14. Kapitel

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Das Titelblatt zeigt Pentatonix auf der Bühne, und sofort muss ich lächeln. Es ist perfekt getroffen.
Das Licht ist stimmig, die Qualität einmalig für ein Konzert, und die Fans sind nicht zu aufdringlich mit eingebunden, nur die schwarze Silhouette der Masse ist am unteren Rand zu sehen.
Erwartungsvoll schlage ich das Heft auf, in der Hoffnung, weitere Meisterwerke zu finden, die meine absolute Lieblingsband zeigen.
Den Artikel am Anfang lese ich mir zwar durch, allerdings nur ungeduldig.
Ich will Bilder sehen.
Schwarzweiß und in Farbe.
Mit Filter und einfach nur pur.
Ich will Pentatonix sehen.

Avis grüne Augen.

So intensiv, so klar, so nah.
Ich schließe die Augen, Erinnerungsfetzen tauchen auf und verschwinden, bevor ich sie wirklich wahrnehmen kann.
Endlich habe ich den Artikel fertig gelesen und blättere zum Inhaltsverzeichnis weiter.
Die übliche Gliederung springt mir entgegen und ich schlage die nächste Seite auf.
Wenn ich etwas suche, werde ich es schon finden.
''Berlin, Germany'', steht unter dem nächsten Bild. Ich verliebe mich sofort in es. In den oberen Ecken funkelt das Licht der Scheinwerfer, im Hintergrund erkenne ich schwarz und weiß die Muster von ''Can't Sleep Love''.
Die Sänger stehen strahlend und singend am vorderen Bühnenrand und bilden den einzigen Farbklecks im Bild.
Der Künstler hat die Kleidung jedes Einzelnen in seiner Farbe eingefärbt, in eigentlich unauffälligen Pastelltönen, die dennoch im Vordergrund stehen.
Ich brauche Photoshop. Ganz dringend.
Den Artikel unter dem Bild verschlinge ich gierig, ebenfalls die kurze Anleitung auf der nächsten Seite.
Wenn ich mich nicht irre, kommt auf der folgenden Seite irgendwas aus den Nachrichten.
Auch wenn ich das nie so spannend finde, blättere ich um.

Und erstarre.

''Frankfurt, Germany'' steht unter dem Bild, welches von dem typischen Rahmen umgeben ist, den zur Zeit eigentlich wirklich jeder um Fotos aus Nachrichten macht. Ich hasse ihn.
Und noch mehr hasse ich das Bild und gleichzeitig mich selbst, weil ich mir geschworen habe, nie eifersüchtig auf jemanden zu sein.

Aber mit dem Mädchen, welches in Avis Armen liegt, würde ich jederzeit tauschen wollen.

''Frankfurt, Germany

Vergangenen Freitag wurde auf dem Konzert der vor allem in Amerika bekannten A-Capella-Gruppe Pentatonix ein weiterer Anschlag verübt. Von den fast 5.000 Menschen, die sich in der Halle versammelt hatten, starben knapp 300, weitere 600 wurden verletzt oder erlitten schwere Schocks. Genaue Zahlen sind noch nicht bekannt.

Bild: Basssänger Avi Kaplan trägt ein bisher unbekanntes, ohnmächtiges Mädchen aus dem Gebäude, nachdem der Anschlag endete und die Polizei die Halle nach Verbleibenden absuchte."

Ein Anschlag.
In Frankfurt.
War ich nicht dort?
Stammen die Bilder, die immer wieder durch meinen Kopf geistern, nicht von diesem Abend?
Wieso weiß ich nichts mehr?
Von dem Anschlag?
Von dem, was danach passierte?

Weil ich einen schweren Schock erlitten habe.

Geblendet von dieser Erkenntnis lasse ich meinen Kopf auf das Papier sinken. Meine dunkelbraunen Haare fallen auf die Seite und bedecken mein Gesicht, fast so wie bei dem Mädchen auf dem Foto.
Die hellbraune Strähne, für die ich meine Haare so sehr verfluche, landet genau auf dem Bild.
Fassungslos starre ich die Jugendliche an, deren Gesicht von dunklen Strähnen bedeckt wird.
Und von einer einzigen hellen.
Fast scheint es, als versuche sie, ihre Identität geheimzuhalten.
Doch es gelingt ihr nicht.

Entsetzt starre ich auf meine Haare, die mit ihren so gut wie identisch sind.


SchnappschussWo Geschichten leben. Entdecke jetzt