Kapitel Sechs ~ Wo die Liebe hinfällt

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Frustriert lasse ich mich auf mein Bett fallen und starre an die Zimmerdecke. Mias Stimme dringt durch das Telefon in mein Ohr.

„Vielleicht solltest du dem ganzen eine Chance geben", brummt sie abgelenkt. Im Hintergrund kann ich hören, wie sich eine Kühlschranktür öffnet und nach kurzem wieder schließt. Einer der wohl negativen Eigenschaften meiner besten Freundin ist, dass sie sich viel zu leicht von Essen ablenken lässt. Es ist, als wäre sie nicht mehr hier, sondern in einem Land aus Käse und Pizza.

Alles in mir widerstrebt dem Gedanken in der Firma der McKenzie's zu arbeiten. Und alleine schon deswegen lohnt es sich nicht, es überhaupt zu versuchen.

Ich atme angestrengt aus und drehe mich auf den Bauch. Die Sonne scheint durch mein Fenster, warm ist es allerdings nicht mehr.

„Ich vermisse Dali und dich immer mehr." Meine Stimme ist nicht mehr als ein Flüstern, die Verzweiflung ist aber deutlich rauszuhören. In den letzten Tagen habe ich schon oft darüber nachgedacht, einfach wieder dort hinzufahren, wo meine Probleme so klein aussahen, das sie schon fast nicht existent waren.

„Wir dich auch." Ist das einzige, was sie sagt und auch wenn ihre Worte nicht vor Sehnsucht triefen, weiß ich das sie es auch so meint. Mia bezeichnet sich selbst gerne als Gefühlskalt, zwar trifft das nicht zu, doch ich lasse sie in dem Glauben.

„Aber ernsthaft Ivy, gib dem ganzen eine Chance. Menschen verändern sich und vielleicht auch Noah's Familie. Man kann nie wissen." Ich muss Grinsen, weil ich hören kann, wie Mia sich gerade etwas zu essen in den Mund stopft. Sie schmatzt genüsslich, was meinen Magen zum Knurren bringt.

„Ich weiß nicht", sage ich abwesend und überlege stattdessen, was ich essen könnte. Dabei fällt mir ein, dass Josy auch zu Hause ist und wir dann endlich mal Gelegenheit dazu hätten, etwas zusammen zu unternehmen.

Auch nachdem Mia und ich unser Telefonat beendet haben, bin ich noch keinen Schritt weiter. Ich brauche einen Job und dieser wäre zu gut um wahr zu sein, aber es lässt sich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. Mum hat mich nach meinem Nein als undankbar bezeichnet. Zu behaupten das hätte mich nicht getroffen wäre gelogen, doch gerade sie hätte wissen müssen, dass ich diesen Job nicht annehmen würde.

Genervt lasse ich das Handy auf mein Bett fallen und stehe auf um zu Josy zu gehen. Als ich an der Wohnzimmertür vorbeilaufe kann ich Mum sehen, die in Jogginghose und fleckigem Shirt vor dem Fernseher sitzt und sich eine Tüte Fruchtgummi gönnt. Wahrscheinlich könnte sie den Job mehr gebrauchen als ich. Es stimmt mich traurig, dass sie scheinbar keine Motivation mehr dazu findet, sich aufzurappeln und etwas für sich zu tun. Sie wirkt versunken in ihr ganz eigenes Dilemma.

Leise klopfe ich an der Zimmertür meiner Schwester. Musik dringt hindurch, doch sie scheint mein Klopfen trotzdem gehört zu haben, denn das nächste, was ich hören kann, ist, wie die Musik leiser gedreht wird und sie ein „Herein." ruft.

Ich stecke meinen Kopf durch den Spalt, den ich geöffnet habe. Josy zieht die Augenbrauen zusammen und sieht mich wortlos an.

„Ähm.. Also ich wollte fragen, ob du vielleicht Lust hast etwas essen zu gehen?" Verwundert über meine eigene Wortkargheit stehe ich einfach nur da und beiße mir auf die Lippe, während ich auf eine Antwort ihrerseits warte.

Sie scheint einen Moment zu überlegen, legt dann aber den Stift in ihrer Hand zur Seite und nickt mit einem kleinen Lächeln.

„Gut ich mache mich dann fertig. In fünfzehn Minuten können wir los."

So schnell wie ich das Zimmer betreten habe, verlasse ich es auch wieder. Die Stimmung zwischen Josy und mir ist seit meiner Ankunft angespannt. Anfangs scheint sie sich noch gefreut zu haben, doch es wirkt, als würde sie mit jedem Tag mehr Abstand zu mir gewinnen. Es ist ein komisches Gefühl, zu wissen, dass wir uns zurzeit kaum etwas zu sagen haben. Irgendetwas in mir hofft, das wir uns bei einem Essen vielleicht wieder etwas näher kommen. Früher waren wir unzertrennlich, etwas das mir heute fehlt.

