Kapitel 12

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Nach einer halben Stunde hatte ich dann alle Bücher zurück in die Regale gestellt. Also hatte ich jetzt meine kleine Pause, bevor ich dann meine Schicht hinter dem Tresen antreten musste. Ich entschied mich dafür die Bibliothek ausnahmsweise dafür zu verlassen. Draußen war einigermaßen schönes Wetter und es wäre schade, wenn ich die ganze Zeit drinnen verbringen würde.
Gelassen schlenderte ich durch die Straßen. In den Schaufenster war die neue Mode ausgestellt und sie war mal wieder der Mode vom vorherigen Jahr sehr ähnlich. Die selben geraden Schnitte und ziemlich ähnliche Farben. Da sie mir schon davor nicht gefallen hatte, lief ich weiter zu den nächsten Geschäften. Doch auch dort fand ich nur die selben Sachen von den unterschiedlichsten Designern. Meine Füße liefen an diesen Läden einfach vorbei. So kam ich schnell in den Bereich der Einkaufsstraßen, der nur selten betreten wird.
Letztes Jahr gab es hier besonderere Kleidung und Stücke zu kaufen, doch dieses Jahr war selbst hier alles ähnlich. Auch hier ging ich vorbei und nahm eine andere Abzweigung, die ich sonst noch nie genommen hatte. Ich wusste längst nicht mehr, in welchem Stadtteil ich mich nun befand oder sogar wie die Straße nun eigentlich hieß. Mein Bauch trieb mich voran und ich dachte mir, dass ich seit neunzehn Jahren hier in Paradise lebe und ich mich somit eigenlich gar nicht verlaufen konnte. Dass ich gerade das Nordviertel betreten hatte, war mir zu dem Zeitpunkt noch nicht bewusst gewesen.
Die Straße war zwar nicht mehr so gepflegt wie die Straßen des Westviertels, aber auch dort gab es solche Straßen. Die Straßen, die man eher mied als betrat.
Meine Augen versuchten alles aufzusaugen. Möglichst viele Eindrücke zu bekommen und abzuspeichern. Sie fanden ein kleines Ladenschild und sofort lief ich dorthin. Es war ein alter Laden. Solche gab es schon lange nicht mehr im Einkaufszentrum. Nun wurde mir langsam bewusst, wie weit ich mich von der Bibliothek entfernt haben musste. Ich hatte so das Gefühl, dass ich eigentlich längst wieder zurück sein musste und ich nun unbedingt umkehren sollte, aber meine Neugierde war größer. Außerdem sagte mein Bauchgefühl, dass ich auf jeden Fall in diesen Laden gehen sollte.
Als ich dann eine alte Uhr hinter der Ladentheke hängen sah, war es um mich geschehen. Noch nie in meinem ganzen Leben hatte ich eine Uhr mit Zeigern gesehen. Zwar kannte ich sie vom Geschichtsunterricht, aber in der Realität war mir noch nie solch eine Uhr vor die Linse gekommen.
Meine Hand berührte die Türklinke und drückte sie nach unten. Ein Klingeln ertönte mit dem Öffnen der Ladentür. Ein alter Mann erschien vom Nebenraum aus. Überraschung zeichnete sein Blick, als er mich dort in seinem Laden stehen sah. Schüchtern grüßte ich ihn und trat dann richtig ein. Der Mann blieb still und beobachtete mich dabei, wie ich durch seinen Laden lief. Sanft strich ich über die Sammelstücke. Jedes Teil aus seinem Laden wirkte wie etwas aus der Vergangenheit. Das ganze Geschäft wirkte wie aus den alten Geschichtsbüchern aus der Schule. Es gab Füller, Schreibfedern, Tinte, Schmuckkästchen und so vieles mehr. Doch nachdem ich mir einmal alles angesehen hatte, fiel mein Blick wieder auf die große Uhr an der Wand. Gemächlich fuhr der Sekundenzeiger über das Zifferblatt und ließ mich andächtig stehen bleiben. Diese Uhr war ein Meisterwerk. Eine alte Schönheit, die trotz ihres Alters, immer noch genauso schön war wie vor Jahrzehnten. Die Verschnörkelungen an dem Stunden und an dem Minutenzeiger waren fein gearbeitet, aber auch ohne diese wäre die Uhr allein durch ihr Zifferblatt etwas besonderes. Jede Zahl war durch etwas anderes ersetzt worden. Die Stelle, wo eigentlich die Zwölf hätte stehen müssen, wurde anderes geschrieben. XII. Noch nie hatte ich etwas ähnliches betrachten können.
Als ich wieder zu dem alten Verkäufer blickte, bemerkte ich, wie sich ein freundliches Lächeln auf seine Lippen setzte. "Die Uhr ist wunderschön nicht wahr. Ich habe sie von meinem Großvater geschenkt bekommen, als ich noch ein kleiner Junge war. Diese Uhr ist das Einzige, was mir von ihm geblieben ist."
"Woher stammen all diese Antiquitäten?"
"Alle Gegenstände, die du hier siehst, gehören mir. Ich habe sie geschützt vor den Auswirkungen des letzten Krieges. Schau dich ruhig um." er zeigte durch seinen Geschäft und ermutigte mich weiter zu gehen.
In einer Ecke des Raumes stand ein altes Regal. Es war unscheinbar und doch war es mindestens genau so besonders wie die Uhr. Doch hier war es nicht das Regal sebst, was mich so faszinierte, sondern die Stücke im Regal.
Vorsichtig strich ich über die Buchrücken. Noch nie in meinem ganzen Leben habe ich solche alten Bücher gesehen. Ein paar der Bücher waren mit Gold verziert und in keinem der Bücher waren die Seiten noch strahlend weiß. Ich legte meinen Kopf schräg, damit ich die Titel entziffern konnte. Alice im Wunderland  hieß das erste Buch, was mir ins Auge gefallen ist. Ganz behutsam zog ich es hervor und schlug es auf. Noch nie habe ich von solch einem Buch gehört.
Eigentlich hätte ich es direkt wieder zurückstellen müssen. Es war erstens ein altes Buch, welches noch vor dem allerersten großen Krieg erschienen ist und zweitens war es ein Roman. Mehrere Gesetze der Regierung verboten es solche Bücher zu lesen und zu besitzen, aber anstatt das Buch wieder zurück zu stellen, trat ich zu dem Verkäufer und fragte, wie viel es denn kostete.
"Du willst dieses Buch kaufen? Weißst du was? Ich schenke es dir. Niemand kauft bei mir noch Bücher und du scheinst ein Mädchen zu sein, dass so ein Buch zu schätzen weiß."
Überrascht schaute ich den Mann an, doch der lächelte nur und legte seine Hand auf meine. Erst wollte ich noch protestieren, aber er hob nur die Hand und drückte mir das Buch in die Arme.
Ganz verdattert verließ ich das Geschäft und stellte bei einem Blick auf meine digitale Armbanduhr fest, dass ich ganze zwei Stunden weg war. Schnell steckte ich das Buch unter meine dünne Jacke und lief los. Den Weg zurück zur Bibliothek fand ich überraschend gut und so dauerte es nicht lange, bis ich in das wütende Gesicht von Amanda. Schnell entschuldigte ich mich und machte mich an die Arbeit. Die ganze Zeit waren meine Gedanken aber bei dem Buch unter meiner Jacke.

Jetzt wendet sich das Blatt... Was denkt ihr passiert in den nächsten Kapiteln?
Ich habe heute meinen Praktikumsbericht abgegeben, das fühlt sich einfach nur super an!
~Liv

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