernd verbessert haben, kreische ich mit wie ein liebeskranker Teenager, der gleich in Ohnmacht fällt.
Okay, ich gebe es zu, ungefähr genau das bin ich auch.
„Dich hatten wir schon!", ruft Mitch und rennt an mir vorbei, woraufhin ich meine Taktik ändere und einfach auf Su zeige. Dass ausgerechnet Scott darauf reagiert und sie zu sich holt, wobei er mir kurz zuzwinkert, lässt die Schmetterlinge in meinem Bauch an Herzversagen sterben.
Wie ein Flummi springt Su kurz darauf über die Bühne, um jeden, der sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringt, zu umarmen.
Avi schließt sie mit einem amüsierten Lächeln in seine Arme, was einen kurzen Stich in meinem Herzen verursacht, bis ich mich schnell abwende und Scott und Mitch beobachte, die einen winzigen Blick tauschen, nach welchem sich der Blonde mit Su auf die Sitzsäcke fallen lässt.
Auch wenn sie sich danach nichts mehr anmerken lassen, die Schmetterlinge in meinem Bauch – Welche soeben wieder auferstanden sind – wissen genau Bescheid.
Das Grinsen auf meinem Gesicht geht nicht mehr weg, nicht bei Misbehavin, nicht bei Water, nicht bei Christus Factus Est. Su steht schon längst wieder neben mir, aufgedreht wie noch nie. Doch das Grinsen hält.
Bis bei Aha! das Licht ausgeht.
Pentatonix singt trotzdem fleißig weiter, während in mir Panik emporsteigt.
Und nicht nur in mir.
Überall wird hektisch gewispert.
Mein Herz schlägt in tausendfachem Tempo, und ebenso stark.
Als Mitch bei einem kurzen Aufblitzen der Scheinwerfer zwei Meter rechts von mir direkt am Bühnenrand plötzlich wieder sichtbar wird, schreit die gesamte Halle synchron auf.
Blut rinnt von seiner Schläfe, er ist leichenblass.
Was zur Hölle...?
Das Blut ist in meinen Adern gefroren, meinen Atem habe ich schon längst wieder angehalten.
Ich will nicht mehr.
Ich kann nicht mehr.
Nicht noch einmal.
Und dann taucht Kirstie für einen winzigen Moment auf, neben ihr Scott.
Kirsties Haare stehen wild von ihrem Kopf ab, dunkelroter Lippenstift ziert nicht nur ihre Lippen, sondern auch ihr halbes Kinn, als sie vollkommen ausdruckslos in die Ferne starrt.
Scotts Augen leuchten bedrohlich gelb, auf seiner linken Wange sind tiefe Furchen zu erkennen.
Keuchend schnappe ich nach Luft und jegliche Zweifel an der Echtheit dieser Situation verfliegen.
So einen Blick kann man nicht schauspielern.

SchnappschussWo Geschichten leben. Entdecke jetzt