45. Kapitel

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Es ist dunkel und kalt, als ich die Halle verlasse, und doch schlage ich nicht direkt den Weg zum Hotel ein.
Die kühle Luft tut meinem Kopf erstaunlich gut, und ich beschließe, dorthin zu gehen, wo ich schon immer mal hinwollte. Ausruhen kann ich mich auch morgen noch. Und übermorgen geht es weiter.
Um 00:50 Uhr.
Hätte ich vorher gewusst, was das bedeutet - Ich hätte es gelassen.
Kurz nach Mitternacht.
Mitternacht!
Wie auch immer, ich werde es überleben müssen.
Bei dem Flug habe ich wenigstens genug Zeit zum Schlafen. Ganze 16 Stunden. Und wegen der Zeitverschiebung muss ich auch nur ein bisschen aufpassen, wenn ich um 11 Uhr lande. Morgens.
Zum Glück.
Sonst wäre ich wirklich durchgedreht.

4,2 Kilometer.
Das müsste ich eigentlich noch schaffen. Und von der Harbour Bridge, meinem Ziel, fahre ich dann einfach mit dem Taxi zurück.
Ich will doch nur ein Foto machen. Ein perfektes. Auf das ich stolz sein kann. Von der nächtlichen Skyline.

4,2 Kilometer können ziemlich lang sein.
Die Kälte kriecht langsam durch meine Jacke und lässt mich zittern, und auch wenn die Schmerzen verschwunden sind, gibt mein Kopf keine Ruhe.
Gedanken tauchen auf und verschwinden wieder, manchmal rede ich sie mir aus, manchmal klammere ich mich an ihnen fest.

Avi.
Auch wenn ich mir jegliche Gedanken an ihn verbiete, tauchen sie immer wieder und immer schneller auf, ich kann keinen von ihnen fassen, sie verwirren mich, bringen mich durcheinander, geben den Plan auf, halten sich an ihm fest, verdrehen ihn, setzen ein ganz neues Ziel.

Ein Schauer läuft mir über den Rücken.

Ich weiß nicht, was das mit mir noch werden soll.
Irgendwann wird man mich aus dem Flugzeug tragen müssen, oder aus dem Hotel, von einem Konzert, weil ich einen Nervenzusammenbruch erlitten habe.

Und schon wieder ist er da.

Es ist doch zum Verrücktwerden.

Avi schleicht sich in meinen Kopf, kaum ist der Gedanke daran, dass man mich aus einem Konzert tragen müsste, verflogen.

Ich atme tief durch und versuche mit zitternden Fingern meine Kamera aus der Tasche zu holen.
Weit dürfte es nicht mehr sein.
Leise fluchend bleibe ich stehen und ziehe den klemmenden Reißverschluss meiner Tasche auf.
Und kaum hebe ich den Blick, halte ich den Atem an.
Die Brücke strahlt in goldenem Licht, selbst das stille, dunkle Wasser unter ihr glitzert noch geheimnisvoll.
Wenn das Foto von der Skyline genauso gut wird wie der Anblick der Harbour Bridge, steht meiner Karriere nichts mehr im Wege.

SchnappschussWo Geschichten leben. Entdecke jetzt