Kapitel Siebenundvierzig ~ Noah ist zurück

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„Du bist ein verdammtes Arschloch. So ein verdammtes Arschloch, Noah!", wütend schlage ich ihm auf den Oberarm. Ohne zu meckern, nimmt er meinen kleinen Ausraster hin. Ich merke wie sich Tränen in meinen Augen bilden, doch zuordnen kann ich sie nicht.

Es gibt so vieles, das mich wütend macht und gleichzeitig bin ich froh, dass er da ist, dass es ihm gut geht. Sofern man seinen Zustand gut nennen kann.

„Du glaubst nicht, was ich mir für Sorgen gemacht habe. Ich habe gelitten du verdammter Mistkerl!", meine Stimme wird immer lauter während mir die Tränen über die Wangen laufen. Gerade als ich wieder ausholen will, hält er meinen Arm fest und zieht mich an sich ran.

Das Gefühl ihn nahe zuhaben tut unbeschreiblich gut. Alle Sorgen lösen sich von mir, brechen aus mir heraus.

Sanft drückt er seine Lippen auf meine und ich lasse es zu. Weil ich es vermisst habe, weil ich ihn vermisst habe. Ich schmecke meine eigenen Tränen und das Blut an seinen Lippen, doch das ist mir egal. Es ist mir egal, weil er es ist und niemand anderes. „Tu das nie wieder", bitte ich ihn, als er seine Lippen von meinen nimmt.

„Okay", murmelt er leise an meinem Ohr. Nickend löse ich mich aus seinem Arm und streiche seine Kapuze aus seinem Gesicht. Im Licht sieht alles noch viel schlimmer aus.

„Komm", er zieht mich an meinem Arm in die andere Richtung. Sein Auto steht nicht unweit des Restaurants. Verdutzt sehe ich zu ihm hoch, doch er schüttelt nur den Kopf. Ich bin zu aufgewühlt, als das ich jetzt eine Diskussion anfangen könnte, deshalb belasse ich es dabei.

„Gib mir den Schlüssel", fordere ich. Noah zieht die Augenbraue hoch, was offensichtlich eine schlechte Idee war, denn er zischt leise auf. „Du kannst so nicht fahren", erkläre ich, mit aufgehaltener Hand. Wortlos lässt er den Schlüssel in meine Hand fallen und steigt auf der Beifahrerseite ein. Mir ist natürlich bewusst, dass das hier für hundertprozentiges Vertrauen spricht. Immerhin könnte ich seinen teuren Audi zu Schrott fahren. Verdient hätte er es allemal.

„Er ist ein Freund", ich tupfe mit einem nassen Tuch das Blut von Noahs Stirn. Seine Augen liegen auf mir, beobachten mich bei jeder Bewegung.

„Ein Freund", wiederholt er nachdenklich. Seufzend lege ich das Tuch beiseite und sehe ihm in die Augen. „Er ist für mich nicht das, was du bist", erkläre ich. All meine Wut scheint wie weggeflogen, wenn ich ihn ansehe. Stattdessen bin ich einfach nur froh, dass er hier ist und das er mich nicht hasst.

Mit dem Ersthilfekoffer auf meinem Schoß, versuche ich so gut es geht seine Wunden zu versorgen. Nicht nur seine Lippe ist aufgeplatzt, sein rechtes Auge ziert ein Veilchen, unter seiner Nase klebt noch immer getrocknetes Blut und die Wunde an seiner Augenbraue sieht auch nicht besser aus. Es scheint als wäre er in eine Schulhofschlägerei verwickelt gewesen.

„Und was bin ich für dich?", seine Augen mustern mich forschend.

„Noah bitte", ich kann nicht anders, als wegzusehen. Ich will so ein Gespräch jetzt nicht führen. Etwas in seinen Augen blitzt auf, kaum merklich verzieht er die Lippen.

„Ich hatte gehofft, das du nein sagst", wirft er ein, den Blick weiterhin auf mir. Verwundert schaue ich zu ihm hoch, während ich gleichzeitig die Folie vom Pflaster ziehe.

„Als dieser Idiot dich mit zu sich nehmen wollte", erklärt er dann. „Du hast uns beobachtet", stelle ich trocken fest. Es überrascht mich nicht, denn ich war mir sicher ihn gesehen zu haben.

Noah nickt, scheint sich nicht einmal dafür zu schämen. Er tut so, als wäre es ganz normal.

„Nicht nur einmal."

„Warum tust du das?", frage ich. Noah legt den Kopf schief und grinst. „Weil ich nicht ohne dich konnte." Normalerweise wäre das die Stelle, an der jedes Mädchen dahin schmelzt und ihrem gegenüber alles verzeiht. Normal trifft auf uns jedoch nicht zu.

„Das war falsch. Ich habe mir Sorgen gemacht, habe dich mehrmals angerufen und du hast nichts anderes getan, als mich zu beobachten."

„Ich wollte die Zeit geben und mir selbst", Noah wirkt verwirrt und das ist er auch sicherlich. Seufzend desinfiziere ich die letzte Wunde.

