Kapitel Vierzehn ~ Kein Date

7.4K 484 130
                                    

Ich kenne Noah. Und ich kenne den Blick, mit dem er mich schon den ganzen Tag ansieht. Zwischen den Meetings, bei denen ich nur am Rand sitzen und alles aufschreiben darf, den Telefonaten, die er aus irgendeinem Grund auf mich abwälzt und der ganzen Papierarbeit, hatte ich bis jetzt nicht mal Zeit um kurz Luft zu holen. Genau das ist es, was er den ganzen Tag wollte. Dass ich ständig unter Stress stehe und irgendwann einknicke, aber den Gefallen tue ich ihm nicht und mit jeder Minute, die verstreicht, werde ich siegessicherer. Möge kommen, was wolle, diesen Erfolg gönne ich ihm nicht.

Den Blick auf die nächste Akte gerichtet, greife ich nach dem Telefon, das schon wieder bimmelt.

„Gallandt LLC. Noah McKenzie's Büro, Sie sprechen mit Ivory Scales", der Satz geht wie von selbst über meine Lippen. Sollte nach dem gefühlt tausendsten Mal auch nicht überraschend sein.

„Komm mal in mein Büro", ertönt die nervigste Stimme, die es überhaupt gibt. Er wirkt belustigt und dafür brauche ich sein Gesicht nicht Mal zu sehen. Sehr witzig, Blödmann.

Seufzend lege ich auf, lasse meinen Kopf auf den Tisch fallen und bete, dass ich bald gehen kann. Es ist weit nach acht Uhr, laut Vertrag müsste ich eigentlich nur bis vier arbeiten. Aber er macht das mit Absicht.

Weil er ein blöder Arsch ist, brumme ich mir selbst zu. Letztendlich raffe ich mich auf, streiche meine Klamotten glatt und laufe die zehn Schritte bis zu seiner Tür.

Ohne zu klopfen, öffne ich sie. Er kennt ja auch keinen Anstand.

„Setz' dich", fordert er und deutet auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch. Vor ein paar Tagen noch, saß ich hier und habe die wahrscheinlich schlimmste Entscheidung in meinem Leben getroffen.

Ich sehe ihn abwartend an.

„Du hast heute extrem gute Arbeit geleistet. Das hätte ich nicht erwartet", lobt er mich anerkennend, doch sein Grinsen verrät ihn. Offensichtlich versucht er nicht mal zu verstecken, dass dieser Tag reinste Schikane war.

„Ich arbeite eben professionell", betone ich. Jetzt bin ich es die Grinst. Diesen Kampf habe tatsächlich ich gewonnen, daran kann er nichts mehr ändern.

Noah lehnt sich in seinem Stuhl zurück, die Hand an seinem Kinn, sieht er mich einen Moment lang einfach nur an. Fast als wolle er versuchen durch mich hindurch zu sehen.

Ich frage mich, was passiert wäre, wenn Noah damals nicht einfach den Kontakt abgebrochen hätte. Ob wir dann trotzdem hier sitzen und uns gegenseitig Piesacken würden?

Ich mustere den blonden Schopf genauso sehr, wie er mich. Aus irgendeinem Grund kann ich nicht wegsehen.

„Also sind wir dann fertig?", fragend sehe ich Noah an, nachdem auch er nichts weiter gesagt hat.

„Fast", Noah löst sich aus seiner starre. Am liebsten würde ich jetzt laut aufstöhnen und ihn fragen was sein Problem ist, doch ich halte mich zurück.

„Nächsten Samstag feiert unsere Firma zwanzigjähriges Jubiläum und ich würde mich freuen, wenn du meine Begleitung wärst."

Ungläubig starre ich ihn an.

„Ich.. äh."

Mehr fällt mir dazu ein. Mein Gehirn durchforstet jeden Winkel nach einer Ausrede, um ihm absagen zu können, ohne ihn vor dem Kopf zu stoßen. Dabei fällt mir nur Baileys Hochzeit ein und zu der werde ich nicht gehen. Da soll mich lieber der Teufel holen.

Noahs Augen sehen mich abwartend an.

„Ich glaube da hab ich schon was vor."

Super Ivory. Das war ja so überzeugend.

