Kapitel Einundvierzig ~ Burger essen

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„Noah, wenn du das hörst, ruf mich bitte zurück", seufzend drücke ich den roten Hörer und lasse mich in meinem Sitz zurückfallen. Es scheint, als wäre er komplett verschwunden. Auf der Arbeit ist er nicht, zu Hause macht niemand die Tür auf und auch sein Vater weiß nicht, wo er sein könnte.

Wie hätte ich ahnen können, dass er so reagieren würde? Ich wollte ihn nicht verletzen, aber diese Worte sollte man mit bedacht wählen und ihn anzulügen hätte auch niemanden glücklich gemacht.

Es ist nicht fair, dass er jetzt so reagiert und mich im Regen stehen lässt.

Resigniert starte ich den Motor meines Autos und fahre vom Parkplatz. Bis ich mit Mama zum Frauenarzt muss, dauert es noch und weil ich nichts anderes zu tun habe, entschließe ich mich dazu, Papa zu besuchen. Seit dem letzten Mal als wir uns gesehen haben ist nicht viel Zeit vergangen, doch ich kann mir nur vorstellen, wie einsam er sich in dem kleinen Zimmer des Krankenhauses fühlen muss.

Es ist immer noch relativ früh am Morgen, das Krankenhaus ist nicht wirklich besucht, die Parkplätze noch frei als ich auffahre.

„Ivory", Dr. Phillis entdeckt mich von der Raucherhütte aus, noch bevor ich ihn überhaupt registriert habe. Ich schultere meine Handtasche und schließe das Auto ab und gehe auf ihn zu. Er scheint endlich mal Schlaf bekommen zu haben, denn die Augenringe unter seinen Augen sind nicht mehr so stark sichtbar wie die Tage zuvor.

„Guten Morgen, Dr. Phillis", ich lehne mich an eine der durchsichtigen Wände. „Wie macht sich mein Vater?"

Er wirft seinen Kaffeebecher in den Mülleimer und dreht sich wieder zu mir. Ein undurchlässiger Blick liegt auf seinem Gesicht. Seufzend reibt er sich die Schläfe. „Ich würde dir gerne sagen, dass er sich gut macht, aber zurzeit baut er mehr und mehr ab."

Obwohl ich gehofft hatte, dass es ihm besser gehen würde, war mir schon vorher bewusst das dieses Wunder nicht passieren würde. „Verstehe", nickend sehe ich an Dr. Phillis vorbei. Das Krankenhaus ist auf einem Berg etwas außerhalb der Stadt gelegen und bietet einen wunderschönen Ausblick von oben.

„Hey", er legt seine Hand auf meine Schulter und sieht mich an. „Wir geben unser bestes, vergiss das nicht."

„Da bin ich mir sicher, Doktor. Ich werde dann mal zu meinem Vater gehen", ich ringe mir ein Lächeln von den Lippen und wende mich zum Gehen.

„Ivory", höre ich Dr. Phillis wieder meinen Namen rufen. Fragend drehe ich mich in seine Richtung. „Nenn mich doch einfach Niklas", ein Lächeln umspielt seine Lippen. Ich erwidere es. „Okay."

Ich mag Krankenhäuser nicht. Sie riechen nach Desinfektionsmittel und die weißen Wände wirken kalt und ausladend. Niemand ist wirklich freiwillig im Krankenhaus und das hat seine Gründe.

Papas Zimmer liegt weiter entfernt vom Eingang und würde ich nicht schon wissen, wo es ist, würde ich mich sicherlich verlaufen.

Leise klopfe ich gegen die große Tür und öffne diese. Eine Frau sitzt bei Papas Zimmernachbar und hilft ihm, zu essen. Sie bedenkt mich mit einem flüchtigen Nicken in meine Richtung, bevor sie sich wieder ihrem Mann widmet.

„Hallo Papa", ich begrüße den Mann auf dem Bett weiter hinten. Schön ist es hier zwar nicht, aber er hat zumindest einen Ausblick auf den Park.

Papa legt sein Buch zur Seite und erst jetzt kann ich sein Gesicht wirklich erkennen. Seine Augen wirken zu groß für das zierliche, eingefallene Gesicht. Es sieht aus, als hätte er in den letzten zwei Tagen mehrere Kilos abgenommen. Ich versuche mir nicht anmerken zu lassen wie erschrocken ich über seinen Zustand bin, doch Papas entschuldigendes Lächeln sagt mir, dass das nicht geklappt hat.

