Schnappschuss

41. Kapitel

Als das Licht endgültig wieder angeht, werde ich eines besseren belehrt.
Es geht sehr wohl. Kontaktlinsen beim Singen einsetzen, Kratzer und Leichenblässe schminken, Lippenstift auftragen und verschmieren.
Als die Sänger die schockierten Gesichter sehen, prusten sie nahezu synchron los.
„Ihr solltet mal eure Gesichter sehen", grinst Kirstie atemlos und sieht sich in der Halle um. Schnell werfe ich einen Blick zu meinen beiden Seiten. Su und Ana sehen immer noch so aus, als würden gleich Zombies auftauchen und sie zum Abendessen verspeisen, selbst Roy ist blass um die Nase, auch wenn er sich nichts anmerken lässt und einfach schief grinst. Eigentlich ist er ja schon süß.
„Weil wir uns erfolgreich geweigert haben – Uns wollten sie eigentlich auch schminken – dürfen wir euch jetzt unterhalten, während die anderen wieder... Normalisiert werden", beginnt Kevin und tritt mit Avi nach vorne, während Mitch, Scott und Kirstie lachend von der Bühne gehen.
„Hi", meint Avi nach einigen Sekunden erwartungsvoller Stille.
Der tiefe Ton kribbelt in meinem Bauch und lässt die Schmetterlinge panisch auffliegen.
Der Schock sitzt noch immer in meinen Gliedern, ich kann nicht glauben, dass das alles nur ein Scherz gewesen sein soll, doch Avi reißt mich sanft aus meinen Gedanken, indem er eine Anekdote nach der anderen erzählt und mit Kevin von der Tour schwärmt.
Kurz halte ich die Luft an, dann stoße ich sie langsam aus, und mit ihr alle Ängste.
Das meinte jedenfalls einer der Psychologen damals, als sie noch gehofft haben, dass ich wieder normal werden kann.
Heute glaube ich zum ersten Mal daran, dass diese Methode wirklich funktionieren kann, da ich die Bilder von den Anschlägen aus meinem Kopf bekommen und das Konzert, so gut es jetzt noch geht, genießen will.

„Ich wurde vor Kurzem gefragt, ob Kevin mein fester Freund ist", meint Avi nachdenklich und sieht den Beatboxer von der Seite an, als ob er jetzt wirklich überlegen müsste, ob das stimmt.
Und wieder. Der Stich in meinem Herzen.
Ich werfe Roy einen kurzen Blick zu und sehe, dass er begeistert an den Lippen des Sängers hängt, mit einem leichten Grinsen.
Ja, er ist wirklich süß.
Kevin krümmt sich vor Lachen, während Avi unerschütterlich ernst bleibt.
„Ich habe nein gesagt", fährt er fort.
Kevin hält sich sein Mikrofon an den Mund, will etwas sagen, doch bevor auch nur ein Wort über seine Lippen kommen kann, erzählt Avi weiter.
„Ich meine, hallo? Wir sind seit drei Jahren keine festen Freunde mehr, sondern verheiratet?" Jetzt ziert doch ein Lächeln sein Gesicht und er drückt Kevin kurz an sich.
„Wieso weiß ich davon nichts?", fragt dieser und sieht seinen Freund schmollend an.
„Vielleicht hast du es verpasst", sagt Avi schulterzuckend und sieht sich auf der Bühne um.
„Das ist Mitch, der so lange braucht. Der muss noch seine Haare richten", stellt Kevin fest und bringt damit die gesamte Halle zum Lachen.
„Ach, geht ja gar nicht. Hat er ja nicht mehr", stellt er kurz darauf fest.
„Oder er muss Scott noch kurz einen Aufmunterungskuss geben. Hashtag Scömìche!", meint Avi trocken und winkt dann ab, als sich schmachtender Jubel erhebt.
„Ich muss nur widerlegen, dass Mavi wahr ist. Das nehme ich den Fans aus Sydney immer noch übel", zwinkert er und geht ein paar Schritte nach hinten, als er sieht, dass die anderen Sänger wieder auf die Bühne kommen.
„Was nimmst du Sydney übel?", fragt Mitch und zupft einen Fusel von seinem Oberteil.
„Dass sie uns geshippt haben", meint Avi ernst und erntet von Mitch einen halb empörten, halb enttäuschten Blick.
„Ich dachte, du liebst mich!", sagt der Countertenor gespielt traurig und prustet im nächsten Moment mit den anderen los.
Ich will, dass sie mir sagen, wie man durchgehend so gut gelaunt sein kann.
„Eigentlich gehört mein Herz ja Kirstie", meint er und schließt die Sängerin in seine Arme.
„Dir ist bewusst, dass du hier grade Blödsinn redest?", fragt diese in sein T-Shirt, doch Mitch zuckt nur mit den Schultern, löst sich von Kirstie und steigt in das nächste Lied mit ein.
„Sie sind so süß!", schreit Su in mein Ohr und ich zucke zusammen, bevor ich lachend zustimme.
Ja, das sind sie wirklich.
Vor allem Scott und Mitch, die schon wieder einen kurzen Blick tauschen.
Gott, sie werden mich damit irgendwann noch umbringen.

Amari Carolin Ginsers, starb einen Fangirltod.