„Ivory, bitte. Bitte geh nicht", Noahs verzweifelte Stimme frisst sich in jede Faser meines Körpers und brennt sich ein. Ich hasse mich selbst dafür, das ich mein Versprechen nicht halten kann. „Was soll ich sonst tun?" „Was, Noah?" Vielleicht ist es der Schock oder die Verzweiflung darüber, dass ich nicht weiß was ich über all das denken soll, aber meine Stimme wird immer lauter. „Lass mich das erklären." Er fährt sich durch die Haare und sieht mich mit verzweifelter Miene an. Mein Unterbewusstsein schreit mir zu, dass ich gehen soll. Sagt, dass es nichts mehr bringt zu reden, solange wir beide so geladen sind.
„Sprich", flüstere ich so leise, dass ich erst vermute, dass er mich nicht hören konnte. Doch seine erleichterte Haltung und die Luft, die durch seinen Mund fährt, verraten mir, dass er mich sehr wohlverstanden hat.
„Ich kann es ihm nicht sagen, Ivory. Er kann keine Kinder bekommen. Was glaubst, du wie er sich fühlt, wenn er weiß, dass ich ein Kind mit seiner Frau habe? Es war ein dummer Fehler, das wissen wir beide. Und deshalb kommt Sophie zu mir." Mit jedem Wort das Noah spricht, wird er leiser und verzweifelter.
„Ist sie damit einverstanden?" Mir ist nicht ganz klar, was ich mit dieser Frage bewirken will. Es ist nur die erste, die mir in den Sinn kommt. Unwohl sehe ich mich in dem langen Flur mit den vielen Türen um. Ich fühle mich nicht wohl mit dem Gedanken, dass einer seiner Nachbarn dieses Gespräch mitbekommen könnte.
„Nein", gibt er zu. Dabei wirkt er nicht, als würde das auch nur das geringste Gefühl in ihm auslösen. Plötzlich wirkt er hart, weit weg von dem Mann, der kurz davor war in Tränen auszubrechen. „Deswegen ist Claudia da." Mit einem Nicken deutet er zu seiner Wohnungstür, wo Mrs. Bennett sich eine Jacke überzieht und auf uns zu kommt. „Wir sollten einen neuen Termin machen", sagt sie, zu Noah gewandt der ihr verspricht sich zu melden.
Aufgebracht streiche ich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Du willst ihr das Kind wegnehmen?", frage ich entgeistert, kurz davor den Verstand zu verlieren. Er kann einer Mutter nicht ihr Kind wegnehmen. Er kann seinem Kind nicht die Mutter vorenthalten. „Du kennst sie nicht Ivory. Scarlett ist nicht gut für mein Kind", ich merke, dass Noah sich zusammenreißen muss, aber das ist mir nicht genug. Das ist kein Grund ein Kind von seiner Mutter zu trennen.
„Das ist Schwachsinn Noah. Dieses Kind braucht eine Mutter und einen Vater. Nicht nur eins davon." Ich bin keine Mutter und ich stecke weder in Noahs Haut noch in der seiner Schwägerin, aber alles im mir sagt mir, dass es falsch ist. Das, was er tun will ist falsch. Er darf das nicht machen.
„Sie trinkt, sie raucht, sie schläft mit allem, was ihr in den Weg kommt. Gestern hat sie mich angerufen, weil sie damit überfordert war, das Sophie krank ist. Sie ist keine gute Mutter, Ivory." Noah versucht alles Mögliche, um mir zu erklären, dass er richtig liegt. Doch für diese Erklärung ist kein Platz in meinem Kopf. Kopfschüttelnd reibe ich mir die Schläfe. Es sind Stunden vergangen, zumindest fühlt es sich so an. In Wirklichkeit sind es nur Momente, Minuten, in denen wir diskutieren und nicht auf einen Nenner kommen.
„Wer entscheidet das? Du? Der offensichtlich keine Zeit für sein Kind aufbringt? Wenn sie so eine schlechte Mutter ist, warum hast du dann nicht früher etwas getan?"
Noah schweigt. Für einen Moment weiß er keine Antwort. Vielleicht waren meine Worte zu extrem.
„Okay", lenkt er ein. „Wenn du mir nicht glaubst komm morgen mit. Ich zeige es dir." Seine Worte klingen nicht wie ein Vorschlag, sondern vielmehr wie eine Drohung. Und obwohl alle meine Alarmglocken läuten, stimme ich zu.
