Kapitel Zehn ~ Noah

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„Mit dir hätte ich am wenigsten gerechnet", Noah wirkt nicht mehr wirklich überrascht, viel eher wirkt sein Grinsen arrogant und irgendwie auch ein bisschen siegessicher. Am liebsten würde ich ja sagen, dass das der Grund für unseren Kontaktabbruch war, doch damals war er nicht so und den Grund kenne ich bis heute nicht.

Er führt mich den Gang entlang zu einem der Silber strahlenden Aufzüge. Die Stille zwischen uns ist ganz und gar nicht angenehm. Sie sorgt eher dafür, dass ich am liebsten schreiend davon rennen würde. Eigentlich wäre es nur logisch, dass die Nervosität jetzt verschwindet, denn Noah und ich waren uns einmal so nah, als wären wir Geschwister. Doch es scheint, als würde das es nur noch schlimmer machen.

„Ivory ist doch okay für dich?" Wir steigen in den Aufzug und er drückt einen der Knöpfe. Seine Augen mustern mich genauestens, während ich unsicher von meinen Schuhen bis zur Decke des Aufzugs schaue.

„Ich denke schon", antworte ich mit einem zaghaften Lächeln.

„Mein Vater ist ein Dickkopf, was?" Er lacht leise auf, als das kleine Klingeln ertönt und der Aufzug kommt zum Stehen. Die Türen öffnen sich und auch hier ist alles wieder aus Metall, Glas und schwarzen Akzenten. Menschen in Anzügen laufen an uns vorbei, die Lippen stets zu einem geraden Strich gezogen, die Augen geradeaus gerichtet.

„Er hat gute Argumente aufbringen können", antworte ich leicht abwesend, während ich meine Umgebung besser begutachte. Ich frage mich immer noch, wieso ich nicht zu einem abwechslungsreicheren Studium gewählt habe und ob ich wirklich in einem so trostlosen Job festhängen möchte.

Noah bittet mich mit einer Handbewegung in sein Büro, das ebenfalls nicht viel Farbe hergibt.

Ich nehme auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch Platz und hole meine Bewerbung aus der Tasche.

„Ich denke, das ist wohl kaum noch nötig", entgegnet er. Verwirrt hebe ich die Augenbrauen, die Unterlagen ruhen noch immer in meiner Hand.

„Doch ist es", widerspreche ich eindringlich und halte ihm die schlichte Mappe entgegen.

„Es liegt nicht in meiner Absicht bevorzugt zu werden", erkläre ich genauer. Noah scheint positiv überrascht, nimmt die Unterlagen entgegen und legt sie vor sich.

„Ivory, denkst du wirklich, du bist nicht schon bevorzugt worden? Immerhin kommen die Bewerber normalerweise auf uns zu. Mein Vater hat dich schon lange bevorzugt behandelt."

Seine Worte schmecken bitter, denn genau das ist es, was ich von Anfang an nicht wollte. Die Menschen hängen einem vieles nach. Vor allem, wenn man sich einen Job nicht verdient hat.

Ich schlucke unwohl und sehe auf den schwarzen, glänzenden Tisch.

„Daran ist nichts Schlimmes. Wir sind nur hier um die Formalitäten für deine Beschäftigung zu klären", versucht er mein schlechtes Gewissen zu beruhigen.

„Mein Praktikum", korrigiere ich ihn.

Seufzend lässt er die Schultern hängen und sieht mich mit einem Blick an, den man normalerweise einem kleinen Welpen schenkt. Diese Situation ist so unangenehm, dass ich nur noch gehen und nie wieder kommen will.

„Willst du wirklich erst zwei wochenlang Kaffee hin und her tragen, wenn du jetzt schon voll verdienen könntest?"

„Ja", antworte ich entschlossen. Es ist dumm, vielleicht liegt es auch einfach nur an meinem Stolz, aber es wäre nicht fair und da mir sowieso schon das Gefühl genommen wurde, so behandelt zu werden wie jeder andere, lass ich mir das nicht auch noch nehmen.

„Also gut." Noah gibt sich geschlagen, sieht sich meine Bewerbung nur kurz an und tippt dann etwas auf seinem Computer.

Sein Kinn stützt er auf seiner Hand ab, die grünen Augen stechen gerade zu heraus und seine blonden Haare haben einen anständigen Schnitt. Früher waren sie immer nur kurz geschnitten, hatten keine richtige Form und standen in alle Richtungen ab. Genau diesen Noah sehe ich noch immer vor mir, doch der, der jetzt am Schreibtisch sitzt mit dem perfekt passendem Anzug und der perfekt gebundenen Krawatte, zerstört dieses Bild wieder.