Da ich nicht vorhabe in das nobelste Restaurant der Stadt zu gehen, ziehe ich mir einfach nur eine ordentliche Bluse an und greife nach der obersten Jeans in meinem Schrank. Doch dabei fällt eine andere Jeans von dem Stapel. Dabei muss ich lächeln, denn es ist mein liebstes Paar. Es ist schon alt und hat die besten Jahre hinter sich, passt, aber immer noch wie angegossen, weshalb ich mich dafür entscheide sie anzuziehen.

Leli, eine alte Freundin hat sie immer als meine Glückshose bezeichnet und wer weiß, vielleicht ist sie ja wirklich eine Glückshose. Auf jeden Fall kann ich heute Abend alles Glück der Welt gebrauchen, wenn ich möchte, dass das Verhältnis zu Josy wieder besser wird.

Als ich aus meinem Zimmer komme, steht Josy schon im Flur und hat ihre Jacke und Schuhe an. Sie wirkt gelangweilt, wie sie dort auf ihr Handy tippt.

Offenbar hat sie nicht mehr vor Mum oder Dad noch etwas zu sagen, weshalb ich das einfach übernehme. Doch als ich die dürftige Resonanz zu spüren bekomme, kann ich verstehen das Josy es niemandem sagt. Weil es letztendlich niemanden interessiert.

Seufzend verlasse ich hinter ihr die Wohnung. Auf dem Weg zum Auto spricht keiner von uns beiden ein Wort. Ich, weil ich nicht weiß, was ich sagen soll und Josy, weil sie zu sehr damit beschäftigt ist auf ihrem Handy herumzutippen.

Ich muss mir ein Augenrollen verkneifen. Es wird immer schlimmer mit diesen Dingern.

„Wo möchtest du hin?" Frage ich letztendlich als wir bei meinem Auto ankommen. Desinteressiert zuckt sie mit den Schultern und steigt einfach ein ohne mich auch nur anzusehen. Josys Verhalten ist verletzend, doch ich schlucke alles, was ich sagen möchte einfach runter und steige ebenfalls ein.

Da sie sich nicht für ein Lokal entscheiden konnte und ich nicht sonderlich viele kenne, habe ich beschlossen einfach in das Lokal zu fahren, in dem auch Mum und Dad immer mit uns essen gegangen sind. Vielleicht helfen die alten Erinnerungen und bringen etwas gute Laune.

Drinnen muss ich allerdings enttäuscht feststellen, dass nichts mehr von dem alten, rustikalen Charme geblieben zu sein scheint. Alles ist neu. Die Wände, die Tische und Stühle, die Deko, ja selbst die Lampen sind anders.

Innerlich seufzte ich so laut, dass es wahrscheinlich ganz Gotsburgh hören könnte, doch äußerlich lasse ich mir nichts anmerken. Ich lächle Josy an, die jedoch schnell wegsieht und sich an einen der Tische setzt.

Als der Kellner um die Ecke kommt und uns mit einem höflichen Lächeln die Speisekarten bringt, redet Josy das erste Mal seit einer gefühlten Ewigkeit mit mir.

„Können wir mit dem Bestellen noch warten? Ich habe meinen Freund eingeladen, er müsste jede Minute hier auftauchen."

Verwirrt ziehe ich die Augenbrauen nach oben und mustere meine kleine Schwester ganz genau. Ich dachte das wird ein Essen nur unter uns, aber vielleicht ist es besser so, wenn noch jemand dabei ist, der die Stimmung etwas auflockert.

Ich nicke zustimmend und lege die Karte wieder zur Seite.

„Du hast also einen Freund?" Möglichst unauffällig versuche ich nachzuhaken was es mit dem Jungen auf sich hat, der meine kleine Schwester um den Finger gewickelt zu haben scheint.

Sofort beginnen Josys Augen zu funkeln und sie nickt enthusiastisch.

„Ja. Wir sind erst seit drei Monaten zusammen, aber er ist die Liebe meines Lebens. Das weiß ich."

Sie klingt dabei so verliebt, dass ich es ihr fast schon glaube. Allerdings weiß ich auch, dass dies zu 99,9 Prozent nicht der Fall sein wird.

Anstatt etwas zu sagen, das sie verletzen könnte, lächle ich sie nur stumm an und nippe an meinem Wasser, welches der Kellner uns gebracht hat.

Ich werde Josy nichts vorschreiben, was ihre Beziehungen angeht. Sie ist alt genug um zu wissen, was sie tut und abgesehen davon würde es nichts bringen, da sie sich von mir nichts sagen lässt.

„Oh da ist er schon." Freudig springt Josy von ihrem Platz und sieht hinter mich. Gespannt drehe ich mich auf meinem Stuhl um und sehe in die Richtung, in die Josy verschwunden ist.

Als ich dann sehe, wer ihr Freund eigentlich ist, bleibt mir die Spucke weg.

„Kyle?"

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