Kapitel Dreiundzwanzig ~ Kürbis und Zombie-Elvis

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Es ist, als würde mein Gehirn alles streichen, von dem es nicht wissen will, dass es wirklich passiert ist. Deshalb kann ich mich auch kaum noch daran erinnern, wie wir in diesem Schlamassel gelandet sind. Irgendwo zwischen unserem Streit und der aufgeladenen Stimmung hat Noah mich geküsst. Und jetzt sitze ich in meinem Auto, der Parkplatz ist gruselig verlassen, und ich weiß eigentlich gar nicht, ob ich gekündigt habe oder nicht. Oder ob das zwischen uns ein Ausrutscher war und nur einmalig oder ob er mehr darin sieht als ich es tue. Ich weiß nicht mal was ich darin sehe.

Es sind bestimmt dreißig Minuten vergangen. Nachdem Noah von mir gelassen hat, bin ich aus dem Büro gestürmt, als wäre eine Horde wütender Gänse hinter mir her. Wegen seinem Verhalten stehen jetzt noch tausend Fragen offen und die wichtigste von allen: Habe ich mich vorhin selbst gefeuert oder hat Noah mich gekündigt?

Nachdenklich kaue ich auf der Lippe, die eine Hand auf meinem Lenkrad, die andere auf meinem Kinn. Kleine Tropfen Regen landen auf meiner Windschutzscheibe. Mein Blick bleibt auf dem Parkplatz hängen, auf dem normalerweise Vio parkt. Wir haben uns bis jetzt noch nicht einmal gesehen, weil sie später kommt als ich und früher geht.

Weil ich weiß, dass ich früher oder später mit jemandem darüber reden muss, schreibe ich Mia eine Nachricht noch, bevor ich losfahre. Kurz nachdem ich auf dem Highway aufgefahren bin, leuchtet ein Bild von uns an Halloween auf. Sie als Kürbis und ich als Zombie Elvis.

„Hey", murmle ich in den Lautsprecher, das Handy auf meiner Ablage liegend. „Was ist los?", schießt es direkt aus meinem Handy. Wieder wird mir bewusst, dass Mia und ich uns so gut kennen, dass es unmöglich ist der anderen etwas vorzumachen.

Ohne groß um den heißen Brei herumzureden, erzähle ich Ihr jedes Detail meines Tages und vor allem die waghalsige Aktion kurz vor meinem Feierabend. Desto mehr ich darüber nachdenke, umso bewusster wird mir, dass ich eine gewisse Mitschuld habe. Ich habe Noah aufs Blut provoziert, weil er mich wie das behandelt hatte, was ich eigentlich auch bin. Eine Angestellte, seine Sekretärin. Als er mich geküsst hat, hätte ich ihn zurückweisen können und ich hätte es tun sollen. Genau das ist es, was wir momentan nicht gebrauchen können. Es war herrlich entspannt zwischen uns, zumindest vor seiner seltsamsten Phase, und wir haben es gemeinsam verbockt.

„Wow", Mia fehlen die Worte. Ich kann es ihr nur schlecht verübeln. Mir ist ja selbst nicht ganz klar, was ich dazu sagen sollte. „Genau deswegen habe ich nichts mit Männern", feixt sie lachend. Ich muss grinsen, kann mir aber nicht vorstellen, dass Beziehungen zwischen zwei Frauen komplett komplikationslos sind.

„Spaß bei Seite", sie räuspert sich, als wäre das hier eine super ernste Angelegenheit. „Ihr braucht mehr als nur ein klärendes Gespräch, Ivy. Zwischen euch stand vorher so viel, dass wenn jetzt noch mehr dazu kommt, ihr niemals auf einen grünen Zweig kommen werdet. Nicht als Freunde und auch nicht als Paar, falls es mal so weit kommen sollte."

„Wir werden kein Paar", bestreite ich schnell. Vielleicht etwas zu schnell, denn Mia bringt am anderen Ende der Leitung nur ein ungläubiges Schnauben heraus. „Ich weiß nicht, ob wir reden können Mia. Oder ob er das überhaupt will."

„Dann musst du ihn zwingen", Mia sagt das so ernst, das ich weiß, dass sie keinen Spaß macht. Aber wie soll ich jemanden zwingen mit mir zu reden, wenn er das nicht von alleine will? Genau diese Frage stelle ich meiner besten Freundin, die daraufhin erst mal nichts zu antworten weiß.

„Wenn ihm nur ein bisschen was an Dir liegt, dann wird er mit Dir reden."

Nickend sehe ich zur Seite, um nachzuschauen, ob frei ist und ich die Ausfahrt nehmen kann.

„Vielleicht", mehr weiß ich nicht zu antworten, denn sie hat recht. Allerdings habe ich Angst das herauszufinden, ich will nicht enttäuscht werden.

Müde schließe ich die Haustür auf, hänge meine Sachen an die Garderobe und will in mein Zimmer, als ich Mama und Papa reden höre.

Mit gespitzten Ohren bleibe ich vor ihrem Schlafzimmer stehen. Vielleicht sollte ich das auch gar nicht anhören.

„Und wann wollen wir es ihnen sagen?", Papa klingt ruhig, ich kann eine gewisse Nervosität aus seinem Ton heraushören. Ich höre Mama, die seufzt und sich dann auf den knarrenden Schreibtischstuhl setzt. „Ich weiß es nicht", murmelt sie. „Ich kann es ja selbst kaum glauben."

„Vier Monate, liebes." Papa klingt bedacht, scheint sie an etwas erinnern wollen. „Bald können wir es sowieso nicht mehr verheimlichen."

Stirnrunzelnd lehne ich mich an die Wand neben der Tür. Die Uhr in der Küche tickt gefühlt tausendmal lauter als sonst, sodass ich mich anstrengen muss, um auch wirklich zu verstehen, was sie sagen.

„Du hast recht", lenkt sie ergeben ein. „Lass uns diese Woche noch warten."

Danach kann ich nichts mehr hören, weshalb ich beschließe ihnen klar zu machen, dass sie nicht mehr alleine sind und mich laut räuspere. Sofort kommt Mama aus ihrem Zimmer. „Du machst viele Überstunden", stellt sie skeptisch fest. Ihre Augen mustern mein Gesicht, als hätte sie Angst ich hätte ihr Gespräch hören können.

Schulterzuckend verschränke ich die Arme vor der Brust. „Es gibt viel zu tun." Dass das nicht mal gelogen ist, macht es mir einfacher kein schlechtes Gewissen zu haben, weil ich sie belauscht habe. Auch Mama scheint mir das abzukaufen, denn sie dreht sich um, geht Richtung Küche und teilt mir im Gang noch mit, dass wir bald essen können. Was mich daran erinnert, dass ich vergessen habe einzukaufen.

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