Kapitel 21

26 2 0
                                    

Etwas verwirrt blickte ich zu ihm hoch.
"Warum bist du die letzten Tage immer wieder morgens und abends hier her gekommen?"
Warum ich jeden Tag hierhin gekommen war? Dies war eine relativ einfache Frage. Ich hatte immer wieder gehofft, dass Fabian doch da wäre. Ich hatte gehofft, dass ich, wenn ich durch die Tür gehen würde, von seinem Lächeln begrüßt werde und er mir direkt ein neues Buch in die Hand drückte. Doch leider wurde ich immer und immer wieder enttäuscht. Wie gesagt war er nie da...
Es stimmte zwar, dass die Antwort einfach war, und trotzdem antwortete ich ihm nicht. Ich kannte ihn nicht und meine Freundschaft mit Fabian war etwas zwischen Fabian und mir. Niemand wusste davon, nur wir beide und das machte es mir so schwer, ihm einfach meine Antwort zu geben. Aber er schien wirklich eine Antwort von mir zur erwarten. Irgendwie machte mich diese Tatsache etwas wütend. Warum erwartete er von mir eine Antwort, immerhin antwortete er mir auch nicht auf irgendeine Fragen. Ich wusste schließlich immer noch nicht seinen Namen. "Warum willst du das wissen? Es hat dich doch nicht zu interessieren, wo ich meine Freizeit verbringe und was ich dann mache."
"So meinte ich das doch gar nicht. Ich wollte nur wissen, warum du hier her kommst?"
Nun verstand ich rein gar nichts mehr. Er wollte nicht wissen, wie ich meine Freizeit verbringe, aber er wollte wissen, was ich hier in meiner Freizeit mache. Für mich war das ein Wiederspruch in sich selbst. Auch warum ich etwas tue, hatte ihn doch nicht zu interessieren.
"Was machst du denn jeden Tag so?"
"Ich laufe durch die Straßen meines Viertels und sehe dich dabei, wie du vor Fabians Laden stehst und weinst." flüsterte er in die Luft.
Er sprach zwar nur ganz leise und doch hörte ich die Frage herraus. Eigentlich wollte er nicht wissen, warum ich her komme, sondern warum es mich so taurig macht. Aber dies war nun wirklich etwas zu privat oder etwa nicht?
Dennoch hatte ich das Gefühl, dass ich es ihm erzählen sollte. Insgesamt fiel mir auf, wie häufig ich mich daran erinnern musste, dass ich ihn nicht kannte, dass ich ihm nicht vertrauen konnte, denn auch wenn es eher unterbewusst geschah, vertraute ich ihm. Die Tatsache, dass ich ihn nicht kannte, übersah ich deswegen viel zu leicht. Eigentlich fühlte es sich nämlich so an, als würde ich ihn besser kennen, als die meisten Menschen in meinem Umfeld. Ich fühlte mich wohl hier.
Genau in diesem Moment fühlte ich mich so sicher, wie sonst nirgends auf der Welt. Am liebsten würde ich mich einfach immer hier neben ihm bleiben.
Doch solche Momente gab es nicht. Wir waren hier nicht sicher, ich war hier nicht sicher. Paar Meter vor uns geschah vor kurzer Zeit erst ein Verbrechen.
Von hier wurde mein bester Freund entführt.
Leicht ließ ich meine Finger über die spöde Holztür steichen. Das Holz war etwas rissig und die Farbe bröckelte an vielen Stellen schon etwas ab. Das Einzige, was noch wirklich gut aussah, war das Schlüsselloch mit dem Griff. Meine rechte Hand griff von ganz allein in meine Jackentasche und ertastete den Schlüssel, der in das Schlüsselloch passte. Es war der Schlüssel aus dem Umschlag. Schon am nächsten Morgen hatte ich herraus gefunden, dass es der Schlüssel zum Laden war. Wie immer passte er perfekt ins Schloss.
Auch das Drehen des Schlüssels war wie immer etwas schwerer, aber dennoch zu schnell zu bewältigen. Genauso war es auch dieses Mal so, dass sich die Tür erst öffnete, nachdem ich mich mit meinem Körper dagegen gedrückt hatte. Es war alles genau so, wie sonst auch.
