„Jetzt ist es wohl offiziell wahr", ich setze mich seufzend an meinen Schreibtisch und drücke den kleinen Knopf zum Anschalten. „Was genau?", hakt Noah nach und sieht mich interessiert an. Meine Augen halten seine stets fest, während ich mich in meinem Stuhl zurücklehne. „Die, die mit dem Chef schläft", zitiere ich in Anführungszeichen und tippe das Passwort in meinen Computer.
Es ist keine große Sache. Zumindest nicht in der Hinsicht, dass es unsere Zusammenarbeit belasten würde. Doch die Tatsache, das jetzt alle denken Sie hätten von Anfang an recht gehabt schlägt mir auf den Magen. Vielleicht ist es, weil sie ja im Endeffekt recht hatten und ich mir das nicht eingestehen will. Noah zuckt mit den Schultern und schiebt seine Hände in die Hosentaschen seines Anzugs. Obwohl er im Anzug verdammt gut aussieht, muss ich zugeben, dass ich die lockere Jeans und das Sweatshirt bevorzuge. Es passt besser zu ihm als Person.
„Das müssen sie nicht wissen. Hier sind wir Arbeitskollegen und kein Paar." Zwar hat Noah es noch nicht direkt ausgesprochen, das hat noch keiner von uns beiden, aber die Andeutung das wir ein Paar sind, verursacht ein warmes Gefühl in meinem Bauch.
Da keiner von uns beiden mehr etwas sagt und ich ihn nur wie eine verrückte angrinsen kann, geht er in sein Büro und lässt mich mit meiner Arbeit alleine. Wirklich konzentrieren kann ich mich nicht, denn das einzige was mir für den Moment im Kopf herumgeht, ist Papa.
Er weiß nichts davon, dass er bald wahrscheinlich nicht mehr behandelt wird, wenn wir nicht das Geld auftreiben können. Und mit wir, meine ich mich alleine. Es gibt keine Möglichkeit für Mama oder Josy, dass sie diese Summe in den nächsten Tagen zusammenbekommen. Und wenn ich ehrlich bin, dann weiß auch ich nicht, wie ich das machen soll. Aber was habe ich schon für eine Wahl?
Nach der Arbeit beschließe ich, Papa noch einmal zu besuchen. Noah hatte fast schon gedrängt, dass er mitkommen möchte, doch diese Zeit will ich einfach nur für Papa und mich haben. Auf dem Weg zum Krankenhaus, habe ich noch kurz beim Blumenhändler angehalten, um einen Strauß für ihn zu besorgen. Sein Zimmer ist genauso kahl und steril eingerichtet wie der Rest, des Krankenhauses, da können ein paar Blumen definitiv nicht schaden.
Ich gehe vorbei an der Information, wo eine gelangweilte Schwester sitzt und mit ihrem Handy spielt. Irgendwie ist es für mich nur schwer vorstellbar, dass man sich in diesem Beruf langweilen könnte. Immerhin wird sich doch immer beschwert, dass es zu wenige Schwestern für zu viele Patienten gibt. Nichtsdestotrotz Grüße ich sie flüchtig mit einem Nicken und einem freundlichen Lächeln, dass sie nicht einmal gesehen zu haben scheint.
Auf dem Weg zu Papas Zimmer werde ich von einem angestrengten Stöhnen aufgehalten. Erst als ich nach rechts, in einen der Gänge mit weiteren Patientenzimmern sehe, weiß ich von wem die Geräusche kommen.
„Mensch Papa", ich eile zu ihm hin, weil er sich gerade so noch auf den Beinen halten kann. In der Sekunde, in der ich ihn erreiche, klappt er beinahe zusammen. Mit letzter Kraft hält er sich an mir fest, sodass ich ihm in den Rollstuhl helfen kann, der keine zwei Meter entfernt steht. „Was machst du hier?", frage ich besorgt. Papa sieht verzweifelt auf den Boden und spielt mit seinen Fingern. Genau wie ich macht auch er, dass immer wieder, wenn er nervös wird. Ich weiß, dass es eigentlich nicht möglich ist, aber er wirkt noch dünner und ausgelaugter als gestern.
„Ich..", er schluckt schwer, versucht offensichtlich Tränen zurückzuhalten. „Ich lasse mir doch von denen nicht sagen, dass ich nicht mehr laufen kann", mit einer Handbewegung zeigt er in Richtung des Schwesternzimmers. Seine Stimme zittert unter der Anstrengung, noch immer. Ich kann nicht verhindern, dass mir ein dicker Kloß im Hals wächst. Bis jetzt habe ich Papa immer hoffnungsvoll und stark erlebt. Doch das scheint er heute verloren zu haben. Ich drücke ihn flüchtig, bevor ich mich hinter den Rollstuhl stelle und ihn in Richtung des Aufzugs schiebe.