Am nächsten Morgen holt Noah mich mit seinem Wagen ab. Ich weiß nicht wie ich mich verhalten soll, denn ich bin immer noch wütend wegen all der Dinge, die er gestern gesagt hat. Deshalb begrüße ich ihn auch nur halbherzig, als ich in seine Wagen steige und mich anschnalle. Zumindest befreit mich das für ein paar Stunden von meiner geisteskranken Familie, die voller Vorfreude beschlossen hat Babykleidung und andere Sachen zu kaufen. Ich kann mich noch immer nicht damit anfreunden, dass sie sich dafür entschieden haben noch ein Kind zu bekommen. Nicht nur, weil es in Mamas Alter eine Risikoschwangerschaft ist, sondern auch weil es fast schon unüberlegt wirkt. Es scheint, als wäre ich auf alles nur noch sauer, was dafür sorgt, dass ich mich nicht gut fühle. Im Gegenteil - ich fühle mich miserabel.
Während Noah fährt, bemerke ich immer wieder, dass er zu mir rüberschaut, doch ich bleibe hart und starre aus der Windschutzscheibe, als würde mein Leben davon abhängen. „Du bist sauer", stellt Noah resigniert fest. „Könnte man so sagen", antworte ich trocken. Meine Augen verfolgen die Scheibenwischer wie sie sich auf und ab bewegen und dabei die Scheibe von Regen befreien.
Noah seufzt, lehnt sich im Sitz zurück und brummt etwas, das ich nicht verstehe. Sofort fährt mein Kopf in seine Richtung und meine Augen verkleinern sich zu Schlitzen. „Wenn du etwas zu sagen hast, dann sag es laut." Keine Ahnung warum, aber es kommt mir so vor, als wäre er auf Streit aus. „Du hast keinen Grund dazu sauer zu sein", er lehnt den Kopf auf seiner Hand ab, während die andere weiterhin das Lenkrad festhält. Beleidigt verschränke ich die Arme vor der Brust und schnaube auf.
„Ich habe jeden Grund dazu", Schnauze ich zurück. Ich hasse es das es fast jedes Mal darauf hinausläuft, das wir uns streiten, weil er mich gewollt provoziert. „Hast du nicht und jetzt hör auf zu zicken", antwortet er kühl. Empört reiße ich die Augen auf und schnaube verächtlich.
„Arschloch", brumme ich genervt, die Arme noch immer verschränkt. Das Noah leise anfängt zu lachen, trägt nicht gerade zu meiner beruhigen bei. In solchen Momenten würde ich ihm am liebsten die Augen auskratzen.
„Du bist so süß, wenn du sauer bist", setzt er seine Provokationen weiter fort. Dabei wirkt er so locker, dass ich nur noch wütender werde. Wenn wir nicht beide draufgehen könnten, würde ich ihm jetzt in den Lenker greifen. Einfach nur, weil ich es kann und weil er es verdient hat. „Kannst du bitte einfach leise sein?", frage ich, mit der ruhigsten Stimme, die mir möglich ist.
„Nö", flötet Noah weiter, dabei ein großes Grinsen im Gesicht.
„Warum musst du mich immer so provozieren? Kannst du es nicht einfach sein lassen und dich auf den verdammten Verkehr konzentrieren?" Nicht mein bestes Argument, wenn man bedenkt, das er Highway frei ist und es nicht wirklich viel gibt, auf das man aufpassen muss.
„Ist ja gut", Noah beißt sich auf die Lippe, weil er sonst lachen müsste. Genervt Rolle ich mit den Augen und sehe weiter aus dem Fenster. Den Rest der Fahrt verbringen wir schweigend. Ich weiß nicht wie er jedes Mal so tun kann, als wäre am Vortag nichts passiert. Für ihn ist es jedes Gott verdammte mal so, als würde mit dem alten Tag auch alle alten Streitereien verstreichen.
Schweigend beobachte ich, wie wir immer weiter in die schlechtere Gegend fahren und obwohl ich mir selbst geschworen habe unvoreingenommen an diese Sache ran zugehen, kann ich nichts daran ändern, das ich bereits jetzt anfange, Scarlett zu beurteilen. Wie kann es sein, dass sie so schlecht wohnt, wo Noahs Bruder doch bei der Army ist?
„Wir sind da", verkündet Noah angespannt.
DU LIEST GERADE
Blue Jeans
Teen FictionIvory und Noah waren beste Freunde. Nichts konnte die beiden trennen, zumindest dachte Ivory das, bis Noah eines Tages aus heiterem Himmel den Kontakt zu ihr abbricht. Jahrelang herrscht Funkstille zwischen den ehemals besten Freunden. Erst als Ivor...