Kapitel Sechsundfünfzig ~ Die Wahrheit

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Das Erste, das ich sehe, als ich meine Augen öffne, ist eine gelbliche Wand. Meine Lider sind schwer und das grelle Licht brennt in meinen Augen. Mein Kopf hämmert, fühlt sich an, als wäre ein LKW darüber gefahren.

Ich will einatmen und zische laut auf, mein Brustkorb schmerzt bei jeder Bewegung. Vorsichtig drehe ich meinen Kopf nach rechts und sehe zugezogene Jalousien. Es ist dunkel draußen, was darauf schließen lässt das es Nacht ist. Auf einem kleinen Tisch stehen ein paar Blumen und ein Glas Wasser.

Weil mir alles schmerzt lasse ich den Kopf wieder in das Kissen sinken und starre die Decke an.

Neben mir bewegt sich etwas und aus den Augenwinkeln kann ich Noahs blonden Schopf sehen, der auf meinem Bett liegt. Seine Augen sind geschlossen, seine Hand liegt behutsam auf meiner.

Er sitzt auf einem Stuhl, scheint trotzdem zu schlafen, denn er atmet ruhig.

Mein Hals ist so trocken, das ich Husten muss. Augenblicklich schießt sein Kopf in die Höhe. Entschuldigend sehe ich ihn an und greife nach dem Wasser, da steht er auch schon auf, um es mir zu geben. Er muss definitiv geschlafen haben, denn er ist selbst wackelig auf den Beinen.

„Hier", er hält mir das Glas hin und hilft mir mich etwas aufzusetzen. Schmerzen ziehen sich durch meinen ganzen Körper, aber vor allem von meinem Bauch zu meinen Schultern.

„Was ist hier los?", frage ich schließlich und sehe mich um. Ich bin alleine im Zimmer, es ist gerade groß genug für ein Bett und einen Schrank.

Es riecht so sehr nach Desinfektionsmittel, dass es in der Nase brennt.

„Du wurdest so im Park gefunden", murmelt Noah und sieht man mir herunter. Die dicke Decke verhindert, dass ich etwas von dem sehen kann, auf das er offensichtlich anspielt. Ich bin mir sicher, dass ich es nicht wissen will, deshalb bemühe ich mich nicht weiter und nicke nur verstehend.

Weiß er was passiert ist? Sollte ich es ihm sagen?

Es ist mir plötzlich unglaublich peinlich, dass er mich so sieht. Ich muss ihm sagen, was passiert ist, eine andere Wahl habe ich nicht denn früher oder später wird er mich danach fragen.

„Ah", murmle ich nur und sehe zur Seite. Noah setzt sich neben meine Beine auf das Bett und greift nach meiner Hand, als die Tür aufgeht. Mein Kopf schnellt nach links, was sich als böser Fehler herausstellt. Schmerzerfüllt atme ich ein und kneife die Augen zusammen.

Eine Frau in weißer Kleidung kommt zu uns rein, sie trägt einen Kittel und ein Namensschild, das ich nicht lesen kann.

„Sie sind wach", stellt sie fest. Es klingt, als wäre sie darüber verwundert. Ich nicke vorsichtig, versuche mir ein kleines Lächeln abzuringen.

Sie greift nach dem Klemmbrett am Ende meines Betts und liest einen Moment, was darauf steht.

„Sie haben eine gebrochene Rippe, ein paar Prellungen und einiges an Blutergüssen", verkündet die mir unbekannte Ärztin. „Ich gebe der Schwester Bescheid, dass sie ihnen noch ein paar Schmerzmittel verabreichen soll und", sie blättert nochmal durch die Unterlagen und sieht zu mir. „Wenn es keine Probleme mehr gibt können sie in zwei Tagen gehen."

„Danke Dr. Stone", Noah steht auf und lächelt der Blondine dankbar zu. Sie erwidert sein Lächeln und drückt seine Hand. „Gerne. Wenn etwas ist drücken Sie einfach auf den Knopf", sie nickt zu dem Knopf an meiner Bettseite und verabschiedet sich.

