Kapitel Neun ~ Er ist es, er ist es nicht

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„Post für dich." Mama drückt mir einen kleinen Briefumschlag in die Hand und sieht mich skeptisch an. Verwirrt sehe ich auf den Brief und dann wieder zu ihr. Sie zuckt unwissend die Schultern, doch ich sehe ihr an, dass selbst sie neugierig ist.

Als ich den Absender betrachte, wird mir sofort klar, von wem es ist und was es ist.

Fest entschlossen lege ich den Umschlag, ohne ihn zu öffnen, auf den Tisch.

„Den kannst du so entsorgen", ist das Einzige, was ich sage. Jetzt wirkt Mama noch verwirrter, als sie vorher schon war und sieht sich den Brief genauer an. Letztendlich fragt sie mich gar nicht erst, sondern öffnet ihn einfach. Augen verdrehend lehne ich an der Küchenzeile und beiße in meine Karotte.

Sie zieht eine kleine, goldene Karte aus dem Umschlag. In schwarzer, schlichter Schrift stehen dort Baileys und Janes Namen.

Eigentlich hätte ich erwartet, dass Mama noch überraschter ist, als davor, doch sie nickt nur und legt sie wieder zur Seite.

„Daraus schließe ich, dass du nicht mit uns dort hingehen wirst?"

„Das kannst du sowas von vergessen", murre ich, den Mund immer noch voll mit meiner Karotte, bis mir plötzlich etwas auffällt.

„Was heißt bitte „mit uns"?"

Sie zuckt mit den Schultern und streift sich eine Haarsträhne hinter die Ohren. Wenn sie ihre Haare offen trägt, ist sie das Ebenbild von Josy, nur eben etwas älter. Mit mir hingegen hat sie kaum Ähnlichkeit.

„Wir wurden vor Wochen eingeladen", sagt sie möglichst beiläufig, während sie mit einem Tuch über den Tisch wischt. Eins muss ich ihr lassen, seit dem ich wieder zu Hause bin, hat sie es wenigstens ein bisschen geschafft sich aufzuraffen. Die Wohnung besitzt konstant Ordnung, auch wenn sie nicht so sauber ist wie ich es mir wünschen würde, es ist ein Anfang.

Ich nicke verstehend und ziehe eine Augenbraue nach oben. Klasse, meine Familie hat er um den Finger gewickelt und das, obwohl sie wissen, dass ich damals keine leichte Zeit hatte.

„Und du solltest mitkommen. Sieh es als Abschluss."

Ich kann mir ein verächtliches Schnauben nicht verkneifen. Für jeden scheint es einen Abschluss zu geben bei der ganzen Sache, nur für mich nicht.

„Ich schließe damit erst ab, wenn Jane davon weiß. Und wenn er es nicht tut, werde ich es tun." Ich bin mir nicht sicher, ob nur der Zorn aus mir spricht, geschweige denn, ob ich überhaupt dazu fähig wäre, doch Tatsache ist, dass ich es an ihrer Stelle wissen wollen würde. Aber wie in allem, was Bailey angeht, würde ich die schlechten Karten ziehen. Damals hatten alle die Hoffnung, wir würden ein Paar werden und wenn sie diese Hoffnung nicht hatten, dann waren sie sich schon längst sicher, wir wären eins.

In Wahrheit waren wir immer nur Freunde und genau das ist der Haken. Wir waren nur Freunde.

„Das ist aber nicht deine Aufgabe, Ivory." Mama wirkt erbost darüber, dass ich quasi damit gedroht habe die Hochzeit zu sprengen, bevor sie überhaupt beginnen kann. Aber wenn Jane auch jetzt noch so unterbelichtet ist wie schon in Schultagen, wird sie das auch nicht aufhalten.

„Und wessen ist es dann?", frage ich gelassen.

„Bailey bekommt seinen Mund nicht auf und da es eine Sache zwischen uns war, bleibe nur ich übrig", füge ich hinzu und verschlinge das letzte Stück meiner Karotte.

Seufzend schüttelt sie den Kopf und murmelt etwas Unverständliches bevor sie mir einen letzten, missgünstigen Blick schenkt und die Küche verlässt.

Meine Augen wandern zur Uhr, welche über der Tür hängt und ich muss mit Erstaunen feststellen, dass ich schon viel zu spät dran bin.

Obwohl mich innerlich alles davon abhält, schlüpfe ich in meine guten Schuhe, streife den Rock noch ein letztes Mal glatt und überprüfe, ob sich auf meiner Bluse auch kein Fleck befindet. Mit einem Handgriff greife ich nach meiner Tasche und schließe die Haustür hinter mir. Heute ist das Vorstellungsgespräch bei den McKenzie's und eigentlich sollte ich aufgeregter sein, als ich es gerade bin.

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