Misstrauisch und belustigt zieht Noah die Augenbrauen nach oben. Er lacht leise auf und sieht auf den Tisch vor sich.

„Du sollst dich nicht gezwungen fühlen. Lass dir Zeit. Allerdings möchte ich, dass du weißt, dass wir keine zwölf mehr sind und Menschen sich ändern."

Er steht von seinem Stuhl auf und geht in Richtung der Tür um sie mir aufzuhalten.

Er hat recht. Wir sind keine zwölf mehr, doch ich will diese Zeit aus irgendeinem Grund nicht loslassen. Ich bin eine verdammte Klette, wenn es um die Vergangenheit geht. Und nachtragend noch dazu.

Etwas in mir will Noah nicht einfach so stehen lassen. Er ist ein verdammter Blödmann und ich eine doofe gutgläubige Kuh.

„Zwei Stunden, länger bleibe ich nicht."

Damit verabschiede ich mich von ihm und verlasse sein Büro. Aus den Augenwinkeln kann ich sehen, wie er lächelt und sich Kopfschüttelnd umdreht.

Das Büro ist so gut wie leer, als ich es verlasse. Lediglich die Security steht noch vor dem Eingang und die rothaarige von heute Morgen sitzt noch an ihrem Computer.

„Ist das etwa ein Date?", Mias belustigte Stimme dringt durch das Telefon an mein Ohr. Genervt brumme ich auf und stopfe mir den letzten Toast in den Mund.

Ich vermisse sie. Sehr. Aber solche Dinge gehen mir dann doch wieder auf die Nerven.

„Es ist eine Firmenfeier. Als Praktikantin muss ich da praktisch mit.", dass Noah mich als Begleitung mit nehmen will, lasse ich dabei unter den Tisch fallen.

„Jaja", murmelt sie sarkastisch in den Hörer. Ich muss nicht bei ihr sein, um zu wissen, dass sie mir nicht wirklich glaubt. Allerdings muss ich sagen, dass ich noch nie eine wirklich gute Lügnerin war und es wahrscheinlich auch nie sein werde.

Seufzend drehe ich mich auf meinem Bett und schaue auf den Wecker. Viel Freizeit hatte ich heute nicht und wenn die nächsten zwei Wochen genauso aussehen, werde ich davon auch nicht viel bekommen.

Warum sollte ich mich dafür rechtfertigen müssen, dass ich mit Noah zu dieser Feier gehe? Es ist immerhin kein Date, sondern eine Betriebsfeier in der Firma, in der ich sozusagen auch arbeite.

Außerdem habe ich ihm gleich gesagt, dass ich nicht lange bleiben werde. Immerhin gibt es noch eine Hochzeit, von der ich immer mehr denke, dass sie zu sprengen eine gute Idee wäre.

Bailey ist ein Arschloch, auch wenn er mich am Freitag vor diesem Widerling gerettet hat. Er hat es verdient, dass sein ganzes Leben den Bach runtergeht und die Genugtuung, das er ohne Strafe davon kommt, gebe ich ihm keinesfalls.

„Ivy", Mia's Stimme holt mich aus meinen Gedanken.

„Anwesend", murmle ich und öffne nebenbei meinen Laptop.

„Ich muss langsam ins Bett", erinnert sie mich daran, dass auch sie einen Job gefunden hat und zu normalen Zeiten ins Bett gehen muss.

Murrend protestiere ich gegen ihren Versuch das Telefonat abzubrechen. Auch wenn wir uns die meiste Zeit lediglich anschweigen, ist es in diesen Momenten so, als wären wir wieder in einer WG.

Und dann fühlen sich meine meisten Probleme so weit weg an, dass sie praktisch nicht existieren.

„Ich liebe dich Iv, bis bald."

Ich habe nicht einmal die Chance sie noch am Telefon zu halten, da tutet es auch schon am anderen Ende der Leitung.

Ein bisschen wehmütig widme ich mich meinem Laptop, als mein Handy erneut vibriert.

Danke das du mir eine zweite Chance gibst. Ich freue mich schon auf Samstag.

Noah

Woher hat Noah meine Nummer?

Blue JeansWo Geschichten leben. Entdecke jetzt