Meine Füße voreinander setzend trat ich über die Türschwelle und wurde wie immer, seitdem der Wächter mit seinen Kollegen den Laden ausgeräumt hatten, von der Leere empfangen. Noch nie war es hier wohl so aufgeräumt gewesen. Der Wiederspruch dabei war, dass niemand aufgeräumt hatte, es war einfach nur leer und deswegen wirkte der gesamte Laden nicht aufgeräumt, sondern nur kalt.
Die Wärme, auf die Fabian stets Wert gelegt hatte, war weggefegt worden und übrig blieb nur Staub und Leere.
Eine Gänsehaut breitete sich überall auf meiner Haut aus und plötzlich fing ich an zu zittern. Die Kraft verließ mich und übrig blieb Angst und Trauer.
Warum ich weinte, wenn ich vor dem Laden stand? Ich weinte, weil ich Angst davor hatte, was mit Fabian gemacht wurde, weil ich um ihn trauerte, da ich ihn wohl niemals mehr wiedersehen werde und weil ich mich so fremd in meinem eigenen Leben fühlte.
Wieder geschah es, dass ich Nässe auf meinen Wangen fühlte. Warum sollte ich auch nicht weinen? Es hatte sich nichts verändert.
Ich war allein, niemand wusste nun, wer ich wirklich war. Meine Familie übersah meine Persönlichkeit und versuchte mich zu etwas zu machen, welches ich so gar nicht war. Meine alten Freunde hatten sich schon lange aus meinem Leben verabschiedet und nun hatte sich Fabian ihnen gezwungener Weise angeschlossen. Ich war allein.
Doch mit einem Mal war ich es nicht mehr. Ich war nicht mehr ganz allein.
Wärme umschloss mich von hinten und zwei Arme hielten mich auf meinen Beinen. Sie stützten mich und hielten mich umschlossen. Ich war nicht allein, denn ich hatte immernoch meinen Retter, der mich hoffentlich weiterhin rettete. Meinen Retter, der mich hoffentlich nie wieder verlässt und mich schützte. Meinen Retter ohne Namen.
Und auf einmal störte es mich nicht mehr, dass er mir nichts über sich erzählte, denn auch von Fabian wusste ich nicht viel und doch war er der wohl wichtigste Mensch in meinem Leben geworden. Insgesamt war es nicht so wichtig, wie viel man von jemanden wusste, wenn man wusste, dass er da war und dort auch bleiben würde.
"Nicht weinen, Cyana. Ich weiß, dass er weg ist und nie wiederkommen wird. Aber ich bin da. Hörst du? Ich bin da und ich werde nie wieder weg gehen."
Sachte strich er mir über meinen Rücken und hauchte einen Kuss auf mein Haar. Meine Finger krallten sich in sein Oberteil und so fiel ich tiefer.
Ohne etwas zu tun, hatte er es geschafft mich dazu zu bringen ihm zu vertrauen.
Seine Arme legten sich unter meine Kniekehlen und hoben mich hoch. Mein Gesicht ließ ich dennoch in seinem T-Shirt vergraben und versteckte mich somit vor der Welt. Denn mein Retter würde mich schützen. Er brachte mich in ein kleines, unordentliches und dennoch gemütliches Zimmer. Mir war sehr wohl bewusst, dass es wohl seine Wohnung war, in der ich mich im Moment befand und dass diese im Nordviertel liegen musste, aber jeder Gedanke an die Einteilung in Würdig und Unwürdig hatte sich in dem Moment, als er mich zu Fabians Laden gebracht hatte, in die hinterste Ecke meiner Gedanken verzogen.
Mein Körper wurde von ihm auf eine weiche, alte Matraze gelegt und danach legte er über mich noch eine Decke. Erst danach setzte er sich neben mich und strich mir über meine Haare. Es dauerte nicht lange und schon übermannte mich die Müdigkeit.
Immer weiter fiel ich hinab in den Schlaf und doch bekam ich noch seinen letzten Satz mit: "Ich werde dich niemals allein lassen. Das schwöre ich dir, so war ich Miles Joaquín Martinez heiße."
Mit seinem Namen in meinen Gedanken schlief ich dann schließlich ein.

ParadiseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt