Kapitel Dreiundfünfzig ~ Noahs Unterlagen

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Natürlich war Noah heute nicht im Büro. Immer wenn es zwischen uns komisch ist, scheint er von zu Hause aus zu arbeiten. Deshalb reicht meine Arbeit heute auch nur bis zur Mittagspause und ich kann bereits früher gehen. Seit gestern schweigen wir beide uns nur noch an. Gelangweilt fahre ich den Computer runter, als es plötzlich an der Tür klopft. Verwundert werfe ich einen Blick auf den Kalender; für heute gibt es keine Termine.

„Herein", rufe ich und räume meine Arbeitssachen in meine Tasche. Als ich den Kopf hebe, sehe ich in grüne Augen. Noahs Vater steht in der Tür, mit den Händen in den Hosentaschen schaut er mich an. Wieder mal wird mir bewusst, dass die beiden sich so sehr ähneln, dass Mike nur eine ältere Version von seinem Sohn ist.

„Guten Tag, Ivory", er betritt den kleinen Vorraum, der mein Büro sein soll und sieht auf den Stuhl gegenüber meines Schreibtischs. Ich deute ihm, das er sich setzen kann, was er dann auch tut.

„Kann ich Ihnen helfen?", frage ich. Mike nickt langsam. „Ich weiß sie haben kaum etwas mit meinem Sohn zu tun", beginnt er und ich muss schlucken. Wie bitte? „Aber in letzter Zeit ist er sehr abweisend und ich weiß, dass sie beide sich früher schon sehr gut verstanden haben ...", ich sehe ihm, an das er sich sichtlich unwohl fühlt. Mike rückt seine Krawatte zurück.

„Ich komme damit nur wirklich ungern zu dir, aber in unserer Familie gibt es einige Spannungen.." Dein Sohn hat ein Kind mit der Frau deines anderen Sohns, das kann man durchaus als Spannung bezeichnen, denke ich, behalte es aber für mich.

„Entschuldigung Mr. McKenzie aber ich verstehe nicht, worauf sie hinauswollen." Noah hat ihm also nichts von uns erzählt. Er sagt, dass er mich liebt, doch seiner Familie von uns zu erzählen, scheint er vergessen zu haben.

„Natürlich kann ich verstehen, wenn sie nein sagen, aber ich glaube, dass sie ihm aus seinem Loch helfen könnten. Er macht momentan keine einfache Zeit durch", Ich hatte immer großen Respekt vor Noahs Vater, aber ihn jetzt hier so sitzen zu sehen, ist komisch für mich. Er wirkt hilflos.

„Und wie soll ich das tun?", frage ich, den Blick auf dem schwarzen Bildschirm meines Computers. „Ich brauche Unterlagen und die gibt es nur in seinem Apartment", fährt er fort. Verwundert schaue ich ihm in die Augen. „Du kennst Noah, er lässt sich von niemandem helfen, aber da kommt er nicht alleine raus. Ich kann dir nicht sagen worum es geht, Ivory aber wir brauchen deine Hilfe", bittet Mr. McKenzie verzweifelt und reibt sich über seinen Bart. Ich kann ein paar graue stellen entdecken.

„Ich weiß nicht, ob ich das kann", antworte ich wahrheitsgemäß. Zwischen uns läuft es nicht gut und wenn er mich dabei erwischt, dann reißt er mir wahrscheinlich den Kopf ab.

Mike nickt. „Dass kann ich natürlich verstehen", er deutet anzugehen und ich sehe ihm nach.

Egal um was es geht, ich kann einfach keine Hilfe dabei sein. Zumindest nicht so lange wir uns weiterhin anschweigen. Doch seinen Vater so geknickt zu sehen, kann ich auch nicht ertragen.

„Warten Sie", ich atme tief durch. Bist du bescheuert? Brüllt meine innere Stimme empört.

„Um was für Unterlagen geht es?"

Am Nachmittag sitze ich an Papas Bett und erzähle ihm von meinem Tag. Natürlich nicht von dem Gespräch mit Noahs Vater, aber von allem anderen. Ich habe ihm essen von zu Hause mitgebracht, was ihn sofort hat strahlen lassen. Die Schwester hat mir schon erzählt, dass er das Essen im Krankenhaus so gut wie nie anrührt. Einzig das Brot zum Frühstück isst er.

Er ist noch dünner geworden, seit dem er nur noch im Bett liegen kann. Das Atmen fällt ihm schwer und deshalb redet er auch kaum. Stattdessen sieht er aus dem Fenster und die Traurigkeit, die ich in seinen Augen sehen kann, zerreißt mir das Herz.

„Dem Baby geht es wunderbar", erzähle ich ihm. Erst bei diesem Thema wendet er den Blick vom Fenster und sieht zu mir. „Mama hat mir das hier mitgegeben", ich greife in meine Tasche und ziehe das Ultraschallbild raus, das ich ihm geben soll. Er greift sofort danach und sieht es lächelnd an.

„Du wirst eine gute große Schwester sein, Ivory", versichert er mir nickend. Ich lächle. „Und du ein wunderbarer Papa." Sofort verändert sich seine Miene, denn ich weiß, was er denkt. Kopfschüttelnd lasse ich die Tasche wieder auf den Boden fallen. „Wage es nicht, auch nur eine Sekunde so zu denken."

Ich weiß, dass er daran denkt, und zwar täglich. Er ist fast immer alleine, das lässt viel Freiraum für schlechte Gedanken.

„Sehen wir den Tatsachen ins Auge", seine Stimme ist leise, fast ein Flüstern. Ich weiß, dass er den Tränen nahe ist.

„Du wirst gesund", ich greife nach seiner Hand und drücke sie leicht. In diesem Moment geht die Tür auf und Dr. Phillis kommt zusammen mit ein paar Assistenten reingelaufen.

„Mr. Scales", er wirft einen Blick auf meinen Vater und lässt sich die Akte von einem Mädchen in weißer Kleidung geben. Prüfend liest er sich durch, was drin steht.

„Ihre Blutwerte sind nicht optimal, aber schon besser als letzte Woche. Wie geht es Ihnen?"

„Gut", lügt Papa. Ich brauche ihn nur anzusehen, um zu wissen, dass es anders ist.

„Alles klar, wenn Sie irgendetwas brauchen, dann klingeln sie", Niklas nickt in Richtung der Klingel und verschwindet wieder. Er hat mich nicht eine Sekunde lang angesehen.

Ich bleibe noch eine Weile bei Papa sitzen, versuche ihn abzulenken, wenn auch vergebens und muss dann leider schon gehen. Auf dem Weg zum Parkplatz vibriert plötzlich mein Handy. Eine Nachricht von Noah blinkt auf.

Verwirrt muss ich feststellen, dass er mir lediglich einen Standort geschickt hat und packe mein Handy wieder in die Hosentasche. Wenn es wichtig ist, dann soll er mich anrufen, wenn er mich schon anschweigt.

Doch kaum das ich beim Auto angelangt bin, vibriert es wieder. Ich verdrehe genervt die Augen. Ich habe keine Lust mehr auf diese Spielchen. Jedes Mal aufs Neue muss ich zu ihm angelaufen kommen, aber diesmal wird es ganz sicher nicht so sein.

Ich fahre auf den Highway, drehe die Musik in meinem Radio auf und konzentriere mich auf den Weg. Zumindest versuche ich das, denn erneut vibriert mein Handy.

Da ich nicht während dem Fahren meine Nachrichten lesen kann, fahre ich so lange, bis eine Tankstelle in Sicht ist und bleibe schließlich stehen.

Er nervt mich und die Tatsache, dass er mich nicht in Ruhe lässt, nervt mich beinahe genauso sehr.

Als ich das Handy aus meiner Hosentasche ziehe, öffne ich die Nachrichten.

Ich brauche Hilfe.

Komm her. Bitte.






Wahrscheinlich wird das dass letzte Kapitel bis Dienstag sein, da ich morgen bzw Samstag für ein paar Tage wegfahre. Ich hoffe es hat euch gefallen. xx

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