„Auf unserer Website findest du ein Foto, dann brauchst du nicht immer mich anzusehen", mit einem frechen Grinsen sieht er zu mir rüber. Ich kann sofort spüren, wie mir die Wärme ins Gesicht steigt und ich augenblicklich rot werde.

„Ich... Es ist nur... Unwichtig."

Mein Erklärungsversuch ist dürftig. Noah steht auf, zieht ein paar Blätter Papier aus dem Drucker und sagt nichts mehr dazu.

Während er alles ausfüllt schweigen wir beide. Ich aus Scham und er, weil er sich offensichtlich konzentriert.

„Du hast dich auch sehr verändert", antwortet er und legt mir verschiedene Papiere zum Unterschreiben hin. Ich nicke nur, greife nach einem Kugelschreiber und unterschreibe. Da ich nicht davon ausgehe, dass ich über den Tisch gezogen werde, lese ich mir alles nur Grob durch.

„Kann ich schon sagen herzlich willkommen oder wirst du nach dem Praktikum wieder verschwinden?" Er zieht eine Augenbraue nach oben und betrachtet mich skeptisch.

„Verlass' dich nicht darauf", antworte ich mit einem frechen Grinsen und stehe auf.

„Okay gut, aber trotzdem möchte ich dich beglückwünschen zumindest für zwei Wochen ein Teil von Gallantd LLC. Zu sein."

Innerlich bin ich froh, die nächsten zwei Wochen wieder einen Grund zum Aufstehen zu haben, doch meine Skepsis kann auch Noah mir nicht nehmen.

Schweigend begleitet er mich aus dem Büro und sogar nach unten in die Lobby. Die Aussicht auf frische Luft lässt mich gleich schneller laufen, sodass auch er einen Zahn zulegt um Schritt zuhalten.

Am Empfang gebe ich meinen Ausweis zurück und warte darauf, dass Blondi mir meine Jacke bringt. Blondi klingt nicht wirklich nett, doch da ich auch eine bin, wenn auch nicht ganz so hell, sehe ich es weniger als Beleidigung an.

„Warte", Noah nimmt Nadine, wie sie offensichtlich heißt, meine Jacke ab um mir hereinzuhelfen.

„Nächstes Mal solltest du vielleicht eine Bluse wählen, die auch wirklich Blickdicht ist", flüstert er mir ins Ohr, während er mir den Kragen richtet. Schockiert reiße ich die Augen auf und sehe an mir runter. Was ich da sehe gefällt mir so gar nicht. In dem grellen Licht kann man meine Unterwäsche wirklich etwas sehen.

Beschämt ziehe ich die Jacke enger und binde sie an meiner Hüfte fest.

„Halb so schlimm, hat kaum jemand gesehen, glaub mir."

Noahs Tonlage klingt so belustigt, dass ich seine Aussage nicht ernst nehmen kann.

Er reicht mir eine Kopie meines Praktikumsvertrages, den ich stillschweigend entgegennehme und in meiner Tasche verstaue.

Ich schenke ihm einen erbosten Blick, der ihn nur wieder Grinsen lässt.

„Das war nicht wirklich nett von mir, ich weiß", gesteht er, doch zu bereuen scheint es nicht.

„Ach echt", gebe ich sarkastisch zurück. Ich weiß nicht, ob ich schon gehen soll oder ob Noah diese unangenehme Unterhaltung noch weiterführen möchte, weshalb ich unsicher dastehe und die Arme verschränke.

Nach einer Weile, in der er nichts mehr sagt und ich nichts mehr sage, verabschiede ich mich mit einem freundlichen auf Wiedersehen und gehe den Flur entlang.

Doch anscheinend hat Noah noch nicht genug, denn ich höre seine leisen Schritte hinter mir.

„Was gibt es..″

„Was hältst du davon, wenn wir mal essen gehen?" unterbricht er meine Frage. Verdutzt über sein Angebot schaue ich ihn einen Moment lang nur an und sage gar nichts.

„Ich glaube, wir sollten es dabei belassen einfach nur Kollegen zu sein", antworte ich schließlich. Es ist mir ganz und gar nicht danach, mit ihm Essen zugehen. Nicht nur, dass das mindestens genauso peinlich werden würde, wie all das hier, es wäre zudem auch noch unprofessionell.

„Da du ab Montag erstmal nur meine Praktikantin bist, sind wir noch keine Kollegen", entgegnet er verschmitzt. Unsicher sehe ich mich um und treffe auf den Blick des Security-Mannes, welcher uns beobachtet.

„Ich halte das für keine gute Idee", sage ich überzeugt, was Noah nicht beeindruckt. Dennoch scheint er es vorerst zu akzeptieren, denn er nickt.

„Ich mag schlechte Ideen." Ist das Einzige, was er noch sagt, bevor er sich schmunzelnd umdreht und mich stehen lässt.

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