Kapitel Neununddreißig ~ Für Papa

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Papa so frustriert und gleichzeitig hilflos zu sehen bricht mir jedes Mal aufs neue das Herz. „Es gibt noch so viel", beginnt er, die Hände um einen Becher heißen Kaffee klammernd. Die Sonne scheint ausnahmsweise und auch wenn es nicht warm ist, habe ich die Chance genutzt mit ihm in den nächstgelegenen Park zu gehen. Ich sehe auf meinen Teebecher. „Ich sollte dich damit nicht belasten, du bist meine Tochter." „Schon okay, Paps." Mama ist vor einer Stunde gegangen, hat es nicht mehr ausgehalten. Und Josy, Josy wollte sich lieber mit Freunden verabreden.

„Ich bin doch nicht alt", seufzend lässt er den Kopf hängen. Ich nehme seine kalte Hand in meine und sehe ihm ins Gesicht. „Alles wird gut. Die Ärzte tun ihr Bestes. Du wirst noch sehr viel erleben, dass weiß ich." Ich weiß es nicht. Und diese Ungewissheit raubt mir die Luft zum Atmen.

Es ist mir nicht möglich, ihm in die Augen zu sehen, wissend das ich ihn anlüge, also sehe ich weg. Sehe die Bäume an und wie die Blätter davon geweht werden. Ein Jogger läuft an uns vorbei, er kommt mir bekannt vor, doch die Kapuze ist so tief in sein Gesicht gezogen, das ich ihn nicht erkennen kann.

„Ach bitte, ich bin vielleicht krank aber nicht dämlich. Ich weiß, dass sie mich bald vor die Tür setzen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit."

„Werden sie nicht."

Papa will mir widersprechen doch ich komme ihm zuvor. „Ich habe das Geld." Eigentlich wollte ich nichts sagen. Nicht bis ich das Geld wirklich in der Hand habe, aber heute Abend ist es sowieso so weit. Selbst wenn ich meine Seele an den Teufel verkaufen müsste, ich würde es tun.

„Nein", er schüttelt ungläubig den Kopf, ich glaube Tränen in seinen Augen zu sehen. „Doch", ich lächle ihm aufmunternd zu und drücke seine Hand.

Das muss heute Abend klappen, nicht für mich, sondern für ihn. Bis jetzt habe ich es noch niemandem gesagt und Noah hinzuhalten war nicht einfach. Immer wieder hat er mir angeboten zu zahlen. Ich solle es ihm einfach zurückzahlen, wenn ich mich dann wohler fühlen würde. Er hat Angst das ich mir selbst Probleme bereite und die Tatsache, dass ich ihm nicht gesagt habe, woher das Geld kommt, ist ihm ein Dorn im Auge.

Noch vier Stunden bis ich nach Gotsburgh zurückmuss.

„Lass uns langsam zurückgehen", bittet Papa mich. Nickend stehe ich auf und stelle mich hinter seinen Rollstuhl. Die Krankenschwester sagte, dass er es verweigert ihn zu benutzen, wenn ich nicht, da bin. Ich weiß, dass er sich nicht damit abfinden kann, auf einen Rollstuhl angewiesen zu sein. Dafür war er sonst zu selbstständig.

Bis zum Krankenhaus laufen wir nur zehn Minuten, dabei redet niemand von uns. Kaum das wir die Türen rein sind und uns am Empfang gemeldet haben steht auch schon Dr. Phillis vor uns.

„Können Sie ihn bitte in sein Zimmer bringen?", ich sehe zu einer der Krankenschwestern, die mir lächelnd zunickt und mit ihm die Gänge entlang geht.

„Ivory", Dr. Phillis schiebt mich leicht zur Seite, weg von den anderen Patienten. Er trägt einen drei Tage Bart und dunkle Augenringe zieren sein Gesicht. Die Müdigkeit lässt ihn älter aussehen, als er eigentlich ist. Scheint eine lange Schicht gewesen zu sein. „Der Chefarzt wird heute die Entlassungspapiere fertig machen."

„Bis heute Abend habe ich das Geld. Ich brauche nur noch ein paar Stunden", bitte ich den jungen Arzt. Seufzend reibt er sich die Schläfe und sieht auf die Akte meines Vaters.

„Wie viel hast du zusammen?"