„Magst du mir jetzt erzählen, wie das alles passiert ist?", frage ich und deute auf sein Gesicht.

„Eigentlich ...", Noah nimmt den Verbandskasten von meinen Beinen und sieht an mir herunter. „...Gibt es tausend Dinge, die ich jetzt viel lieber tun würde", mit einem schelmischen Grinsen zieht er mich auf seinen Schoß. Ich protestiere nicht, kann nur ebenfalls grinsen. Seine Hand wandert meine Taille herunter zu meinen Beinen. Ich habe diese Nähe unglaublich vermisst. Voller Sehnsucht drücke ich meine Lippen auf seine und küsse ihn mit all der Leidenschaft, die ich habe.

Das hier ist perfekt. Wir sind perfekt. Füreinander.

Das erste, was ich sehe, als ich meine Augen öffne, ist Noah. Seine Lippen sind leicht geöffnet, sein Brustkorb senkt sich sachte. Einzelne Lichtstrahlen stehlen sich durch die halb geschlossenen Jalousien, tanzen auf dem großen Bett. Mein Blick wandert zu seinem Arm, der auf meinem Bauch liegt, als wolle er mich festhalten, aufpassen das mir nichts passiert. Ich kann das Lächeln, das sich auf meine Lippen schleicht, nicht unterdrücken. Neben Noah zu liegen, seine Körperwärme zu spüren; es scheint, als wäre das alles, was ich zum glücklich sein brauche.

Die Vibration meines Handys lässt mich Aufsehen. Ich drehe mich um, darauf bedacht Noah nicht zu wecken und greife danach.

Mein Verhalten gestern Abend tut mir leid.

Es ist Niklas. Ich weiß nicht was mit ihm gestern los war, doch plötzlich war er herrisch, wäre Noah nicht da gewesen, hätte ich vielleicht Angst gehabt.

„Guten Morgen", raunt er leise und dreht sich zu mir um. Sachte legt er seine Lippen auf meinen Hals und zieht mich an sich ran. Lächelnd lasse ich das Handy zurück auf den Nachttisch fallen und schmiege mich noch näher an ihn.

„Das geht nicht", seufzend trinke ich mein Glas mit Orangensaft aus und schlüpfe in meine Schuhe. „Mama braucht mich."

„Deine Mutter ist erwachsen, Iv. Es geht doch nur um ein paar Nächte." Noah kommt an den großen Spiegel gelaufen und stellt sich hinter mich. Ich betrachte das Bild von uns beiden. Die Wunden auf seinem Gesicht und an seinen Fingerknöcheln verzerren das Bild, das sich mir gibt.

„Ich ... Na gut. Aber ich muss mich umziehen und ein paar Sachen holen." Ein siegreiches Lächeln schleicht sich auf sein Gesicht. Den ganzen Morgen lag er mir damit in den Ohren, dass ich die nächsten Nächte hier verbringen soll und ich denke, er hat mich tatsächlich weich geklopft.

Innerlich bete ich, dass wir Josy und Jerry nicht über den Weg laufen. Ich würde ihm zutrauen, dass er sich vor Noah genauso benimmt, wie sonst auch. Und ich bin mir sicher, Noah würde komplett ausrasten.

„Weißt du, was ich noch immer nicht verstehe?", frage ich und drehe meinen Kopf in seine Richtung. Dass ich seinen Wagen fahren durfte, war offensichtlich eine Ausnahme, denn jetzt sitzt er wieder auf dem Fahrersitz. Noah nickt mir zu.

„Warum musstest du mich von der Arbeit befreien? Ich hätte dir den Kopf abreißen können."

Ich schaue ihn noch immer an und kann sehen wie seine Mundwinkel belustigt zucken.

„Du hättest kaum Arbeit gehabt", erklärt er, den Blick bewusst auf der Straße. „Und vielleicht war es auch nur trotz", er zuckt mit den Schultern, als wäre es nicht weiter schlimm. Von unserem jetzigen Standpunkt aus ist es das auch nicht, doch vor zwei Wochen noch hätte ich Angst bald Arbeitslos zu sein.

Kopfschüttelnd sehe ich aus dem Fenster. „Manchmal verhältst du dich nicht nur wie ein Arschloch, sondern auch wie ein trotziges Kind."

„Da nehmen wir uns nicht viel", antwortet er lässig. Ich schnappe nach Luft, bereit wieder zu meckern doch mir fällt ein, wie oft ich mich ihm gegenüber schon kindisch verhalten habe. Er treibt mich noch in den Wahnsinn.

Keine fünf Minuten später stehen wir vor der Wohnung meiner Eltern. Obwohl ich ihn gebeten habe im Auto zu warten, ist er mir einfach nachgegangen. Ich möchte mir nicht einmal annähernd ausmalen, was Mama von ihm denken wird, wenn Sie ihn so sieht.

Gott sei Dank ist sie jedoch nicht zu Hause. Niemand scheint da zu sein, denn auch als ich mehrmals rufe, meldet sich niemand. Erleichtert atme ich aus und gehe in mein Zimmer um mich umzuziehen und ein paar Sachen zu packen.

Diesmal hatte ich wohl Glück.

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