Kapitel Sieben ~ Böses Blut

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Verdutzt sehe ich den Schwarzhaarigen an.

Allerdings scheint Kyle weniger überrascht als ich, denn er kommt einfach auf mich zu und umarmt mich zur Begrüßung. Derweil meine Arme unsicher um den Freund meiner Schwester liegen, sehe ich zu ihr. Sie beißt sich auf die Lippe, in ihrem Gesicht liegt ein Ausdruck von Entschuldigung. Angebracht wäre es auf jeden Fall.

Während sich die beiden auf ihre Plätze setzen sagt niemand etwas. Wahrscheinlich, weil niemand von uns so recht weiß, was er sagen soll. Josy rückt ihren Stuhl näher an den von Kyle, der seinen Arm um sie legt und mich anlächelt.

„Also das ist jetzt ... Etwas überraschend", beginne ich, in der Hoffnung irgendeine Unterhaltung zu starten. Mein Versuch ist allerdings eher dürftig.

„Ich war mir nicht sicher was du sagen würdest, weshalb ich dir nichts erzählt habe", gibt Josy kleinlaut von sich. Mit ihren Händen spielt sie an der Tischdecke. Sie wirkt deutlich nervös, obwohl es dazu keinen Grund gibt. Oder?

Ich sehe zu Kyle, dessen Blick ganz auf Josy liegt. Er nimmt ihre Hand in seine und streicht beruhigend darüber.

„Es ist in Ordnung, schätze ich."

Das Gefühl, welches sich in mir ausbreitet, wenn ich die beiden so sehe, ist komisch. Es schürt mir die Luft ab, sie so nahe zusehen.

Sofort senken sich die angespannten Schultern meiner Schwester und ein Lächeln schleicht sich auf ihre Lippen. Meine Augen wandern weiter zu Kyle und ohne in einen Spiegel zu sehen, weiß ich, dass mein Blick Bände spricht. Vor Josy würde ich ihm nie eine Szene machen, denn wenn sie glücklich ist, bin ich es auch. Doch wäre es das mindeste gewesen mir davon etwas zu erzählen, gerade wo wir uns vor ein paar Tagen erst gesehen haben.

Nachdem der Kellner unsere Bestellungen aufgenommen hat, liegt wieder eine bedrückende Stille in der Luft. Angestrengt atme ich aus und durchsuche mein Gehirn nach einem Thema, über das wir sprechen könnten.

„Hast du dir schon überlegt, was du nach der Schule machen möchtest?" Josys letztes Schuljahr endet nächsten Sommer und allzu viel Zeit wird sie nicht mehr haben, wenn sie sich an Universitäten bewerben möchte.

Das Thema ist nicht unbedingt perfekt, doch ich weiß so gut wie gar nichts mehr über meine Schwester und da scheint mir jeder Anfang ein guter.

Schulterzuckend sieht sie zu mir und dann wieder auf ihr Handy. Wenn sie dieses blöde Ding nicht bald mal zur Seite legt, werde ich es in ihrem Glas ertränken, so viel steht fest.

„Ich dachte, dass ich einfach im gleichen Laden arbeiten werde wie Kyle und vielleicht dort eine Ausbildung mache."

„Willst du nicht Studieren?" hake ich verwundert nach. Die Tatsache, dass sie sich offensichtlich keine gute Grundlage für ihr weiteres Leben schaffen möchte, lässt mich innerlich nach Luft schnappen.

„Was bringt das schon?", murmelt sie. Ich weiß das ihre Aussage ein Seitenhieb gegen mich und meine momentane Situation sein soll, was mich fast dazu bringt, zu explodieren. Doch anstatt irgendetwas zu sagen, was ich später bereuen würde, atme ich tief ein.

„Josy, du brauchst eine gute Grundlage für dein weiteres Leben. Und in einer Werkstatt zu arbeiten wird dich sicherlich nicht weit bringen."

Ich schaue meiner kleinen Schwester, die ihr Handy endlich mal zur Seite gelegt hat, direkt in die Augen und hoffe ihr noch ein bisschen Verstand einbläuen zu können.

„Und dein Studium hat dich wo hingebracht?" keift sie giftig. Sprachlos über ihre gewählte Tonart sitze ich nur mit offenem Mund da.

Unser Essen wird uns an den Tisch gebracht, doch statt zu essen sehe ich nur weiter Josy an auf deren Gesicht ein Ausdruck von Zufriedenheit liegt.

„Das kannst du nicht vergleichen, ich versuche es wenigstens."

Meine Stimme ist fest, mein Ton allerdings lässt andeuten, dass ich kurz davor stehe ihr meine Pasta gegen den Kopf zu werfen. Seit wann redet Josy so mit mir und noch wichtiger, wann ist sie zu so einer Zicke mutiert?

Das einzige, was Kyle derweil tut, ist zwischen uns hin und herzuschauen und wahrscheinlich zu hoffen, dass wir uns nicht gegenseitig an den Hals springen.