Verwirrt ziehe ich die Augenbrauen zusammen. „Was spielt das für eine Rolle?"

„Ich kann Dr. Melore nicht mit Pinatz hinhalten", erklärt er. „Es geht um immense Summen."

Mit verschränkten Armen lehne ich mich an die Wand. „Fünfzehntausend."

Dr. Phillis nickt zufrieden. „Bring das Geld noch heute Abend. Gib das Aktenzeichen deines Vaters an. Jede Krankenschwester hier kann das machen."

Er drückt mir einen Zahlschein mit den Daten meines Vaters in die Hand und verabschiedet sich von mir. „Eins noch", fügt er hinzu und dreht sich wieder zu mir. „Wo bekommt eine junge Frau wie du so viel Geld her?"

„Gute Kontakte."

Oder gefährliche.

Drei unendlich lange Stunden ist es dann so weit. Johnny hat mich noch einmal angerufen, um einen Treffpunkt auszumachen. Letztendlich war es vielleicht nicht die beste Entscheidung es auf Abends in einem verlassenen Park zu legen, doch viel mitreden konnte ich sowieso nicht.

Es ist halb elf, als ich auf den Parkplatz vor dem Park fahre. Die kleinen Kieselsteine knistern unter meinen Schuhen so laut, dass ich das Gefühl habe jeder in fünf Meilen Entfernung könnte es hören. Es ist dunkel und dank des Regens heute Nachmittag noch feucht.

Mit zitternden Beinen stelle ich mich an die vereinbarte Stelle. Die alte Trauerweide wirkt nicht gerade einladend auf einen Angsthasen wie mich und trägt nicht ungemein zur gespannten Atmosphäre bei.

Zwei große, ziemlich breit gebaute Männer kommen mir entgegen. Vor ihnen ein etwas kleinerer und dünnerer Mann. Ich glaube nicht, dass sie meinetwegen unterwegs sind, denn eigentlich war ich hier nur mit Johnny verabredet.

Meine Blase der Hoffnung zerplatzt allerdings schnell, als sie vor mir zum Stehen kommen. „Ivory Scales?" Der Mann, von dem ich dachte, dass er klein sei, ist noch immer einen Kopf größer als ich. Unauffällig schlucke ich. „Johnny?"

Ein tiefes Lachen kommt aus dem Mund des Mannes mir gegenüber. Er sieht zu seinen Kollegen die ebenfalls anfangen zu lachen. „Johnny ist kein Kurier."

„Ich bin David", stellt er fest und geht einen Schritt auf mich zu. Eigentlich wollte ich mir meine Nervosität nicht anmerken lassen, kann es, aber nicht verhindern, dass ich automatisch einen Schritt nach hinten ausweiche.

David lacht leise und hebt die Hände. „Ich tu dir schon nichts Kleines."

„Jake", einer der beiden größeren Männer reagiert in Sekundenschnelle, umgeht seinen Boss und hält mich an meinem Arm fest. Geschockt schnappe ich nach Luft und versuche seine Hand von mir zu schlagen. Vergebens.

„Lass mich los", keife ich, den Blick zu David gerichtet, welcher müde lächelt. „Sie ist hübsch", stellt er fest. Mein Herz schlägt bedrohlich gegen meine Brust. „Fünfzehntausend", David hält einen gelben Umschlag in seiner Hand. „Sechs Wochen hast du Zeit."

„Johnny hat mir drei Monate versichert", protestiere ich mit zittriger Stimme. Sechs Wochen sind viel zu wenig Zeit.

„Aber Johnny ist nicht hier", er kommt wieder einen Schritt auf mich zu und wegen des Riesen neben mir ist es mir nicht möglich, mich auch nur einen Schritt zu bewegen.

„Willst du das Geld oder nicht?" Ungeduldig tippt er mit dem Fuß auf das nasse Grass.

„Dachte ich mir", fügt er hinzu, als ich ihm keine Antwort gebe.

„Lass' sie los." Jake lässt augenblicklich meinen Arm gehen. Unbewusst beginne ich die schmerzende Stelle zu halten.

„Sechs Wochen und wenn nicht, dann finden wir dich."

David drückt mir den Umschlag gegen die Brust.

Es ist für Papa.

Für Papa.

Das ist es wert.

Nickend nehme ich den Umschlag in die Hand und sehe den Männern dabei zu wie sie umdrehen und gehen.

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