Kapitel Achtundvierzig ~ Noch eins auf die Nase

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Obwohl ich es für besser empfunden hätte, dass Noah noch zu Hause bleibt ist er wieder zur Arbeit gegangen. Dabei sah er so absurd aus in seinem Anzug mit den Verletzungen im Gesicht. Wie das passiert ist, hat er mir noch immer nicht verraten. Jedes Mal lenkt er vom Thema ab und sorgt dafür, dass ich vergesse, worum es gerade eigentlich ging. Das macht mich nicht nur wütend, es frustriert mich bis in mein Innerstes.

Am Montag sind wir das erste Mal zusammen in einem Auto zur Arbeit gefahren und obwohl ich mich dabei unwohl gefühlt habe, konnte er mir das Gefühl von Normalität vermitteln. Wir sind nicht auf der Highschool oder im College. Wir sind erwachsen und er hat recht, wenn er sagt, dass wir auch so mit der Situation umgehen sollten. Anders als erwartet ist es fast keinem aufgefallen, ein paar der Arbeitskolleginnen aus dem dritten Stock haben mich mit abfälligen blicken gestraft.

Violett habe ich seit gefühlten Ewigkeiten das erste Mal wieder gesehen. Seit sie das Gerücht von mir und Noah in der Firma verbreitet hatte, ist sie mir nicht mehr über den Weg gelaufen. Ich hielt es für Zufall, doch mittlerweile werde ich ihr gegenüber misstrauisch. Sie war so nett, als wäre nichts passiert, dabei konnte ich, das flaue Gefühl in meinem Magen nicht ignorieren, dass ich die ganze Zeit über hatte.

Die ganze Woche war relativ ruhig. Jetzt wo Noah wieder da ist, habe ich eine Sorge weniger, doch das bedeutet auch, dass mir jetzt nur noch drei Wochen bleiben um das Geld an Johnny zurückzuzahlen. Einen Teil habe ich zusammen. Dank der guten Bezahlung und meiner restlichen Ersparnisse, doch es wird nicht für alles reichen.

Ich habe mich gerade mit einem Buch auf Noahs Sofa verkrümelt, als es an der Tür klingelt. Stöhnend lasse ich den Kopf in den Nacken fallen und will gerade die Decke von meinen Beinen schlagen, als Noah in das offene Wohnzimmer kommt. „Ich gehe schon", ich bin mir nicht sicher, ob er jemanden erwartet, deshalb bleibe ich einfach sitzen und nippe an meiner Teetasse.

Seit Monaten habe ich kein Buch mehr gelesen. Vor allem liegt das daran, dass mir dafür keine Zeit bleibt.

Versunken in mein Buch höre ich kaum, dass Noah die Tür geöffnet hat. Durch einen überraschten Schrei und die Worte „Verdammte scheiße" werde ich hellhörig. Verwundert darüber lege ich mein Buch zur Seite und laufe zur Tür, nur um Noah zu finden, der gebückt über dem Boden lehnt und sich die Nase hält. Der Mann, der in der Tür steht, sieht wütend zu Noah runter.

„Ist das dein scheiß Ernst?", brüllt er und holt wieder aus.

„Aiden", Noahs Stimme hört sich an wie ein Winseln.

Erschrocken starre ich zu Noahs kleinem Bruder. Das klein bezieht sich wohl nur auf sein Alter, denn er ist gut einen Kopf größer als Noah und so breit wie ein Schrank. Er trägt noch immer seine Uniform, scheint also noch nicht lange wieder zu Hause zu sein.

„Hey", ich drehe mich zu Noah, aus dessen Nase Blut fließt. Mit großen Augen sieht er zu seinem kleinen Bruder.

„Du hast meine Frau geschwängert, du elendes Schwein", Aiden schubst Noah nach hinten, der das Gleichgewicht verliert, sich aber trotzdem noch auf den Beinen halten kann.

„Lass mich dir das erklären, Aiden", versucht er ihn zu beruhigen doch das scheint nicht möglich zu sein. Aiden atmet heftig ein und aus, Wut spiegelt sich in seinen Augen wider.

„Hey", wiederhole ich, diesmal lauter und stelle mich zwischen die beiden, damit sie sich nicht gegenseitig umbringen. Allerdings scheint Noah nicht einmal wütend darüber zu sein, das ihm gerade die Nase gebrochen wurde.

„Willst du die hier auch noch Schwägern und sie vor die Straße setzen?", blafft Aiden. Sein kurzgeschorenes Haar lässt seinen Kopf groß wirken.

Mit gerunzelter Stirn sehe ich ihn an und dann Noah.

„Du hast doch keine Ahnung", wehrt sich Noah lautstark. Das scheint seinen Bruder nur noch rasender zu machen, denn er schubst mich einfach zur Seite und geht auf Noah los.