Es ist kalt und die Wolken hängen traurig vom Himmel als wir rausfahren, doch frische Luft tut gut. Obwohl ich nicht weiß auf wen von uns beiden ich das beziehe.
„Wie geht es Mama?", fragt er, den Blick auf den kleinen Brunnen gerichtet. Wir haben uns auf eine Parkbank weiter weggesetzt, damit uns niemand stören kann. Wobei bei diesem Wetter sowieso kaum jemand nach draußen geht. „Ihr geht es gut", ich muss schlucken, denn das stimmt so nicht. „Und Josy auch." Papa sieht mich an und ich weiß, dass er mir kein Wort glaubt. Ich bin miserabel darin andere anzulügen.
„Du musst mir einen Gefallen tun, Ivory", er sieht von mir weg auf die fast kahlen Bäume. „Pass auf die drei auf, wenn ich mal nicht mehr sein sollte."
„Hör auf so etwas zu sagen!" Ich kann nicht verhindern, dass die Worte aus meinem Mund feuern, wie eine Kugel aus der Pistole. Ich will so etwas nicht hören, will nicht daran denken. Böse sehe ich zu Papa, der nur mit den Achseln zuckt. „Wir wissen alle, dass das passieren wird." Er versucht gleichgültig zu klingen, doch er schlägt sich miserabel.
Es beginnt zu regnen, weshalb wir wieder nach drinnen gehen. Ich versuche angestrengt unsere Konversation zu vergessen. Vergebens.
Wir sind keine zehn Minuten in seinem Zimmer, als auch schon ein Arzt mit einer Schwester hereinkommt. Ich brauche sie nicht lange anzusehen, um zu wissen, dass es die gleiche ist, die mich gestern noch zur Ruhe aufgefordert hat und obwohl es keinen Grund dazu gibt, kann ich es nicht verhindern, dass mein Blick Giftpfeile in ihre Richtung feuert.
„Mr. Scales", begrüßt Dr. Phillis ihn mit dem typisch fachmännischen Lächeln. Papa sagt nichts, sondern nickt ihm nur zu.
„Wie geht es Ihnen?" Die Frage stellt er wahrscheinlich allen Patienten und ist wenig von Bedeutung. Er unterhält sich einen Moment lang mit Papa, während ich die Krankenschwester dabei beobachte, wie sie Papas Bett herrichtet und nach seinem Zimmernachbarn sieht.
Kurz darauf verabschiede auch ich mich von Papa, verspreche ihm aber fest morgen wiederzukommen. Der Knoten, der sich in meinem Magen bildet, wird von Moment zu Moment größer. Ich muss um jeden Preis verhindern, dass sie ihn herauswerfen.
„Ivory", Dr. Phillis kommt mir eilig nachgelaufen, nachdem ich das Zimmer verlassen habe und bleibt letztendlich neben mir stehen. Fragend sehe ich ihn an.
„Ich kann mir vorstellen, dass dieser Zeitpunkt ungelegen kommt, doch ich muss sie fragen, wie es mit den Zahlungen aussieht", beginnt er. „Der Chefarzt lässt schon morgen, die Papiere für die Ausweisung ansetzen und.."
„Ich werde mich darum kümmern", antworte ich verbissen. Dass ich ihm ins Wort gefallen bin, scheint ihn kaum zu stören. „Wir alle möchten nur das beste für ihren Vater", versichert er mit Nachdruck in der Stimme und streichelt mir über den Arm. Ich kann nicht anders, als seine Bewegung skeptisch zu beobachten. „Geht mir genauso. Mehr als Sie es sich vorstellen könnten."
Tränen bilden sich in meinen Augen als ich an ihm vorbei Stürme und auf mein Auto zugehe. Mir bleiben nur noch drei Tage. Das ist nichts.
Erst als ich an meinem Wagen angekommen bin und bereits drin sitze, lasse ich den Tränen freien lauf. Es fühlt sich an, als würde die Last der Welt auf meinen Schultern sitzen und mich Stück für Stück erdrücken.
Mir kommt Felix' Zettel in den Sinn und die Nummer, die er darauf geschrieben hat.
Ein Versuch, nur ein Versuch.
Und schneller als ich schauen kann, ist die Nummer gewählt.
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Blue Jeans
Teen FictionIvory und Noah waren beste Freunde. Nichts konnte die beiden trennen, zumindest dachte Ivory das, bis Noah eines Tages aus heiterem Himmel den Kontakt zu ihr abbricht. Jahrelang herrscht Funkstille zwischen den ehemals besten Freunden. Erst als Ivor...