Eine unangenehme Stille liegt im Raum, nachdem Dr. Stone gegangen ist. Noah schaut nur auf die weißen Laken und sagt nichts. Müde schließe ich die Augen. Eine gebrochene Rippe; das ist nicht gut. Natürlich nicht, pfeift meine innere Stimme vorwurfsvoll.

„Ich habe deiner Mutter gesagt in welchem Krankenhaus du bist, sie kommt noch vorbei", wirft er in den Raum und lehnt sich auf dem Stuhl zurück. Ich nicke verstehend.

„Es tut mir leid", murmle ich so leise, dass ich es selbst kaum hören kann. Was genau mir leidtut weiß ich nicht, denn eigentlich habe ich Noah nichts getan doch es fühlt sich an, als müsste ich mich entschuldigen.

Noah lacht sarkastisch auf. „Was tut dir leid?"

Ein Schulterzucken meiner Seite. Eine dumme Idee wie sich keine Sekunde später schon rausstellt.

Er seufzt und fährt sich durch die zerzausten Haare.

„Die letzten vierundzwanzig Stunden waren die Hölle, Ivory. Ich will dir keine Schuldgefühle machen, du hast genug zu verkraften, aber ich muss wissen, was da passiert ist. Lass mich dir helfen."

„Lass mich dir zuerst helfen", fordere ich, den Blick starr auf meine Decke.

„So verrennen wir uns wieder nur." Noah hat recht. Diese Diskussionen enden immer auf dieselbe weise und vielleicht muss ich den Anfang machen.

Ich atme tief ein, ignoriere die Schmerzen in meiner Brust und schließe die Augen.

Und dann erzähle ich ihm, was passiert ist. Ich lasse kein Detail aus, sage ihm, wie unangenehm es mir war sein Geld anzunehmen, wie sehr ich versucht hatte alles richtigzumachen und dass ich das Geld nur durch Felix und seine Kontakte bekommen hatte.

Er hört mir zu, ohne mich ein einziges Mal zu unterbrechen, doch ich kann die Wut in seinen Augen sehen und wie sehr er sich beherrschen muss, um nicht wie ein Vulkan zu explodieren.

Tränen laufen über meine Wange. Ich kann sie nicht zuordnen, sie scheinen von allem etwas in sich zu haben. Erleichterung, Verzweiflung, Wut und Hilflosigkeit.

„Es tut mir so leid", sage ich und wische mir über die feuchte Wange. Ich hoffe, das Noah etwas sagt, doch er schweigt weiterhin und nickt nur.

„Ich werde den Rest bezahlen, ob du das willst oder nicht und dann will ich, das du nie wieder so eine Scheiße baust, Ivory. Kannst du dir nur annähernd vorstellen in, was für eine Situation du dich gebracht hast?" Es strengt ihn an ruhig zu bleiben und nicht zu schreien. Ich bin dankbar dafür das wir in einem Krankenhaus sind und er sich zusammenreißen muss.

Unruhig zappelt er mit dem Bein und reibt sich die Schläfe.

„Du bist dran", fordere ich ihn auf, doch er schüttelt den Kopf. Enttäuscht sehe ich von ihm weg. Es war klar, dass er es mir trotzdem nicht erzählen würde. Das ist nicht Noah.

Ich will gerade etwas sagen, da klopft es an der Tür. Ohne auf eine Antwort zu warten, öffnet sich die Tür und Mama kommt reingerannt.

Sie legt ihre Tasche achtlos am Ende meines Betts ab und beugt sich zu mir vor. „Was ist passiert? Geht es dir gut? Wie siehst du aus?", sie schaut an mir herunter und nimmt mich in den Arm. „Alles gut, Mama", versuche ich sie zu beruhigen.

Aus den Augenwinkeln sehe ich Noah, der gehen will. „Ich muss kurz etwas erledigen", erklärt er zu meiner Mutter gewandt und zieht sich das Jackett über.

„Danke Noah", sie lächelt ihm zu und setzt sich auf den Stuhl, auf dem Noah bis vor einigen Sekunden noch saß. Verständnislos sehe ich ihn an, doch er schüttelt nur den Kopf und gibt mir einen Kuss.

„Ihr seid also zusammen?", sie schaut mich an, als die Tür ins Schloss fällt und lächelt.

„Ja", nickend sehe ich ihm nach.

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