Schnappschuss

49. Kapitel

Perplex schaue ich den jungen Mann an, als er sich schon wenige Sekunden später von mir löst und mich abschätzend betrachtet.
Oh Gott, ich habe es ruiniert.
Ich war zu sehr damit beschäftigt, nicht daran zu denken, was grade passiert, dass mir nicht mal in den Sinn gekommen ist, zurückzuküssen.
„Ja, da ist eindeutig ein anderer. Oder eine andere. Wer weiß?", meint er zwinkernd und deutet auf den Eingang.
„Es ist offen, kommt ihr mit?"
Immer noch viel zu verwirrt folge ich den beiden, die sich lachend unterhalten.
Und dann verstehe ich endlich, wieso.
„Su! Ich hasse dich!", rufe ich kopfschüttelnd und schließe zu ihnen auf.
„Was?", fragt sie unschuldig und tauscht einen kurzen Blick mit dem Unbekannten.
„Nichts gegen dich, aber sonst bin ich ein Gentleman, ich küsse Fremde nicht sofort", schmunzelt der.
„Aber wieso? Also, wieso Su das vorhatte, habe ich schon verstanden, aber wieso hast du es auch gemacht?", frage ich vollkommen durch den Wind.
„Kann ich solchen Schönheiten einen Wunsch abschlagen?", zwinkert er und hält uns die Eingangstür auf.
Ich verdrehe die Augen und bleibe dann plötzlich stehen, weil es mir wie Groschen von den Augen fällt. Dass Su und der Unbekannte mit voller Geschwindigkeit in mich hinein rennen, ist mir in diesem Moment herzlich egal.
„Hat sich da jemand in unsere Su verguckt?", lache ich fassungslos und finde es gleichzeitig unglaublich süß, als er rot wird.
„Su hat einen Verehrer!", quietsche ich grinsend und laufe weiter.
„Von dem ich noch nicht mal den Namen weiß!", protestiert Su, doch ich kann genau hören, dass es ihr so peinlich ist wie dem jungen Mann.
„Du hast mich so überrannt, okay? Ich bin Felix", lacht er.

Su steht in der Mitte, Felix und ich neben ihr. In der ersten Reihe.
Ich kann mich glücklich schätzen, dass ich so viel Geld und Zeit habe.
„Ich weiß, woher ich dich kenne!", ruft Felix plötzlich und reißt mich aus meinen Gedanken.
„Ähm... Tust du das?", frage ich verwirrt.
Das wird ja immer besser.
„Du warst schon ein paar Mal dabei, oder? Ich habe dich garantiert schon ein paar Mal auf den Snaps von Pentatonix gesehen!"
Ich stöhne.
Dass man von so etwas bekannt werden kann, ist der pure Wahnsinn.
„Sie verfolgt Pentatonix", erklärt Su, als ich nicht antworte.
„Das hört sich so an, als würde ich damit ein Verbrechen begehen! Nein, ich muss noch was klären, und sie deswegen kennenlernen... Das hört sich immer noch so falsch an, verdammt!"
Su lacht nur und Felix sieht irgendwie beeindruckt aus.

Bis sich die Scheinwerfer auf die Bühne konzentrieren und alle begeistert jubeln.
Nur ich schaue die Sänger nachdenklich an, die so froh, so frei, so glücklich wirken.
Ob sie es wirklich sind?

„Guten Abend, ihr alle!", ruft Scott nach den ersten Liedern und stellt sich an den Bühnenrand.
Ich will grade pfeifen, da kommt Avi nach vorne.
Unschlüssig lasse ich meine Hand wieder sinken.
„Seid ihr gut drauf?", fragt Avi schmunzelnd und Scott hält sich gespielt schockiert die Ohren zu, als die ganze Halle von den lauten Schreien nahezu vibriert.
Auch wenn Avi weiterspricht, schaue ich noch Scott an, der sich in der Menge umsieht.
Vielleicht entdeckt er mich ja, wenn ich ihn lange genug anstarre.
„Ich weiß es!", quiekt Su neben mir auf und lacht begeistert.
„Oh Gott, schlag ihn dir ganz schnell aus dem Kopf. Amari, muss ich dich daran erinnern, dass das ein Star ist?"
„Wer?", schaltet sich Felix ein.
Na super. Der hat grade noch gefehlt.
„Amari ist in Avi verliebt!"
Ich ignoriere die beiden, schaue wieder Scott an.
„Wie konnte mir das nicht auffallen? Das ist wirklich etwas zu offensichtlich, Amari! Denkst du, er beißt dich, wenn du ihn anschaust?"
Das Zwinkern kann ich aus seiner Stimme beinahe heraushören, als ich mich dem Basssänger zuwende, der seinen Blick grade über die erste Reihe schweifen lässt.
Über Felix, über Su.
Und dann landet er auf mir.