„Hallo Schätzchen", er setzt sich in seinem Bett auf und beugt sich vor um mich zu umarmen. Mein Blick fällt auf den noch vollen Teller mit Essen. Ich setze mich auf den Stuhl neben sein Bett und betrachte ihn einen Moment lang still.

„Warum isst du nichts?", frage ich. Papa sieht ebenfalls zu dem Teller und dann wieder zu mir. Er zuckt mit den Schultern. „Das Essen ist widerlich", stellt er trocken fest und nimmt sein Wasserglas in die Hand. Schmunzelnd sehe ich ihm dabei zu, wie er etwas trinkt.

„Dann zieh' dich an, wir gehen etwas essen." Papas Augen leuchten für einen kurzen Augenblick auf und ein Grinsen schleicht sich auf seine Lippen.

Kurze Zeit später fahren wir durch den Drive-in eines Schnellrestaurants und bestellen uns Essen, dessen Menge eigentlich für drei reichen könnte. Nach dem Bezahlen Parke ich etwas abseits der Straße. Wir haben einen Blick auf das grüne Nichts, dass den Großteil der Stadt umgibt. Als Kinder waren wir schon hier um am Morgen Rehe zu beobachten. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass wir jetzt welche sehen werden, doch alleine die Erinnerungen sind es wert.

„Besser als Krankenhausessen, was?", frage ich Papa, der gerade in seinen Burger beißt und dabei heftig nickt. Lachend trinke ich von meiner Cola.

Ich wünschte, die Umstände unseres kleinen Ausflugs wären andere gewesen. Vielleicht könnte ich das ganze dann etwas mehr genießen.

„Wer weiß, vielleicht bringe ich dir jetzt jeden Tag etwas zu essen. So kann ich wenigstens sicher gehen, dass du tatsächlich etwas isst", scherze ich. Dabei könnte ich das Tatsächlich tun, denn dank Noahs Befreiung habe ich genug Freizeit.

Nachdem Papa und ich fertig gegessen haben fahre ich ihn wieder zum Krankenhaus. Ich kann sehen, dass es ihm schwer fällt jetzt einfach wieder in sein Zimmer zu gehen, doch der Frauenarzt Termin mit Mama steht noch an. Davon habe ich ihm absichtlich nichts erzählt, denn es würde seine Stimmung nur noch mehr trüben.

Auf dem Weg nach draußen laufe ich wieder Dr. Phillis über den Weg. „Dein Vater hat dir nichts davon erzählt, dass er das Gelände nicht mehr verlassen darf, oder?" Ein Grinsen breitet sich auf seinem Gesicht aus. Verwirrt schüttle ich den Kopf. „In seinem Zustand sollte er immer in der Nähe von ärztlicher Behandlung sein", gibt er mir dann zu verstehen.

„Ich wusste davon tatsächlich nichts", murmle ich. Obwohl ich sehe, dass Niklas das ganze offenbar mit Humor nimmt, kann ich nicht darüber lachen. Papa sollte mir so etwas sagen und sich selbst nicht in Gefahr bringen.

„Jetzt weißt du es ja", er steckt seine Hände in seinen Kittel und sieht mich forschend an.

„Es ist seltsam, dass ich dich hier so viel öfter sehe als den Rest deiner Familie." Überrascht über seine Aussage ziehe ich eine Augenbraue nach oben. „Sie haben gerade selbst viel um die Ohren", antworte ich distanziert. So nett wie er auch ist, denke ich nicht, dass es ihn etwas angeht. Niklas versteht sofort und nickt.

„Er kann sich trotzdem glücklich schätzen. Viele hier bekommen kaum bis gar keinen Besuch", stellt Niklas nachdenklich fest. „Es ist das mindeste, was ich tun kann", entfährt es mir gereizt.

„Verstehe."

Ohne mich noch weiter mit ihm zu unterhalten, wende ich mich zum Gehen.

Das Niklas schon immer mit mir gesprochen hatte, als würden wir uns gut kennen hat mir bis jetzt nichts ausgemacht, doch es gibt Dinge, die ihn nicht zu interessieren haben.

Doch letztendlich weiß ich nicht auf wen ich eigentlich sauer bin.

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