Kapitel Sechzig ~ Das Ende

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Bereit für's Finale? Because I'm not.

Ohne auf ihn zu reagieren, laufe ich weiter, beachte dabei Elly nicht, die Schwierigkeiten hat bei meinem Tempo mithalten zu können.

„Da ruft dich jemand", lässt sie mich verwirrt wissen.

„Ivory, jetzt warte doch mal", Noah kommt näher und hält mich schließlich am Arm fest. Sofort reiße ich mich wieder aus seinem Griff. „Verpiss dich", fauche ich und bete, dass die Ampel gleich grün wird.

„Ich vermisse dich", gesteht er leise. „Gut so", antworte ich kühl und starre die noch immer rote Ampel an.

„Hör mir zu, bitte. Ich habe alles versucht aber ich kann dich einfach nicht vergessen. Bitte, gib mir eine Chance."

Mit jedem Wort, das aus seinem Mund kommt, fängt mein Blut an mehr zu kochen.

„Wie viele denn noch?", brülle ich wütend. „Du sollst mich in Ruhe lassen. Ich kann dich und deine verlogene Visage einfach nicht mehr sehen."

Es gibt kein uns mehr. Wir sind nicht gemacht für einander. Der eine tut dem anderen nicht gut.

„Nur noch diese eine. Verdammt Ivory, was soll ich tun damit du mir diese Chance gibst?!" verzweifelt fährt er sich durch die Haare. Meine Brust zieht sich unangenehm zusammen.

„Ich will dir keine Chance mehr geben. Du hattest mehr als-" ich werde von dem Klingeln meines Handys unterbrochen.

Umständlich ziehe ich es aus meiner Jackentasche und drücke auf annehmen. Ich ignoriere Noahs Blick und drehe mich um.

„Was gibt's Mama?", meine Stimme zittert mindestens genauso sehr wie der Rest meines Körpers.

„Ivory, du solltest ins Krankenhaus kommen", sagt sie ruhig. Ich kann ihr angestrengtes atmen hören.

„Was ist los? Stimmt etwas nicht?", hektisch taste ich nach meinem Autoschlüssel, bis mir bewusst wird, dass ich zu Fuß gekommen bin.

„Beeil dich bitte... deinem Vater geht es nicht gut."

„Mama... Mama ich bin", bevor ich zu Ende sprechen kann, hat sie aufgelegt.

„Ich muss sofort ins Krankenhaus", stottere ich hysterisch und fahre mir durch die Haare. „Sofort!", entfährt es mir laut.

„Mein Wagen steht um die Ecke", wirft Noah ein und sieht mich abwartend an. Ohne lange zu überlegen, nicke ich und sehe zu Elly. „Ich melde mich", schreie ich über meine Schulter hinweg und renne los. Der Boden ist glatt und beinahe falle ich.

„Fahr!", schreie ich Noah an, der hektisch den Schlüssel dreht und aufs Gas drückt.

Papa kann jetzt nicht gehen. Nicht jetzt, nicht einfach so. Das kann er uns nicht antun, das darf nicht passieren.

Völlig durch den Wind zapple ich mit dem Bein, während Noah jede rote Ampel einfach so überfährt und trotz Überholverbot die anderen Autos überholt. Die Fahrt bis ins Krankenhaus kommt mir vor wie eine halbe Ewigkeit in der ich nichts tun kann, als aus dem Fenster zu sehen.

Wir haben noch lange nicht angehalten, da öffne ich schon die Autotür und mit der anderen Hand gleichzeitig meinen Gurt. Alles in meinem Körper steht auf Hochspannung. Die Sekunden, in denen auch Noah aus dem Auto kommt, fühlen sich an wie Stunden. Mit jeder Sekunde, die vergeht, stirbt etwas in mir. Ich habe keinen Blick für die anderen Patienten, Schwestern oder Angehörigen die sich vor der Information tummeln. Ohne zu fragen, dränge ich mich die Schlange entlang, ernte dabei Beschwerden und maulen.

„Hinten anstellen", die Frau am Empfang blickt mich gelangweilt an. „Ich muss zu meinem Vater. Keith Scales", meine Stimme zittert mit jedem Wort mehr. Meine Beine werden wackeliger umso länger sie braucht um zu antworten. Noahs Hände halten mich fest und obwohl ich sie wegschlagen sollte, lasse ich sie wo sie sind.

„Sie müssen sich hinten anstellen, Ms."

„Wenn sie mich nicht sofort zu meinem Vater bringen, brenn' ich die Hütte runter!", brülle ich unter Tränen, kurz davor den Verstand zu verlieren.

„Komm", Noah nimmt mich bei der Hand und hechtet den Gang nach unten. Ich höre nur noch etwas von Security, da sind wir auch schon verschwunden.

Die Gänge wirken viel zu lang, viel zu eng und viel zu verzwickt. Das einzige was ich wahrnehme, sind Noah und seine Anwesenheit.

Bitte bitte bitte

Mein Herz brennt, steht lichterloh in Flammen, kurz davor zu zerbersten.

Wir bleiben stehen, Noah redet mit einem Mann. Sie reden Ewigkeiten. Heiße Tränen brennen sich in meine Wangen.

Bitte bitte bitte

„Alles wird gut", Noah streicht beruhigend über meinen Handrücken. Nie, noch nie war ich so froh nicht alleine sein zu müssen. Er bedankt sich, ich weiß nicht für was, hoffe allerdings für das Leben meines Vaters.

Wieder laufen wir durch endlose Gänge. Mein Herz setzt immer wieder aus, während ich nach Luft schnappe.

„Hier", er bleibt vor einem Zimmer stehen. Der Flur ist leer. Keine Menschenseele befindet sich auf dem Gang.

„Das ist gut. Sie sind drinnen, das ist gut. Noah sag mir, das das gut ist", flehe ich jämmerlich, fahre mir durch die Haare, versuche stehen zu bleiben.

Noah sagt nicht, sieht mich nur an.

Bitte bitte bitte

„Wir sollten reingehen", er nimmt meine Hand, mein Herz hört auf zu schlagen, als sich die Tür öffnet.

Ich sehe in einen Raum mit weißen Wänden, weißen Betten, grünen Vorhängen und weißer Bettwäsche. Ich sehe die viel zu grellen Lampen, einen Arzt, eine Schwester und meine Schwester. Ich sehe den grün gefleckten Boden, den weißen Tisch am Ende des Zimmers und ich sehe meine schwangere Mutter. Ich sehe verschwommen, ich sehe Tränen und ich sehe die vollkommene Leere in den Augen meiner liebsten.

Ich sehe Papa, der mit geschlossenen Augen auf dem Bett liegt. Den Frieden in seinem Gesicht, die ausgeschalteten Geräte, welche an seinem Körper angebracht sind und ich sehe meine Mutter, die leicht den Kopf schüttelt.

„Es tut mir so leid", wimmert sie in ihr Taschentuch, kommt auf mich zu doch ich weiche zurück.

„Nein."

Ich sehe so viel, will nichts sehen, will das der stechende Schmerz in meiner Brust erstickt.

Und dann sehe ich nur noch schwarz.

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