Ohne zu meckern, lässt er sich von Aiden anschreien. Wir wissen beide, dass er selbst dran schuld ist.

„Lass ihn los", fauche ich, als er Noah am Kragen packt und schiebe die beiden auseinander. Ich höre Noah mach Luft schnappen. „Halt dich da raus", fährt er mich an, die Augen wutentbrannt und die Hände zu Fäusten geballt. Doch ich weiß, dass er sich freiwillig von Noah wegziehen lässt, ansonsten hätte ich keine Chance ihn auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Ich dachte schon letztes Mal, das ich Noah in noch keinem so schlimmen Zustand gesehen habe; das hat sich gerade geändert.

„Wenn du jetzt nicht sofort aufhörst, rufe ich die Polizei!", ich komme mir vor, wie eine Mutter die ihre Söhne auseinander ziehen muss.

„Das Arschloch hat es doch verdient", jetzt klingt Aiden fast schon wie ein schmollendes Kind. Wäre da nur nicht sein aggressives auftreten.

„Wir sind uns alle der Tatsache bewusst, das Noah manchmal ein Arschloch ist, ja", stimme ich ihm zu. Vielleicht sollte ich gerade jetzt zu ihm halten, doch wenn diese Stimmung nicht bald ein bisschen runterfährt, habe ich bald keinen Freund mehr und Aiden keinen Bruder. Ich sehe Noah an das er etwas sagen will, doch er traut es sich nicht.

„Du hast doch keine Ahnung", winkt Aiden ab. „Oh glaub mir. Mehr als mir manchmal lieb ist", antworte ich mit einem Schulterzucken und sehe zu Noah. Auf Aidens Gesicht zeichnet sich fast schon sowas wie ein Lächeln ab.

„Ich glaube es einfach nicht", stöhnt Noah auf dem Beifahrersitz. Nach langem hin und her konnte ich ihn dazu überreden ins Krankenhaus zu fahren. Das ist schon das zweite Mal, dass er auf die Nase bekommen hat und es muss untersucht werden.

„Wie konntest du mir so in den Rücken fallen?", blafft er in meine Richtung. Ich kann mir ein Lachen nur schwer verkneifen. „Du hast recht, das nächste Mal lasse ich zu das dein Bruder dich in Stücke reißt."

Ich sehe ihm an, dass er nur beleidigt ist, weil ich es geschafft habe seinen Bruder zu beruhigen. Natürlich ist Aiden noch immer angepisst. Das kann ihm niemand verübeln und es ist klar, dass die beiden miteinander reden müssen, aber sich zu schlagen ist keine Lösung.

Noah brummt noch etwas Unverständliches, doch lässt es dann auf sich beruhen. In der Notaufnahme ist nicht all zu viel los und weil Noah Privatpatient ist, müssen wir auch gar nicht lange warten, bis er dran kommt. Ein bisschen böse macht mich die Tatsache, dass Privatpatienten bevorzugt werden, ja schon. Wäre ich es gewesen, die mit gebrochener Nase hier sitzt, müsste ich Stunden warten.

Eine der Schwestern bittet uns in einen der Behandlungsräume und versichert uns das der Doktor gleich, da sein würde.

Nachdenklich schaue ich mir das Skelett eines Menschen an. „Was hat dein Bruder damit gemeint, dass du Scarlett auf die Straße gesetzt hast?", fragend wende ich meinen Blick von dem Plastikskelett. Noah schnaubt auf. „Keine Ahnung was sie sich da ausgedacht hat."

Ich will etwas erwidern, da geht schon die Tür auf. Mein Blick fällt auf den Arzt und dann zu Noah.

Klasse.

Niklas begrüßt uns beide Formell, als würde er mich nicht kennen und untersucht die blutverschmierte Nase von Noah.

„Das ist nicht gebrochen", stellt er fest. Noah zischt auf, als er auf seiner Nase herumdrückt.

„Geprellt, mehr nicht. Ich verschreibe Ihnen Schmerzmittel und Antibiotika damit sich nichts entzünden kann." Niklas wirkt belustigt, als würde er sich darüber freuen, dass Noahs Nase blutig ist. Noah mustert ihn mit Argusaugen, lässt ihn keine Sekunde aus den Augen. Doch das scheint ihm nichts auszumachen, er macht einfach nur seinen Job.

Ich würde gerne Abstreiten, dass sein Verhalten mich verletzt, aber es tut weh das er auch, nachdem wir den Behandlungsraum verlassen haben nicht weiter mit mir redet. Er tut so, als wäre nie was gewesen. Dabei hatten wir uns eigentlich gut verstanden.

„Du hast dich also mit einem Arzt getroffen", stellt Noah fest. Er schaut mich nicht an, sondern sieht nach vorne.

Nicht das schon wieder.

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