Gleichgültig zuckt Josy mit den Schultern und beginnt von ihren Spaghetti zu essen. Da mir der Appetit vergangen ist, entschuldige ich mich für einen Moment und verschwinde vor die Tür, wo der Wind mir um die Ohren haut. Meine Haut brennt vor Aufregung so sehr, dass mir zunächst gar nicht kalt wird.

Josy's Worte haben mich unglaublich getroffen. Von allen aus meiner Familie war sie die einzige, von der ich dachte, dass sie sich nicht so sehr verändert hat. Aber offensichtlich lag ich da falsch.

Eine ganze Weile starre ich nur auf die Straße vor mir und die Autos, welche an mir vorbeifahren. Ohne das ich es wirklich verhindern kann, bilden sich Tränen in meinem Auge, die sich den Weg über meine Wangen zu meinem Kinn bahnen, wo ich sie beschämt abwische.

Die Stimmungswechsel meiner Schwester sind kaum zu ertragen. Im einen Moment ist sie nett und im nächsten kalt und abweisend. Irgendetwas sagt mir, dass es nicht einfach wird unsere Beziehung wieder aufzubauen oder überhaupt wieder so vertraut zu werden, wie wir es früher waren.

Ich streife meine Haare zurück hinter die Ohren, weil der Wind sie nach vorne geweht hat und atme tief durch, bevor ich mich umdrehe, um wieder in das Restaurant zu gehen, als plötzlich Kyles schwarzer Schopf vor mir auftaucht.

Verdutzt gehe ich einen Schritt zurück und sehe zu ihm hoch.

„Ich wollte es dir sagen", murmelt er leise. Während er redet verlassen kleine Rauchwolken seinen Mund.

Ein sarkastisches Lachen verlässt meinem Mund. Tatsächlich verletzt mich die Tatsache, dass er mir davon nichts erzählt hat, mehr als sie eigentlich sollte. Es ist sein Leben, er muss sich nicht rechtfertigen. Und auch Josy ist alt genug, um zu wissen, mit wem sie eine Beziehung führen möchte.

Auch wenn ich mir dessen bewusst bin, fühlt es sich frustrierend an.

„Nicht gerade ein Thema, über das ich reden möchte", gebe ich zu. Kyle zieht die Augenbrauen zusammen, nickt aber nur und lässt die Sache auf sich ruhen.

Die Stille zwischen uns ist dick, was sich komisch anfühlt, wo wir uns doch vorher noch so viel zu sagen hatten. Während ich nur so da stehe, unsicher, ob ich wieder reingehen soll oder nicht, holt Kyle eine Schachtel Zigaretten aus seiner Hosentasche und nimmt sich eine raus. Ich sage nichts dazu, folge mit den Augen lediglich der Bewegung seiner Hand, wie sie nach einem Feuerzeug greift und sich dann in Richtung seines Gesichts bewegt.

„Du musst wissen, Josy hat das gerade nicht so gemeint, aber darüber sollte sie selbst mit dir reden", beginnt er plötzlich. Weil ich nicht verstehe, was er mir damit sagen will, sehe ich ihn fragend an, doch Kyle schüttelt nur den Kopf.

„Sie sagt zurzeit viele Dinge." Nachdenklich sehe ich auf meine Schuhe und kreuze die Arme. Jetzt wo ich weiß, dass Kyle und Josy sowas wie ein Paar sind, fühlt es sich komisch an mit ihm darüber zu reden.

Kyle zieht an seiner Zigarette, der Stängel leuchtet kurz auf und der Rauch verlässt seinen Mund.

„Sie hat viel durchgemacht, während du weg warst, Iv. Nimm es ihr nicht übel."

Ich weiß nicht was genau Kyle dazu veranlasst, meine kleine Schwester die ganze Zeit in Schutz zu nehmen und wahrscheinlich würde ich ihm normalerweise vertrauen, aber gerade macht es mich einfach nur wütend. Josy ist nicht die einzige, die eine harte Zeit durch macht.

Ohne Kyle weiter zu beachten, öffne ich die Tür und gehe zurück ins Lokal. Wahrscheinlich ist mein Essen nur noch lauwarm, doch das ist es nicht was mich interessiert.

„Was ist dein Problem?" Ich sehe zu Josy. Überrascht und stirnrunzelnd sieht sie mich an, scheint zu überlegen, schüttelt dann aber den Kopf und sieht wieder auf ihren Teller.

„Verdammt Josephine!" Mit meiner Faust schlage ich auf den Tisch. Plötzlich wird alles still. Josy sieht wieder zu mir, steht dann auf und starrt mir in die Augen.

„Ich hoffe, dein Leben wird genauso scheiße, wie meins in den letzten Jahren war."

Mit diesem Satz lässt sie mich stehen und verschwindet.

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