25. Kapitel

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„Scheiße, ist das früh! Ich hasse mein Leben!", knurre ich, als wir eine Woche später am Flughafen ankommen. Wieso zur Hölle ich ausgerechnet den Flug um 4 Uhr morgens buchen musste, weiß ich selbst nicht so genau.
„Selbst schuld. Du hast den Flug rausgesucht", meint Lucia mit einem zuckersüßen Lächeln, wofür ich sie am liebsten zum Mond schießen würde. Auch meine Pflegemutter, die Lucias und meine winzige Auseinandersetzung geschickt übergeht, ist nicht grade hilfreich gegen meine Müdigkeit.
„Du bist immer noch ganz sicher, dass du fliegen möchtest?", fragt sie, ein wenig blass um die Nase. Ich nicke entschlossen und presse meine Hände auf meine Schläfen, um die höllischen Kopfschmerzen zu lindern.
„Wieso sind wir gestern nochmal so lange aufgeblieben?", stöhne ich und steige aus dem Auto.
„Wir müssen doch feiern, dass wir dich jetzt erst mal los sind, nicht wahr?", antwortet Lucia schief lächelnd und schaut zu meiner Pflegemutter, die das Ganze aber wohl etwas anders sieht.
„Ach Süße... Ich kann nicht glauben, dass du mich einfach so verlässt", lacht sie gezwungen und zieht mich in eine Umarmung. Ich glaube, so viele Umarmungen wie heute hatte ich in meinem gesamten Leben noch nicht.
„Tja, selbst schuld. Hast du dir mal angeschaut, was sie später alles durchmachen muss? Ich würde da nicht gerne mitwollen!", grinst Lucia und hievt meinen Koffer und die Tasche, welche sich zufällig noch dazugeschummelt hat, aus dem Kofferraum.
„Pah. Ich schaff das locker", sage ich gespielt hochnäsig und nehme ihr die Tasche ab, nur um sie im nächsten Moment fallen zu lassen.
„Was zur Hölle?", fragt meine Freundin prustend, während ich mir meine schmerzende Schulter halte.
„Wer hat das gepackt? Das ist schwer!", jammere ich frustriert und hebe die Tasche wieder hoch.
„Du. Und da sind doch nur ein paar Blöcke, deine komplette Fotoausrüstung, diverse Bücher, dein Laptop, ein paar Snacks, Schokolade und andere unnötige Sachen drin", sagt Lucia unschuldig, während sie versucht, mit dem Koffer klarzukommen.
„Meine Kamera ist nicht unnötig! Und Schokolade? Hallo?!", rufe ich empört und stolpere mit der Tasche hinter ihr her in den Flughafen.

"Tja. Tschüss?", meine ich fragend, als mein Flug gefühlte zehn Stunden später aufgerufen wird.
"Tschüss, meine Große", murmelt meine Pflegemutter in mein Haar, während sie mich schon wieder an sich drückt.
„Bau keinen Mist, ja? Und schick ganz viele Fotos", sagt meine Freundin schief lächelnd. Ich nicke.
„Sowieso", meine ich zwinkernd und beiße mir auf die Lippe.
„Hab euch lieb", flüstere ich und ziehe meine Pflegemutter und Lucia ein letztes Mal an mich, wobei sich eine einzige Träne den Weg über meine Wange bahnt.
„Ich dich auch", kommt die zweistimmige Antwort, als ich mich endgültig abwende.

Und mal wieder kommt mir der Gedanke, dass dies die letzte Begegnung mit zwei Leuten sein könnte, die ich über alles liebe.

Tief durchatmend und zitternd wie Espenlaub gehe ich durch den Gang und setze mich auf meinen Platz, während ich mich innerlich auf die folgenden Stunden vorbereite. Das, was ich hier durchziehen will, was ich hier durchziehe, deutet eindeutig auf eine Fehlfunktion meines Hirns hin. Welcher normale Mensch reist schon für 3 Monate, für über 20 Konzerte, hinter seiner Lieblingsband her? Welcher normale Mensch hat überhaupt das Geld dafür?
Oh Gott, ich werde noch durchdrehen.
In den nächsten drei Monaten.
In denen ich voll und ganz auf mich selbst gestellt bin.
In denen ich niemanden dabei habe, der mir sagt, wann ich schlafen gehen soll, wo und was ich essen soll, was ich anziehen soll.

Verdammt, ich fühle mich alleine.
Klein.
Verletzlich.

Und trotzdem bin ich so gespannt, dass sich ein Lächeln auf mein Gesicht schleicht.


SchnappschussWo Geschichten leben. Entdecke jetzt