Kapitel 35

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Panisch schauten wir uns beide an. Dies hörte sich nicht gerade gut für uns an. Genauer gesagt standen dort unten drei Wächter, welche uns scheinbar entdeckt hatten und da es verboten war, hier oben zu sein, verstoßen wir gerade gegen das Gesetz.
Ich war selbst noch nicht bereit eine Nacht im Gefängnis zu verbringen. Zwar meinte ich, dass ich dafür nicht als unwürdig erklärt werden konnte, aber ich würde dafür nicht meine Hand ins Feuer legen. Kein Einwohner konnte wissen, was genau die Regierung schon als Grund für eine Ausschließung ansah.
In den letzten Wochen war mir bewusst geworden, dass die fünf Regeln auf jede gewollte Art und Weise gedeutet werden könnten. Theoretisch lag unser Schicksal also stets in den Händen unserer Regierung. Sie spielte jedes Mal Gott, wenn sie einen neuen Unwürdigen verurteilten.
Doch hatten sie das Recht dazu dies zu tun. In den letzten Wochen war ich mir nicht mehr so sicher in dieser Hinsicht. So viele schlechte neue Erkenntnisse habe ich in dieser Zeit gewonnen und nun konnte ich mich nicht mehr zu einhundert Prozent sagen, dass ich hinter unserer Stadt stehe.
"Ich denke, dass es Zeit wird zu verschwinden." rief Miles mir zu und zog mich kurzerhand auf die Beine.
Seine Finger schlossen sich fest um das Handgelenk von mir und zwangen mich dazu ihm zu folgen. Meine Beine stolperten über das Dach und es war wirklich mein Glück, dass er meine Hand hielt, denn meine Füße hätte mich bestimmt nicht allein so sicher über den Boden getragen. Wie beim letzten Mal flohen wir, doch damals erlebte ich die Flucht ohne jede wahre Verfolgungsjagd.
In diesem Mal pochte mir mein Herz dafür bis zum Hals und ich war mir fast zu hundert Prozent sicher, dass es nicht an dem Jungen vor mir lag, sondern hauptsächlich an den Polizisten, die ausgerechnet in dem Moment, in dem meine Füße den Straßenboden berührten, um die Ecke liefen.
"Bleiben Sie stehen!"
"Wir werden uns niemals ergeben, da können Sie warten bis Sie schwarz werden!" brüllte Miles zu ihnen zurück und zog mich einfach weiter.
Dieses Mal war ich genauso wenig vorbereitet wie auf dem Dach vor ein paar Minuten, sodass ich wiederholt zu Beginn eher fluchend über den Asphalt stolperte und mich erst nach ungefähr fünfzig Schritten fing. Nach weiteren hundert Schritten ging mein Atmen nur noch stoßweise und irgendwann ging meine unregelmäßtiges Atmung in ein Keuchen über. Dies hörte sich dann nicht mehr wirklich schön an und ich war froh, dass es meine Mutter nicht hörte. Allein die Vorstellung, welche fiesen Sprüche meine Mutter über diese Atmungsgeräusche, das für mich beim Laufen unumgänglich war, verlauten lassen würde, ließ mir einen kalten Schauer über meinen Rücken laufen.
Rückblickend gesehen, war meine Mutter für mich immer die furcheinflösenste Person der Welt gewesen. Egal was ich getan hatte, wie stolz ich auf mich selbst war, meine Mutter konnte dies jedes Mal wieder einfach so mit einem Fingerschnipsen zerstören. Ich war aber wohl nicht die Einzige, welche Respekt vor ihren Eltern hatte. Vor allem in unserer Stadt waren die Personen über uns etwas respekteinflösendes. In de Regeln stand es, dass es unentbehrlich ist, diesen Personen Respekt zu zollen und auf ihre Anweisungen zu hören.
Meine Eltern waren wohl nicht strenger als andere, aber sie waren immer noch meine Eltern und die Liebe fehlte meiner Meinung ein bisschen zu sehr in diesem Haushalt. Mein Vater gab uns, also meiner Schwester und mir, zwar stets seine vollständige Liebe, doch meine Mutter war in dieser Hinsicht schon immer eine Eiskönigin gewesen.
Die Gedanken an meine Eltern lenkten mich immerhin zwischenzeitlich von der Flucht, die wir gerade durch führten, ab und dies war im Moment das Beste, was mir passieren konnte. Denn wenn ich es nicht schaffte mich abzulenken, würde ich höchst wahrscheinlich durchdrehen. Es war wohl doch ein bisschen zu viel für meine Nerven.
Die Dunkelheit in den Straßen kam auf einmal nicht mehr beruhigend sondern mehr angsteinflößed rüber. Die Straßenlichter waren ausgeschaltet und der Mond war das Einzige, was uns ein bisschen Licht spendete.
Doch heute erschien uns nur ein Achtel des Mondes und damit war auch diese Lichtquelle winzig. Meine Lunge brachte mich langsam um und meine Hacken schmerzten von dem Rennen.
Doch ich wollte auch gleichzeitig nicht stehen bleiben, da ich ehrlich gesagt keine Lust hatte, heute Nacht im Gefängnis zu bleiben.
Auf einmal spürte ich wie mein Begleiter langsamer wurde und sofort drosselte auch ich mein Tempo. Dann richtete ich meinen Blick nach vorne und so erblickte ich die Mauer vor uns. Wir saßen fest und damit in der Falle.
Ich schaute entsetzt zu Miles und auch in seinem Blick sah ich die Panik immer mehr steigen. Auch er schien realisiert zu haben, dass wir ein Problem hatte.
Erst versuchte er an der Mauer hochzuklettern, doch ich wusste schon im Vorhinein, dass dies nicht funktionieren würde. Dann hörten wir plötzlich eine Stimme und das Licht einer Taschenlampe erleuchtete die Sackgasse.

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