36. Kapitel

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Als ich mich am Abend mit meinem Handy in der Hand in mein Bett fallen lasse, immer und immer wieder auf Snapchat die Story von Pentatonix ansehend, grinse ich wie verrückt. Ich habe keine Ahnung, wie mein Körper so viele Glückshormone produzieren kann, aber ich kann nichts gegen sie machen.
Daran, dass ich vielleicht schlafen gehen sollte, weil ich morgen nach Adelaide fliege, denke ich erst gar nicht, zu viele Dinge schwirren durch meinen Kopf. Einerseits bin ich furchtbar erleichtert, dass mich niemand erkannt hat, andererseits sitzt ein kleiner Funke Enttäuschung in meinem Kopf, weil sie sich nicht an mich erinnert haben. Vielleicht stimmt es ja gar nicht, vielleicht berichten die Medien nicht das Richtige, vielleicht habe ich sie nicht gerettet. Bewiesen ist das immerhin noch nicht.
Meinen Blick auf den kleinen Bildschirm gerichtet drehe ich mich auf den Bauch, während das nächste Video erscheint.
Avi sitzt gebückt neben dem kleinen Jungen, damit der auch ins Bild passt, singt mit einem sanften Lächeln, seine grünen Augen funkeln im Licht der Scheinwerfer.
Grün wie in meinen Träumen.
Und wie am heutigen Abend, immer mal wieder.
Kopfschüttelnd wende ich mich wieder meinem Handy zu und beobachte kritisch, wie ich neben Kirstie sitze und singe. Okay, es ist eher ein Versuch, singen gehörte noch nie zu den Dingen, die ich kann. Nüchtern stelle ich fest, dass sich meine Stimme immer noch grausam anhört, und tippe ungeduldig den Bildschirm an, damit das nächste Video erscheint. Als ich Mitch sehe, quietsche ich begeistert und ein idiotisches Grinsen schleicht sich auf mein Gesicht. Er ist aber auch zu süß.

04.09.2016, 16:25 Uhr, Adelaide, Australien.
Kaum trete ich aus dem Flughafen, bereue ich, dass ich meine Sonnenbrille ganz unten im Koffer vergraben habe. Die Sonne scheint mit einer faszinierenden Begeisterung und heißt alle Leute, die hinter oder vor mir aus dem modernen Gebäude treten, willkommen. Gähnend krame ich den Zettel aus meiner Tasche, den ich mir heute Morgen noch geschrieben habe. Ich bin in Adelaide. Gut zu wissen.
Öffentliche Verkehrsmittel sind mir heute zu kompliziert, weshalb ich kurzerhand beschließe, mit dem Taxi zu fahren. Nachdem der Fahrer meinen Koffer mit wenigen Handgriffen verstaut hat, geht es los, und ich muss mich stark beherrschen, um nicht durchgehend am Fenster zu kleben. Das nenne ich mal eine Großstadt. Es vergeht kein Kilometer, ohne dass ich mindestens einen der Parks sehe, die großzügig zwischen den Häusern verteilt sind.
Seufzend lehne ich mich zurück. So soll das in Deutschland auch sein.
„Sind Sie zum ersten Mal hier?", fragt der Fahrer.
„Ist das so offensichtlich?", grinse ich. Wir halten an einer Ampel und er dreht sich nickend um.
„Sie kommen aus dem Staunen kaum noch raus", lacht er und fährt weiter, als die Ampel auf grün springt. Ich zucke mit den Schultern.
„Ich komme grade aus Sydney, das war schon was anderes", meine ich und überlege, wie viel in den Parks wohl los ist, und ob ich Zeit habe, um fotografieren zu gehen.
„Sydney ist eine typische Großstadt. Adelaide ist einfach Adelaide", kommt es von vorne, während ich beschließe, den Fahrer, der sich hier wahrscheinlich besser auskennt als ich, einfach auszufragen.
„Ist in den Parks abends viel los?", frage ich.
„Kommt drauf an, was viel für Sie bedeutet. Eigentlich geht es wirklich, man begegnet zwar ab und an jemandem, aber damit muss man leben."
„Machen Sie Witze? Man begegnet ab und an jemandem? Ich hätte damit gerechnet, dass abends richtig viele Leute unterwegs sind!", meine ich fassungslos und ernte nur ein Lachen.
„Willkommen in Adelaide", scherzt der Mann.
„Sie wissen nicht zufällig, wann heute die Sonne untergeht, oder?", frage ich grinsend.
„Gegen 6 Uhr, denke ich", antwortet er schulterzuckend und ich starre ihn sprachlos an.
„Gibt es irgendetwas, was Sie nicht wissen?", lache ich nach einigen Sekunden.
„Das kann ich Ihnen nicht sagen", schmunzelt der Mann und hält am Straßenrand.
„Nee, oder?", stoße ich frustriert aus, als ich das Hochhaus sehe.
Ich könnte wetten, dass ich zufällig ein Zimmer im hundertsten Stock habe.

SchnappschussWo Geschichten leben. Entdecke jetzt